Zurückgehaltene Technik

Es gibt so viele schöne Dinge, die man von heute auf morgen einführen könnte, wenn nur bestehende Monopole, industrielle Absprachen oder bremsende Erbsenzähler nicht wären. Da ist es fast verwunderlich, wie weit die Welt dann trotzdem immer wieder kommt.

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Ich habe ein hübsches Handy, aber der Tarif meines Netzbetreibers ist mir zu teuer. Deshalb würde ich gerne seinen Datendienst nutzen, um auf einen Internet-Telefonie-Service zuzugreifen. Doch leider geht das nicht, weil der Mobilfunkanbieter solche Dienste blockiert - er will nämlich, dass er sein Geschäftsmodell behalten kann, und das geht eben von teurer Sprachtelefonie aus.

Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, was passiert, wenn Technik zur Stützung alteingesessener Pfründe zurückgehalten wird: Sie würde problemlos funktionieren, nur man stoppt sie, weil man es kann.

Als wichtige Waffe gegen den technischen Fortschritt erweist sich auch das Urheberrecht, das qualitativ hochwertige geistige Erzeugnisse doch eigentlich befördern sollte. So haben es sich die Medienkonzerns in den letzten Hundert Jahren eigentlich nie nehmen lassen, gegen Produkte ihren Protest einzulegen, die ihre bisherigen Geschäftsmodelle angeblich bedrohten. Das ging los bei der Schallplatte, die das Geschäft mit Notenblättern dezimierte, setzte sich fort mit dem Videorekorder, dessen Hersteller sich gegen Hollywood verteidigen mussten und endete noch lange nicht beim Vorgehen gegen die Digitalisierung der Musik in Form von MP3-Dateien, was dazu führte, dass schließlich andere den Reibach machten.

Inzwischen streitet man sich gar darüber, ob Zitate im Internet Geld kosten sollen, weil man es nicht schafft, Werbeflächen ordentlich zu vermarkten. (Spaßigerweise brachte und bringt in all diesen Fällen die neue Technik auch gleich frische Geschäftsmodelle mit sich, die lukrativer waren und sind als die alten, aber das ist eine andere Geschichte.)

Damit sich frische Dinge doch einmal durchsetzen, bedarf es in erstaunlich vielen Fällen entweder staatlicher Eingriffe in Form von Regulierungsbehörden, die ihre Aufgabe ernst nehmen, Lobbyorganisationen, die Kundeninteressen konsequent vertreten oder Firmen, die es darauf anlegen, den Status Quo zu brechen. Mein Lieblingsbeispiel ist hier Apple: Der Computerkonzern hatte noch nie Probleme damit, selbst eingefleischte Fans zu verärgern, um technische Änderungen durchzusetzen. So war die Firma die erste, die noch im Modemzeitalter Diskettenlaufwerke strich und das neue Peripherieanschlussformat USB flächendeckend einführte - zu einer Zeit, als es noch kaum dafür passende Hardware gab. Man muss, so scheint es, auch einmal Mut zeigen, damit sich etwas tut.

Im Bereich der Automobile sieht man allenthalben ebenfalls viel Zögerlichkeit. Die aktuelle Krise der PKW-Industrie ist zu großen Teilen hausgemacht. Moderne Technologien werden für Konzeptautos verwendet, während man weiter Spritschlucker am Fließband baut. Da ist schon sehr schön, wenn eine Firma wie Renault Nissan sich traut, massiv in E-Autos zu investieren, auch wenn der Rest der Industriewelt solche Pläne belächeln mag.

Und um zum Schluss einmal zu den Erbsenzählern zu kommen: Die regieren leider oft genug auch in der Forschung. Ich habe kürzlich einen spannenden Fernsehbeitrag über das Weizmann Institute of Science in Israel gesehen, in dem sich dessen Präsident Daniel Zajfman über die wissenschaftliche Strategie äußerte. Er meinte darin, dass es wichtig sei, produktspezifisch zu arbeiten, gleichzeitig aber die Grundlagenforschung nicht zu vergessen. "Grundlagenforschung oder Forschung, die durch Neugier getrieben wird, heißt, dass man Antworten auf Fragen findet, die man gar nicht gestellt hat." Sein Lieblingsbeispiel: Niemand wäre auf die Idee gekommen, einfach so nach Röntgenstrahlen zu suchen. Nur, und das ist wichtig: Für Grundlagenforschung muss erst einmal bezahlt werden. (wst)