Nanorost

Wie stabil sind eigentlich Nanostrukturen? Zwei überraschende Befunde jenseits der Debatte über die Probleme Drexler'scher Nanomaschinen.

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Von
  • Niels Boeing

Ein Motiv, das sich seit langem durch die Hoffnungen in die Nanotechnik zieht, ist das der atomaren Präzision. In einer starken Formulierung soll sie in Eric Drexlers Nanomaschinen-Konzept realisiert werden, in dem Einzelatome wie letzte Bausteine exakt zu winzigen Apparaten und Strukturen zusammengefügt werden.

Dagegen hat sich bald Widerspruch geregt. Richard Smalley, einer der Entdecker der Buckyballs, stritt sich 2003 heftig mit Drexler über die „Klebrigkeit“ („stickyness“) von dessen nanoskopischen Roboterarmen und hielt ein kontrolliertes Binden und Ablösen von Atomen für unmöglich. Richard Jones hat in einer späteren kritischen Analyse auch darauf hingewiesen, das Nanomaschinenteile aufgrund thermischer Bewegung eher die Konsistenz von Wackelpeter hätten als von diamantartigen Gebilden.

In der schwachen Formulierung wird angenommen, dass ausgedehnte Nanostrukturen oder Strukturen aus Nanoobjekten in ihren Eigenschaften getunet werden können und stabil bleiben. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine künftige Nanoelektronik, die ab etwa 2020 benötigt wird.

Angesichts dessen war ich verblüfft über ein Ergebnis von spanischen Wissenschaftlern an der Universität Castilla de la Mancha, die die Möglichkeit von „Nanorost“ entdeckt haben (Abstract bei IOP). Sie betrachteten Schichten aus Kobalt-Clustern, die mit einer Schutzschicht aus Kobalt oder Titan bedeckt wurden. Doch ganz gleich, ob die Schicht 200 Nanometer oder bis zu einen Mikrometer dick war: Innerhalb von kurzer Zeit – Stunden bis wenigen Tagen – waren Sauerstoffatome hindurch gewandert und hatten die Kobalt-Cluster oxidiert. Aus der Hysteresekurve unter dem Einfluss eines äußeren Magnetfeldes schlossen sie, dass die Schicht überall gleichmäßig oxidiert war.

Bereits vor zwei Jahren hatte eine Gruppe an der ETH Lausanne berichtet, dass Silber-Cluster in einer Silizium-Matrix instabil waren und ebenfalls oxidierten (Abstract bei IOP). Das hatte zur Folge, dass der Effekt der Plasmonen-Resonanz – der etwa ausgenutzt wird, um Glas mittels Nanopartikeln ohne Farbstoffe einzufärben – verloren ging.

Mir fallen in diesem Zusammenhang zwei nette Kleinigkeiten aus der Sciencefiction ein: zum einen die nie näher ausgeführte „Siliziumpest“ in Frank Herberts „Wüstenplanet“ (Dune), die zu einem Versagen der Computertechnik führte (in der Enzyklopädie auf „3678 vor der Gilde“ datiert); zum anderen die großartige Geschichte „Alles hat seinen Preis“ (Pay for the Printer, 1957) von Philip K. Dick. In der sind die Menschen zu Fabrikationsanalphabeten geworden und müssen sich alle Gegenstände von einem gutmütigen Alien, einem „Biltong“, kopieren lassen. Je älter der Biltong wird, desto schlechter wird die Qualität seiner Kopien, so dass sich eben noch funktionstüchtige Rasenmäher in Kürze in unbrauchbare Metallklumpen verwandeln.

Nun ist ein Rasenmäher eine Festkörperstruktur. So schlimm wird’s nicht kommen. Aber die Vorstellung, dass Nanostrukturen so instabil sein könnten, finde ich schon beunruhigend.

Dass sich auf der Nanoskala Materialeigenschaften ändern, ist schon länger bekannt. Ein Beispiel nennt der deutsche Physiker Peter Buhler in seinem 2004 veröffentlichten Buch „Nanothermodynamics“: Goldnanopartikel mit einem Durchmesser von 2,24 Nanometern schmelzen bereits bei 400 Kelvin – das sind 938 Kelvin unter dem üblichen Schmelzpunkt von Gold. Zwar sind etwa medizinische Anwendungen von Goldnanopartikeln auch nicht für den Einsatz bei 400 Kelvin vorgesehen. Da wäre der Patient allemal hinüber.

Aber zumindest sollten wir uns darauf gefasst machen, dass die Nanothermodynamik noch einige Überraschungen für hochpräzise Nanosysteme bereithält. (wst)