Keine Türen, nur noch Fenster

Microsoft-Gründer Bill Gates hat seinen letzten Arbeitstag hinter sich gebracht. Ein Blick zurück auf den Weg nach vorn.

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Von
  • Peter Glaser

Seine erste Sekretärin Miriam Lubow antwortete auf die Frage, woran man Bill Gates erkennen könne, gewöhnlich: “Halten sie nach einem 16jährigen Jungen mit Brille Ausschau, der ein wenig weggetreten wirkt. Das ist er.” Dass er auch mit Ende 20 noch so aussah, glich Gates durch seinen Geschäftssinn aus. Wenn in den frühen Jahren von Microsoft die Vertreter japanischer oder europäischer Computerhersteller anrückten, mußten sie erst einmal die Erscheinung eines unrasierten jungen Mannes mit schmutzblinder Brille und Pizzaflecken auf dem T-Shirt verkraften, dem sie einen Teil der Zukunft ihrer Firma anvertraut hatten. Währenddessen war das Jüngelchen bereits zum Gegenangriff übergegangen und malte ihnen ein grandioses Bild der bevorstehenden Entwicklungen aus - die Gates’sche Vision.

Auch der Flugzeugkonstrukteur Vern Raburn, vormals Microsoft-Mitarbeiter Nr. 18, kennt Bill Gates und seinen Kampfgeist aus diesen Anfangsjahren: "Rennfahrer haben einen Ausdruck dafür: red mist - roter Nebel. Sie bringen sich dermaßen auf Touren, dass ihnen das Blut in die Augen steigt. Gates ist der einzige Nicht-Rennfahrer den ich kenne, der das draufhat."

Bill Gates hat Microsoft zum erfolgreichsten Softwareunternehmen der Welt und sich selbst über Jahre zum reichsten Mann der Welt gemacht. Seine Firma hat einen Marktanteil, der an Wahlergebnisse in Diktaturen erinnert. "Ich kenne keinen Menschen, der so sehr gewinnen will wie er", schreibt der Autor James Wallace. Aber nur gewinnen hat Bill Gates nie genügt. Wer nicht auf seine Bedingungen eingeht, geht ein. Der Business-Instinkt hat familiäre Wurzeln. Mutter Mary, eine Bankiersgattin, organisierte jeden Sonntag Bridge-Turniere. "Gewinnen war wichtig", erinnerte sich sein Vater. Mit 10 verfaßte Bill einen juristisch wasserdichten Vertrag, der ihm für 5 Dollar uneingeschränkten Zugriff auf den Baseball-Handschuh seiner Schwester Kristi gab. Mit 14 gründete er mit seinem Schulfreund Paul Allen die Firma Traf-O-Data und entwickelte ein Computersystem zur Verkehrszählung.

Auf der Lakeside School, der exklusivsten Privatschule in seiner Heimatstadt Seattle, war Bill Gates der Beste der Besten, der kleinste Junge in der Klasse und der mit den größten Füßen. Ein ehemaliger Klassenkamerad erinnert sich: "Er war unausstehlich, enorm selbstsicher und auf aggressive, einschüchternde Weise intelligent." 1968 sammelte der Mütter-Club der Schule 3000 Dollar für ein ungewöhnliches Lehrmittel - einen Online-Computeranschluß. Die Maschine begeisterte Gates so sehr, dass er in den Mülleimern des benachbarten Computer Science Center nach Programm-Listings wühlte.

An einem kalten Tag im Januar 1975 sahen Paul Allen und Bill Gates auf dem Titel der Zeitschrift “Popular Electronics” den ersten Computer zum Selberbauen. Sie boten der Herstellerfirma MITS, die neben einem Staubsaugerladen in Albuquerque, New Mexico, residierte, eine Version der Programmiersprache BASIC an. Das Programm war noch nicht geschrieben. Im Juni steuerte ein blaues Wohnmobil Ricky´s Hyatt House im kalifornischen Palo Alto an, an Bord ein paar MITS-Leute und ihr sensationeller Selbstbaucomputer, der Altair 8800. Im Hyatt House hatten sich die Mitglieder des "Homebrew Computer Clubs" eingefunden, darunter der spätere Apple-Erfinder Steve Wozniak. Viele von ihnen hatten den Computer schon, aber noch niemand hatte sein BASIC erhalten. Das Vorführgerät war mit einem Lochstreifenleser ausgestattet und arbeitete bereits mit der Software. Die Legende besagt, dass jemand den am Boden liegenden Lochstreifen mit dem BASIC aufhob. Beim nächsten Clubtreffen wurden Kopien der Software gratis verteilt.

