Böse Gedanken

Die Grundlage für die Kinderporno-Sperre ist die Idee, dass schlechte, schlimme Gedanken offenbar ansteckend sind. Schon der erste Kontakt mit solchem Gedankengut infiziert bislang unschuldige, die damit zu gefährlichen radikalen, perversen werden.

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Nun ist es also geschehen: Am Freitagvormittag haben fünf große deutsche Internetprovider Verträge mit dem Bundeskriminalamt (BKA) unterzeichnet, mit dem sie den Zugang zu Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten erschweren wollen. Die kleinen Brüder haben die Kontrolle übernommen – in trauter Zusammenarbeit mit dem Staat werden private Unternehmen bereist in einigen Monaten Internetseiten blockieren, ohne dass irgendjemand die Kriterien für diese Sperrung überprüfen kann. Soviel erstmal zum vielgerühmten Thema Rechtsstaat.

Die Kollegen von der c't haben die Kritik an dieser Aktion dankenswerterweise sehr gut zusammengefasst – ich möchte aber auf einen geradezu verblüffenden Aspekt der Kinderschänder-Diskussion eingehen, der meiner Meinung nach bislang komplett unterschätzt wird: Die Grundlage für von der Leyens Aktion ist die weit verbreitete Idee, dass schlechte, schlimme Gedanken offenbar ansteckend sind. Schon der erste Kontakt mit solchem Gedankengut infiziert bislang unschuldige, die damit zu gefährlichen radikalen, perversen – oder gar beides auf einmal – werden.

Ich weiß, das klingt ungefähr so plausibel wie die Idee, dass Frauen nicht zu viel denken sollten, weil ihnen sonst das Gehirn überhitzt – aber der Gedanke ist offenbar nicht tot zu kriegen: In den 80er Jahren wollte mir beispielsweise ein Offizier der Bundeswehr, der eigens für den Bereich der politischen Bildung ausgebildet worden war, ganz ernsthaft erklären, man dürfe das "Kapital" von Marx nicht im Original lesen. Sonst bestünde die Gefahr, dass man davon zu sehr beeinflusst würde.

Klang für mich schon damals auffallend ähnlich zu einem Programm zur Bekämpfung von Seuchen: Sperrt die Ansteckungsherde ab und isoliert die Kranken vom Rest der Welt. Ganz ähnlich funktioniert auch die Eindämmung von "bösen" Gedanken: Bereits die Inquisition der katholischen Kirche um 1250 hat ihre Strategie bei der Bekämpfung der Ketzer an netzwerktheoretischen Erkenntnissen ausgerichtet – man muss die ketzerischen Schriften verbieten und versuchen, diejenigen zu finden, die am meisten Kontakt zu anderen Ungläubigen pflegen, um so das Netzwerk möglichst effektiv zu bekämpfen.

Ganz ähnlich denkt nun offenbar die Familienministerin: "80 Prozent der Nutzer der entsprechenden Seiten seien "Gelegenheitsnutzer", die sich durch die Sperren abschrecken ließen", erklärt sie laut Tagesthemen. Von der Leyen muss so argumentieren, denn sonst macht der ganze Plan keinen Sinn: Das Stoppschild vor der Website hält nur solche User ab, die eigentlich nicht wirklich an das Material herankommen wollen. Alle anderen, werden sich von ein bisschen virtuellem Flatterband nicht aufhalten lassen. Also muss die Welt nach von der Leyen so aus sehen: Zehntausende von mehr oder weniger ahnungslosen Porno-Surfern geraten irgendwie ganz zufällig auf Kinderporno-Seiten. Und dann schauen sie sich halt mal gelegentlich auch dieses Material an. Und wenn man denen ein Stoppschild vor die Nase hält, bleiben sie brav und unschuldig.

Ich weiß nicht, in was für einer Welt die Familienministerin lebt. Aber ich hätte gerne eine andere. (wst)