Berührungen aus der Ferne

Die SMS hat unser Miteinander wie kein anderes Nachrichtenformat verändert. Doch sie ist alt. Der Nachfolger ist vielleicht spürbar.

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Von
  • Gordon Bolduan

Die aktuelle Ausgabe ist fertig und liegt druckfrisch auf meinem Schreibtisch, der sich mal wieder in einen Kompost aus Kopien und Notizen zu verwandeln droht. Brisant, denn der Chefredakteur beobachtet diese Metamorphose mit Argwohn. (Ich will kein Kollegen-Schwein sein, aber andere Redakteure sterben da wohl eher den Entropie-Tod) Um Schreibtische geht es im übertragenen Sinn auch in der aktuellen Titelgeschichte, unserem „Fokus“, der neuartige Benutzer-Schnittstellen behandelt. Diese sollen den Schreibtisch als bewährte „Interaktionsmetapher“ auf grafischen Oberflächen ergänzen, wenn nicht sogar ablösen.

Die Recherche führte mich diesmal in die Labore von Albrecht Schmidt an der Universität Duisburg Essen und Steffi Beckhaus von der Uni Hamburg, Labore die eher an den James-Bond-Ausrüster Q erinnern als an grauen Uni-Alltag.

Beide Wissenschaftler forschen auch an sogenannten haptischen Schnittstellen. Das sind Bedienelemente, deren Ausgabe sich beispielsweise durch Fingerspitzen fühlen lässt, mit denen sich Software aber auch durch bewusste Verlagerung von Gliedmaßen und Gelenken kontrollieren lässt – wie ich es auf dem Steuer-Stuhl ChairIO ausprobieren durfte. Was jedoch nicht in den späteren Artikel passte: Haptische Wahrnehmung könnte nicht nur nachhaltig die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verändern, sondern die Kommunikation zwischen uns. Gefühle und Zustände wie „Bin im Stress“ lassen sich dabei nicht nur über die Vibrationen des Handies übertragen, sondern auch gezielt auf die Haut schicken.

Es sei zum Beispiel denkbar, dass man während eines harten Bürotages ein haptisches Unterhemd trage, um darüber aufmunternde Umarmungen von der Ehefrau zu empfangen, erklärte Schmidt. Vorteilhaft: Die Kollegen kriegen nichts davon mit, da sie die winzigen Vibrationsmotoren weder sehen noch hören können.

Schmidt musste selber lachen, als ich zu schmunzeln begann. „Ich habe in München mal einen Stundenten eine Literaturstudie über haptische Kommunikation machen lassen, die war in der ersten Version nicht jugendfrei.“, berichtet der Professor für Pervasive Computing und User Interface Engineering. Ganz abwegig ist sein Beispiel jedoch nicht, denn ein T-Shirt zum Urarmen war bereits 2006 dem Time Magazine den Titel Erfindung des Jahres wert. Mag die Assoziation zu Uhse Beate (Dreher ist gewollt, lieber Troll) auch stimmig sein, und noch erstaunlicher, Ted Nelson nicht nur als der Begründer des Begriffes „Hypertext“, sondern auch als der des „Teledildonics“ gelten, was spricht eigentlich dagegen? Die Haut ist mit bis zu zwei Quadratmetern Fläche nicht nur flächenmäßig das größte Organ des Menschen, sondern auch das funktionellste. (Ich überlasse es Ihnen, zu erörtern, an welcher Körperstelle wohl am feinfühligsten sind.)

Warum also eine solche Fläche für den Anzeige von Information bewusst ausblenden? (Jedenfalls nicht solange bis die direkte Kommunikation von Gefühlen und Gedanken von Gehirn zu Gehirn funktioniert, wie sie der amerikanische Physik-Professor Freeman Dyson als Antwort auf die die diesjährige Edge-Frage „Was wird alles verändern?“ vorhersagt.)

Würden beispielsweise Armbänder mit empfangsbereiten Vibrationsmotoren versehen, ließen sich damit kleine Kinder und Senioren intuitiver vor Gefahren warnen als so manches stupide Stoppschild es tut – vorausgesetzt natürlich die Gefahrenquelle tut ihr Potenzial per Funk kund.

Dass solche Anwendungen durchaus intim sein können, ohne aus der erotischen Ecke zu stammen, zeigen Julia Werner und Reto Wettach von der Fachhochschule Potsdam in ihrem Projekt „United Pulse“. Auf einem nicht vollständig geschlossenen Ring haben sie einen Vibrationsmotor montiert, der sonst im Nokia 7250 für Unruhe sorgt. Schließt nun der Ringträger die Lücke mit einer Fingerspitze, wird durch die leitende Haut der Stromkreis geschlossen und der Pulsschlag seiner Freundin, in kurze Vibrationen übersetzt, für ihn spürbar. Eine solche drahtlose Verbindung dürfte nicht nur frischverliebte Paare in der Fernbeziehung erfreuen, sondern auch so manchen Anbieter von Telefonnetzen, die ja immer bestrebt sind, sich ihre Infrastruktur durch einen zusätzlich angebotenen Dienst bezahlen zu lassen. Das Datenvolumen der gefunkten Berührungen kann nicht viel größer sein, als das der in die Tage gekommenen SMS. Sicherlich ergibt sich auch Missbrauchspotenzial in Form von Fern-Folter, aber man sehe es doch mal so: Ob Sie nun während einer Besprechung in einem sauerstoffarmen Konferenzraum sich fragen, ob hinter den Zuckungen ihres Chefs seine Ehefrau steckt, die ihn aus der Ferne für die nicht weggeräumte Kaffeetasse mit Kitzel-Attacken bestraft, oder sie an ihrem Ringfinger den Herzschlag ihrer besseren Hälfte spüren, ein Schmunzeln ist garantiert. (wst)