Im Januar 1976 gründeten Gates und Allen die Firma Microsoft. Das große Abenteuer begann. Im Februar schrieb Gates einen wütenden "Offenen Brief an die Hobbyprogrammierer" und unterstellte ihnen pauschal, seine Software zu stehlen. Die verbreitete sich wie ein Buschfeuer und wurde zum de facto-Standard - nicht zuletzt aufgrund der Aktivitäten jener Computerenthusiasten, die Gates so anprangerte.

Im Sommer 1980 erreichte ihn ein Anruf, der sein Leben verändern sollte (und das vieler Millionen User). Der Computergigant IBM wollte ein Betriebssystem für den geplanten IBM-PC. Für etwa 50.000 Dollar kaufte Gates von der Firma Seattle Computer Products das Betriebssystem 86-QDOS ("Quick and Dirty Operation System"). Es war das Geschäft des Jahrtausends. Am 12. August 1981 präsentierte IBM der Welt seinen Personal Computer. Er lief unter Microsofts Betriebssystem MS-DOS 1.0 - einer aufgebohrten Version von QDOS.

Als Microsoft Anfang der Achtziger zu expandieren begann, brauchte Bill Gates einen klugen Nichttechniker im Management. Er holte Steve Ballmer, der bei Procter & Gamble Karriere gemacht hatte. Unter anderem hatte er dort mit einer neuen Verpackung für eine Backmischung Aufsehen erregt: sie war breiter als hoch und beanspruchte in den Supermarktregalen mehr Platz. Das wollte Ballmer auch für Microsoft tun: die Konkurrenz verdrängen.

Als Stratege ähnelt Bill Gates dem amerikanischen General Patton, Motto: "Ein guter Plan, den man sofort mit aller Gewalt ausführen kann, ist immer besser als ein perfekter Plan nächste Woche." Konkurrenten wurden plattgemacht. So wurde etwa bei der Überarbeitung des Betriebssystems DOS besonderes Augenmerk darauf gelegt, der Firma Lotus und ihrer damals marktführenden Tabellenkalkulation "1-2-3" die Tour zu vermasseln. Die Microsoft-Programmierer versteckten ein paar Macken in der Software, die jedesmal, wenn "1-2-3" geladen wurde, einen Absturz verursachten.

Ende 1983 stellten IBM und die Firma VisiCorp grafische Benutzeroberflächen vor - eine existentielle Bedrohung für Microsoft. Von einem unglaublichen Werberummel begleitet, kündigte Gates auf der Computerfachmesse Comdex Windows 1.0 an. Die Strategie, Kunden durch Produktankündigungen vom Kauf von Konkurrenzprodukten abzuhalten, gehört zu den erfolgreichsten Kriegslisten von Bill Gates. Die Zeitschrift "InfoWorld" prägte einen eigenen Namen für die Methode: “Vaporware” - heiße Luft. Ausgeliefert wurde Windows 1.0 erst zwei Jahre später.

Man bewundert diesen Mann, oder man findet ihn schrecklich. “Der sanfte Bill ist begnadet”, huldigt Biograph Daniel Ichbiah dem großen Meister, “er besitzt eine Ansammlung seltener Eigenschaften, die das bilden, was man gemeinhin als Genie bezeichnet”. Auf Konferenzen brüllte er sein berühmtes “Das ist das Idiotischste, was ich jemals gehört habe!”. Andere finden, Gates’ Ehrgeiz übertreffe seine Fähigkeiten bei weitem und sehen in ihm eine Art Software-Stalin. Sein Bild in der Öffentlichkeit bekam ernsthafte Risse, nachdem das US-Justizministerium im Mai 1998 ein Antitrust-Verfahren gegen Microsoft einleitete, dem Gates geschäftsmäßig stur entgegentrat. Viele begannen ihn als übermächtig und arrogant zu empfinden.

Am Neujahrstag 1994 heirateten Bill Gates und Melinda French am 12. Loch auf dem manikürten Golfplatzrasen des exklusiven Manele Bay Hotel auf der hawaiianischen Insel Lanai. Der Name der Insel bedeutet übersetzt "Tag der Eroberung". Melinda arbeitete seit 1987 als Produktmanagerin bei Microsoft, die beiden hatten sich 1989 bei einem Microsoft-Dinner in New York kennengelernt, 1993 wurde die Verbindung offiziell. Nach der Hochzeit wurde das Haus umgebaut. Eine der ersten Fragen von Gates Gattin war, wo die Schlafzimmer für das Kindermädchen und die Kinder seien. Für das Elternschlafzimmer war ursprünglich ein Badezimmer vorgesehen, in dem man sich erst zur Seite drehen mußte, ehe man die Tür zumachen konnte - das in einem Haus mit einem Anfangsbudget von etwa 60 Millionen Dollar. Der Bau mit dem Spitznamen “Xanadu 2.0” - nach dem Anwesen des Tycoons aus dem Orson Welles-Film “Citizen Kane” - ist in die Hügel am Ostufer des Lake Washington gebaut, verfügt über 3700 qm Wohnfläche, naturholzgefaßte Glasfronten, einen Swimmingpool mit Unterwassermusik und eine Empfangshalle, in die 100 Leute passen. Gäste erhalten am Eingang einen Anstecker mit einem Sensor. Das Haus merkt sich beispielsweise die Temperatur, mit der man sich gern die Hände wäscht und stellt sie automatisch ein, wenn man das nächste Mal einen Wasserhahn aufdreht.

