Die Hyperdemokratisierung

Früher war es verhältnismäßig leicht, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, um beispielsweise seine politischen Ideen zu bewerben. Dass dieses Zeitalter vorbei ist, zeigt der aktuelle US-Wahlkampf: Dank Internet ist fast alles nur noch Nische.

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Das Internet ist bekanntermaßen eine "Jetzt-alles-sofort"-Maschine. Der Nutzer kann sich das ansehen, was ihn wirklich interessiert, geschmacklich passende Inhalte sind reichlich vorhanden. Das bedeutet aber auch, dass es immer schwieriger wird, eine wirklich breite Öffentlichkeit zu erreichen, sei es nun mit einer Werbebotschaft oder politischen Inhalten. Die Zeiten, in denen alle um Punkt 20 Uhr zur Tagesschau vor dem Fernseher saßen, sind endgültig vorbei, solche Massenereignisse gibt es höchstens nur noch bei der Fußball-WM.

Natürlich könnte man sagen: Was einst die großen Fernsehsender waren, sind heute YouTube & Co., was früher die wichtigen Zeitungen waren, sind die Blogs. Allerdings gibt es auch hier wieder enorm viele Nischen. Kaum ein Nutzer kommt über die Homepage eines großen Videoportals an einen interessanten Clip, man folgt Links in Blogs oder großen Verteilplattformen wie Digg oder Reddit. Doch auf welcher der Plattformen man sich bewegt, hängt immer ganz vom persönlichen Geschmack ab – Nische also.

Die Kampagnenführer des aktuellen US-Präsidentschaftswahlkampfes haben das längst verstanden: Sie sorgen dafür, dass ihre Botschaften möglichst breit gestreut werden. Neue Werbespots und die begleitenden Pressemitteilungen landen bei jedem, der sich dafür interessiert. Die Streuung führt leider auch zu einer Zuspitzung: Derjenige, der am lautesten schreit, scheint auch die meiste Coverage zu erhalten – von den Freunden der Botschaft genauso, wie von den Kritikern, die es einfach nur entsetzlich finden, wenn ein Kandidat wieder in einer Anzeige leidlich wahrheitswidrig vom Leder zieht.

Es ist schlicht nicht abzusehen, wie sich diese gigantische Nischenbildung weiter entwickelt. Die Medienkonzerne retten sich mit der Aussage, große Angebote wuchsen doch schließlich weiter, die Nutzer bräuchten "Leuchttürme" im Netz. Die Wahrheit ist jedoch wahrscheinlich eine andere: Die vielen Möglichkeiten, die das Internet zur Informationsversorgung bereithält, führen dazu, dass jeder sich immer nur das ansieht, was zu ihm passt. Um es auf den US-Wahlkampf zu übertragen: McCain-Freunde lesen nur konservative Seiten, Obama-Freunde tummeln sich auf den liberalen Angeboten. Der Austausch zwischen den Fraktionen nimmt trotz des riesigen Angebotes ab, Missverständnisse und dreistes Aneinandervorbeireden nehmen zu.

Früher war es noch möglich, den ein oder anderen geistreichen Beitrag in die "Tagesthemen" einzuschmuggeln, am nächsten Tag hatte man mal wieder etwas gelernt. Hat man durch das Internet die Möglichkeit, sich nur in "seinen" Zirkeln zu bewegen, wo es trotzdem immer genügend Nachschub gibt, reduziert das die Offenheit und Durchlässigkeit. Andererseits ist der Rückzug in Bereiche des Netzes, die zu einem passen, eigentlich nur natürlich: Der Mensch ist schließlich längst von dem überfordert, was ihm in Gesamtmenge angeboten wird. Eine gute erzieherische Medienkompetenz sollte in Zukunft aber dennoch genau darauf achten, dass man der nächsten Generation auch Möglichkeiten aufzeigt, wie sich "andere" Meinungen einholen lassen. Vorhanden sind sie ja. (wst)