Heißhunger auf den gelben Kuchen

Die unvermeidliche Renaissance der Kernkraft ist wieder in aller Munde. Auf welchem Fundament ist sie eigentlich gegründet?

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Von
  • Niels Boeing

Egal welche Gemeinschaftskarte man in der Kernenergie-Debatte zieht, der Text scheint in diesen Tagen immer derselbe zu sein: "zurück auf Los." Harrisburg, Tschernobyl, Oskarshamn waren gestern. Jetzt geht es um Klimaschutz, Versorgungssicherheit und sozialverträgliche Energiekosten, und da soll die Kernkraft konkurrenzlos gut sein. Die FAZ vermeldet einen Bewusstseinswandel bei den Deutschen: Die Anti-Atom-Mehrheit gerät ins Wanken, nur noch 51 Prozent befürworten den Atomausstieg, sieben Prozent weniger als noch im Dezember. Da ist es durchaus vorstellbar, dass nach der Bundestagswahl 2009 der Ausstieg aus dem Ausstieg kommt.

Wer AKWs länger betreiben oder neu bauen will, braucht allerdings ausreichend Kernbrennstoff, und das ist bei den derzeit zur Verfügung stehenden Reaktortypen Uran. Die Preisfragen lauten nun: Kann die Uranproduktion mit einer steigenden Nachfrage mithalten, und wie lange reichen die Uranvorräte? Schauen wir dazu in den Report "Uranium 2007", den die Nuclear Energy Agency (NEA) im Juni veröffentlicht hat.

Ende 2007 waren weltweit 439 AKWs am Netz. Um deren Brennelemente herzustellen, waren rund 69.100 Tonnen Uran-Rohmaterial nötig (S. 51), das als "Yellowcake", ein gelbes Pulver größtenteils aus Uranoxid (U3O8), geliefert wird.

Laut dem NEA-Report stammten schätzungsweise 43.300 Tonnen des gelben Kuchens aus dem Uranabbau, also knapp zwei Drittel des Uranbedarfs (S. 37). Das restliche Drittel stammte aus so genannten Sekundären Quellen wie Lagerbeständen, wiederaufbereitetem Material oder umgewandelten Nuklearsprengköpfen.

Aber, warnt der Report, "nach 2013 wird die Verfügbarkeit sekundärer Uranquellen abnehmen" (S. 86). Danach müsste der Bedarf zunehmend direkt aus dem Uranabbau gestillt werden. Der hätte 2007 noch nicht ausgereicht: Die maximale weltweite Produktionskapazität lag bei 54.300 Tonnen, etwa 80 Prozent des Bedarfs (S. 46).

Aus bereits betriebenen und geplanten Abbaustätten ließe sich die Produktion laut Uran-Report bis 2015 aber auf 95.630 Tonnen hochfahren, im günstigsten Fall – wenn potenziell erschließbare Vorkommen hinzugenommen werden –, sogar 117.000 Tonnen (S. 48). Interessant: Der Produktionspeak wird nach diesen Prognosen um 2020 erreicht (max. 122.600 Tonnen), um dann bis 2030 ungefähr wieder auf bis knapp unter das Volumen von 2015 zu fallen.

Genügt das, um den erweiterten Kraftwerkspark zu versorgen? Der Report schätzt den künftigen Uranbedarf so ein: 2015 zwischen 76.900 und 86.400 Tonnen Uran-Rohmaterial – die Produktion wäre noch ausreichend – und 2030 zwischen 93.800 und 122.000 Tonnen – bei solch einem Heißhunger könnte der gelbe Kuchen nicht groß genug sein (S. 68).

Wie groß sind die Uranreserven insgesamt? Anders als beim Öl ist der Uran-Peak noch nicht erreicht. Bis heute wurden rund 2,3 Millionen Tonnen Uran-Rohmaterial produziert.

Bei einem Kilo-Preis von unter 80 Dollar stünden laut Report noch weitere 4,5 Millionen Tonnen zur Verfügung, bei einem Kilopreis zwischen 80 und 130 Dollar werden die abbaubaren Reserven sogar auf 5,5 Millionen Tonnen geschätzt (S. 9). Das sind zwar etwa 15 Prozent mehr als vor drei Jahren prognostiziert, Grund ist aber laut Report zum größten Teil eine Neubewertung der bekannten Vorkommen angesichts steigender Uranpreise. Neuentdeckungen machen nur einen kleinen Teil aus (S. 10). Nach den Bedarfsprognosen für bis zu 780 AKWs im Jahre 2030 – so die Einschätzung der NEA – wäre dann die Hälfte der heute bekannten Vorräte bereits verbraucht. Bliebe es ungefähr bei einem Kraftwerkspark dieser Größe, würde es dann ab 2050 richtig eng werden.

Die Prognosen setzen aber voraus, dass die Vorräte optimal ausgebeutet werden können. Das Beispiel der kanadischen Lagerstätte Cigar Lake, die wegen ihres hohen Urangehalts von 14 Prozent im Erz besonders wichtig ist, zeigt allerdings, dass die Dinge auch schief gehen können. Noch bevor das Bergwerk fertig war, brach ein Stollen ein und ließ die Mine mit Wasser vollaufen. Cigar Lake hätte ab diesem Jahr 17 Prozent des weltweiten Bedarfs decken sollen. Das Greenpeace Magazin hatte einen hübschen Vergleich zur Hand: "...ihr Ausfall entspricht dem Verlust Saudi-Arabiens für den Ölmarkt."

Der Uran-Experte Peter Diehl hat bereits 2006 in einem Report für Greenpeace sehr detailliert mineralogische, technische, ökologische und politische Probleme der künftigen Uranversorgung zusammengetragen. Sie lassen den NEA-Report meines Erachtens recht optimistisch erscheinen. Doch selbst wenn wir bei den NEA-Zahlen bleiben, müsste eigentlich klar sein: Kernkraft ist nicht mehr als eine Übergangslösung für wenige Jahrzehnte, und eine Schmutzige und Riskante obendrein. Eigentlich ist sie nicht einmal eine Notlösung.

Unter Nachhaltigkeit verstehe ich jedenfalls etwas anderes. (wst)