Ende 1995 kam Gates Buch "The Road Ahead" mit einer Startauflage von 1,5 Millionen Exemplaren in die Läden. Leider ging der "Weg nach vorn" nach hinten los, da der große Visionär die Bedeutung des Internet unterschätzt hatte. Wenige Wochen später riß Gates das Steuer herum. Es gab eine korrigierte Neuauflage des Buchs und sämtliche Microsoft-Projekte wurden zu einhundert Prozent auf das Netz ausgerichtet. Als Gates sich die kometenhaft aufgestiegene Firma Netscape und ihren erfolgreichen Internet-Browser zur Brust nahm, spitzte sich der Verdacht zu, Microsoft würde sein übermächtiges Gewicht einsetzen, um Innovationen und Mitbewerber zu erdrücken.

Am 11. Mai 1998 wurde über das Internet eine gefälschte Pressemeldung verbreitet, derzufolge Microsoft einen unterirdischen Atomtest durchgeführt habe, um die Gespräche mit dem US-Justizministerium über ein mögliches Antitrust-Verfahren in die richtige Richtung zu lenken. Ungerührt kündigte die Behörde am 18. Mai tatsächlich die Eröffnung eines formellen Verfahrens gegen Bill Gates und sein Unternehmen an. Durch die Vorherrschaft auf dem Betriebssystem-Markt halte er ein unzulässiges Monopol. "Das PC-Business hat eine aufregende Zukunft", schrieb Gates, "wenn der Staat sich nicht in die Produktentwicklung einmischt." Die Regierung ist für ihn eine Art verlängerter Arm der Konkurrenz.

Verkaufsstarts für neue Softwareversionen sind inzwischen weltweite Marketing-Events. Für Windows 95 stellten die Leute sich ein paar Blocks weit an, um als erste etwas zu kaufen, von dem jeder wußte, dass man es besser nicht als erster kauft, weil es wahrscheinlich voller Fehler ist. Maximal massentaugliche Dinge sind das, was ihn interessiert - Standards. Der Vorwurf, dass er nie etwas erfunden habe, greift inzwischen nicht mehr: Seit der Jahrtausendwende erfindet Bill Gates sich neu - als Menschenfreund. Die “Bill and Melinda Gates Foundation” ist mit stolzen 37 Milliarden Dollar ausgestattet und sorgt für die Verteilung von Impfstoffen an die Ärmsten dieser Welt und für die Wandlung des Gates’schen Rufs vom brutalen Businessmann zum Philantropen.

Die bedeutendste Leistung des Bill Gates besteht fraglos darin, im globalen Maßstab umgesetzt zu haben, was der Medienphilosoph Marshall McLuhan in den sechziger Jahren vorgedacht hat: dass Computer uns helfen, Probleme schneller zu lösen, die wir ohne Computer gar nicht gehabt hätten. Der Chief Software Architekt verläßt die Firma in schwierigen Zeiten. Vielerorts knirscht Sand im Getriebe der einstmals schwunghaften Geldmaschine Microsoft. Google dominiert den Werbemarkt im Internet, Apple mit dem iPod die digitale Musikversorgung, die Microsoft-Spielkonsole Xbox ist von glänzenden Erfolgen so weit entfernt wie Windows Vista. Und das freie Betriebssystem Linux macht Microsoft ebenso zu schaffen wie die EU-Kommission.

Im März 2005 war William Henry Gates III. von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen worden. Der Vorschlag ging auf Schatzkanzler Gordon Brown zurück, demzufolge Gates sich durch seine "herausragenden Beiträge zu Wirtschaft, Beschäftigung, Erziehung und ehrenamtlichen Tätigkeiten in Großbritannien" verdient gemacht habe. Ein halbes Jahr später wurde ein anderer Engländer, der Informatik-Professor Neil Barrett, ernannt, die EU-Kommission bei der Beurteilung der Frage zu beraten, ob sich Microsoft an die im März 2004 verordneten Auflagen halte. Bis 2007 mußte Microsoft bereits 778 Millionen Euro an Bußgeldern wegen Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zahlen; im Februar 2008 folgte eine weitere Geldstrafe von 899 Millionen Euro.

Where do you want to go, Mr. Gates? Es wird wohl weiter mit dem Kopf durch die Wand gehen. Wie anders sollte jemand auch vorankommen in einer Welt, in der es keine Türen gibt - nur Fenster. (wst)