Die neue Welt der Zwischendurchs

Die neuen digitalen Kommunikationsmittel glänzen mit einer nie gekannten Fülle an Potenzialen, die verschiedensten, bisher singulären Kulturpartikel, Medien und Inhalte miteinander zu verbinden und zu vernetzen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Einzahl hat ausgespielt, es gibt nur noch das Viele. Und immer mehr so genannte Informationen werden in Form fragmentierter oder segmentierter Teile angeboten: Artikel, Texte, Bilder, Soundfiles, die man sich selbst nach Belieben zusammensetzen kann und immer öfter auch muss. Die neue Freiheit verstört gelegentlich. Wo bisher ein vollständiges Bild geliefert wurde, ein Konsens, muss nun selbst aus den Teilen etwas zusammengesetzt werden, womöglich etwas ganz Neues.

Alltag im 21. Jahrhundert bedeutet, dass sich immer mehr Hauptsachen in Nebensachen verwandeln, geregelte Mahlzeiten in geriegelte, Nachrichtensendungen in Informationsseitenwinde. Nicht einmal die Möbel mögen mehr feststehen, am liebsten hat man sie auf Rollen. Die Dinge, die uns umgeben, sind faltbar, klappbar, provisorisch, gedacht für kurze Lebensphasen, Perioden, Etappen. Das Leben zerflimmert zu einem Gewölk von Zwischendurchs.

Dazu kommen die Winzwartereien, die unseren Lebensfortlauf perforieren und die wir den schnellen, hypermodernen Maschinen zu verdanken haben. Je schneller die Rechner werden, desto schneller wird auch unsere Ungeduld. Das führt dazu, dass man schon nach Sekunden die Wand hochzukriechen beginnt, wenn eine Webseite nicht gleich da ist, und nicht erst nach zwei Minuten wie noch vor ein paar Jahren. Diese Wartepartikel lassen uns jedesmal in einer schmerzlichen, winzigen Handlungsleere hängen. Früher kam vormittags die Post, dann gab's Mittagessen und abends um Acht in der Tagesschau Neues aus der Welt. Heute kommt die Post ständig. Wenn nicht alle paar Minuten eine Mail eintrifft, verfällt der digitale Zeitgenosse in Depression. Keiner versucht, ihn zu erreichen, nichtmal Spammer. Das Leben ist sinnlos.

Dazu kommen ständig neue Kommunikationskanäle, die unser Zeitkontinuum zunehmend poröser machen (oder uns mit einem Vielfachen ausbleibender Nachrichten noch verzweifelter werden lassen). Von überallher sickern Unterbrechungen ein, Abzweigungen tun sich auf, eine Unendlichkeit an Ablenkungen. Die Kanalvielfalt hat sich ins Millionenfache erweitert. Die Öffentlichkeit verwandelt sich in kulturellen Quantenschaum. Und es werden nicht mehr wenige Programme lange genutzt, sondern viele kurz.

Eine Antwort auf die Frage, wie man dieser Übermengen an Kommentaren, Information und verzweigter Nützlichkeiten Herr werden kann, lautet: durch kulturelle Mikrostrategien. Der Ring der Nibelungen war gestern – die Kulturindustrie hat die Welt der Schnipsel, Tracks und Daseinssplitter entdeckt.

Am Beispiel von Mikrokulturformen wie SMS, Klingeltönen oder Zweiminutenyoutubevideos wird deutlich, dass man auch mit kleinen Fitzelchen ganz groß rauskommen kann. Bis Computer und das Internet sich endgültig in die Jetzt-Sofort-Alles-Maschine verwandelt haben, auf die wir warten, warten, warten, wird es noch ein bisschen dauern. Jede Menge Chancen für Angebote, mit denen sich die immer mehr und immer kleineren Lücken okkupieren lassen, in denen wir uns "schnellweilen" – also zeitgemäß in Minuten- oder Sekundenhäppchen langweilen. Jeder kennt das Gefühl nach einem Kinobesuch, dass der Trailer, den man sich zuvor angesehen hatte, eigentlich schon der ganze Film war. Nun wird der Trailer überhaupt zum Hauptfilm. (wst)