Feindbild "Bio"

Ist der Biolandbau nun Quark oder nicht? Nach der solaren Systemfrage scheint es nun auch eine Agrar-Systemfrage zu geben - oder wie soll der Laie den Streit sonst verstehen?

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Von
  • Niels Boeing

Eigentlich sollte man meinen, dass in der Bio-Landwirtschaft angesichts des grünen Booms eitel Sonnenschein herrscht. Wenn da nicht das berüchtigte Tabubrecher-Gespann Maxeiner/Miersch wäre. Die Breitseite, die sie zuletzt in ihrem Buch „Biokost & Ökokult“ auf die ökologisch korrekte Landwirtschaft abgefeuert haben, hat offenbar eingeschlagen: So widmet die Fachzeitschrift Schrot & Korn derzeit den Vorhaltungen der beiden Journalisten eine eigene Artikelserie.

Die hat Michael Miersch unlängst in Cicero, dem Hausblatt aller Tabubrecher wider den vermeintlich linken Mainstream, unlängst noch einmal zusammengefasst. Der gesundheitliche Nutzen von Biokost sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Die Pestizidrückstände in konventionell produziertem Obst und Gemüse seien zu gering, um bedenklich zu sein. Freilandgeflügel sei häufiger mit Salmonellen belastet. Böden seien im Biolandbau stark mit Kupfer belastet. Und wegen des um ein Drittel größeren Flächenverbrauchs könne dieser kein Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft sein. Mierschs Fazit: „Angenommen, alle Bauern der Welt würden auf ‚Bio’ umstellen, wäre dies ... ein Desaster für die Natur.“

Der Städter, der immer wieder mal vor der neuen Biotheke im Supermarkt steht, ansonsten aber Bauernhöfe höchstens aus der Autobahnperspektive kennt, ist da schon verunsichert. Miersch zitiert Studien und klingt bei aller Polemik gegen Öko-Esoterik schon recht überzeugend.

Richtig verwirrend wird’s, weil die Biolandbauern natürlich mit anderen Studien kontern können. Nur zwei Beispiele. Einmal zu Pestiziden: „In epidemiologischen Studien zeigen sich sehr wohl Wirkungen von Pestizidanwendungen, zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebserkrankungen und Parkinson oder eine verzögerte Entwicklung bei Kindern. Das bestätigt auch eine Auswertung von 124 Studien durch kanadische Wissenschaftler. Aus diesem Grund will die Europäische Union die Zulassungsregeln für Pestizide verschärfen und krebserregende oder erbgutschädigende Wirkstoffe verbieten“, schreibt Leo Frühschütz in Schrot & Korn.

Und dann zu Salmonellen in Geflügel: „Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat 2005 563 Legehennenherden auf Salmonellen untersuchen lassen und konnte den Erreger in 29 Prozent der Herden nachweisen. Von den Käfighaltungen wurden 33,5 Prozent positiv getestet, von den Öko-Freilandherden 26,2 Prozent. Die konventionelle Freilandhaltung schnitt noch etwas besser ab. Kleine Erzeuger mit weniger als 3.000 Hennen hatten nur zu 15,8 Prozent Salmonellen im Bestand. Dagegen wurden die Labore bei zwei Drittel aller Großbetriebe mit mehr als 30.000 Legehennen fündig.“

Was soll der Bio-Laie aus dem Streit nun wirklich mitnehmen? Dass es auch unter Biobauern schwarze Schafe geben kann, die falsch düngen, geschenkt. Dass man keiner Statistik glauben soll, die man nicht selbst gefälscht hat, ein Allgemeinplatz.

Zumindest aber doch so viel: Der Streit ist Teil des gegenwärtigen Kulturkampfs um die Deutungshoheit, wie eine nachhaltige Wirtschaftsweise der Zukunft aussieht. Es ist ja bemerkenswert, dass die Breitseiten immer wieder aus konservativeren Medien wie FAZ, Weltwoche, Welt am Sonntag oder jetzt eben Cicero erfolgen. Der Erfolg von allem, was aus der „grünen“ Bewegung hervorgegangen ist, ob Solarenergie oder Biolandbau, scheint eine permanente Beleidigung für diejenigen zu sein, die im heutigen Industriekapitalismus das glückliche Ende der Geschichte erblicken. Und wenn Sachargumente verpuffen, wird gerne schon mal eine kleine Faschismus-Keule ausgepackt – eigentlich ein traditionelles Instrument der Linken –, wie etwa Michael Olbrich-Majer von der Fachzeitschrift Lebendige Erde zeigt.

Im Kern geht es um Zentralisierung vs. Dezentralisierung von Technik und Wirtschaft. Letztere bedeutet: Machtverlust fürs etablierte (big) Business. In dem Fall schmeckt mir der Bio-Apfel doch gleich doppelt so gut – selbst wenn er wirklich nicht gesünder sein sollte. (wst)