Mission to Earth

40 Jahre Mondlandung: Der "Aufbruch ins All" ist heute nur noch von symbolischem Wert. Das Denken, das die klassische bemannte Raumfahrt beflügelte, hat keine Zukunft.

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Von
  • Niels Boeing

Morgen ist es vierzig Jahre her, dass die Apollo-11-Mission zu ihrem legendären Mondflug aufbrach. Knapp fünf Tage später betraten Armstrong und Aldrin den Erdtrabanten. Bei der ungeheuren Ingenieurleistung des Apollo-Programms kann man sich durchaus wundern, dass so wenig Aufhebens um dieses Jubiläum gemacht wird.

Aber seien wir ehrlich: Der einstige Aufbruch des Menschen ins All ist nur noch von symbolischem Wert.

Die bemannte Raumfahrt der sechziger Jahre ist für mich nicht der Beginn, sondern der Zenith einer Epoche gewesen – der Epoche eines technischen und biologischen Determinismus, der zwar noch nicht ganz überwunden ist, aber doch mehr denn je in Frage gestellt wird.

Dieses Weltbild hat der deutschstämmige NASA-Manager Jesco von Puttkamer – einer der damaligen strategischen Denker für die Erschließung des Weltraums – in seinem 1981 erschienenen Buch "Der erste Tag der neuen Welt" beschrieben:

"Das Leben ist eine Kraft, die sich auf der Erde seit vier Milliarden Jahren behauptet hat, die sich wie ein Grasfeuer über den Planeten ausdehnte und ihn nun stellenweise buchstäblich bis an den 'Rand' füllt. Leben von der Erde hat bereits den Mond erreicht und ist im Begriff, seine Fernmeßfühler in die Milchstraße hinaus zu erstrecken. Dieses Leben wird sich noch weitere Jahrmillionen behaupten und zu seiner Erhaltung dem Ausdehnungstrieb auch in das Weltall folgen müssen. Wenn unsere Existenz überhaupt einen Sinn hat, dann ist es allein dies, was den fundamentalen Grund für Evolution unserer Intelligenz darstellt."

Als von Puttkamer das Buch schrieb, war kurz zuvor das erste Space Shuttle gestartet. Zwar hatte sich die NASA da schon von ihrem früheren, ehrgeizigen Plan verabschiedet, noch vor dem Jahr 2000 eine bemannte Mission zum Mars zu schicken. Aber von Puttkamer war noch überzeugt, dass eine internationale Raumstation vor Ende der achtziger und eine permanente Mondbasis in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre installiert werden könnten.

Auf derselben Seite, auf der das Zitat steht, ist auch die Illustration einer "Raumkolonie in der Umlaufbahn" abgebildet, und die Bildunterschrift beginnt mit den verheißungsvollen Worten: "Unbegrenztes Wachstum..."

In dieser klassischen Vorstellung der bemannten Raumfahrt kommen mehrere Denkweisen zusammen: die Jahrtausende alte Tradition, Probleme durch Auswandern zu lösen; die "Suche nach neuem Lebensraum" (O-Ton von Puttkamer) für die besseren Menschen von morgen; und der Wachstumsimperativ, der die Zivilisation Ressourcen in sich hineinschaufeln und Abfälle ausspucken lässt.

Nachhaltig ist was anderes.

Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet der kalte Krieger George W. Bush vor fünfeinhalb Jahren dieses Denken noch einmal zum Leitmotiv machte, als er verkündete, bis 2020 solle endlich der Sprung zum Mars gelingen. Aber da war es längst anachronistisch geworden.

Dass kluge Köpfe im Ernst glaubten, das Problem der Überbevölkerung sei rechtzeitig durch einen Exodus ins All zu schaffen, mutet heute absurd an. Seit den goldenen Tagen der bemannten Raumfahrt hat sich die Erdbevölkerung verdoppelt. Die Orbitalstädte, die damals als große Vision galten, hätten bestenfalls für die Happy Few dieses Planeten gereicht. Und selbst wenn ein Terraforming, eine Umwandlung der Marsatmosphäre für menschliche Bedürfnisse möglich wäre, würde sie noch Jahrtausende dauern.

Für die Rückkehr zum Mond und den Betrieb einer permanenten Basis dort werden allen Ernstes Einweg-Raketen anvisiert. Man stelle sich vor, sämtliche Schiffe und Hubschrauber, die am Bau einer Bohrinsel beteiligt sind, würden versenkt, nachdem sie Fracht und Personal abgeliefert haben. Auch wenn das Space Shuttle von Anfang an ein fauler Kompromiss war, stimmte zumindest der Ansatz. Ein konsequentes Nachfolgemodell für eine wiederverwendbare Raumfähre, die auch noch den Mond erreichen könnte, ist aber nicht in Sicht.

Was für von Puttkamer nur ein Nebenaspekt war, hat sich in den letzten vierzig Jahren hingegen zur eigentlichen Bestimmung der Raumfahrt entwickelt: die "Fernmessfühler". Der erdnahe Weltraum ist zu einer Sensorhülle geworden. Ins All gerichtete Orbitalteleskope wie Hubble oder Chandra erweitern beständig unser Bild des Weltraums, und "nach innen" gerichtete Satelliten liefern wertvolle Daten über das Ökosystem Erde. Da stimmt auch das Preis-Leistungsverhältnis, obwohl für mich das Kostenargument gegen die bemannte Raumfahrt nicht an erster Stelle steht. Das Apollo-Programm hat damals 25 Milliarden Dollar gekostet, was heute etwa 140 Milliarden Dollar entspricht. Im Vergleich zu den jetzigen Rettungspaketen für die Weltwirtschaft ist das längst keine astronomische Summe mehr.

Dass ein Abschied von der bemannten Raumfahrt eine Absage an künftige Innovationen ist, glaube ich nicht. Die NASA hat zwar eine rührende Übersicht aller technologischen Spin-offs aus der Raumfahrt zusammen gestellt. Aber die beweist nicht, dass diese Innovationen ohne die bemannte Raumfahrt der sechziger Jahre prinzipiell nicht möglich gewesen wären.

Den symbolischen Wert des Apollo-Programms sollte man aber nicht gering schätzen. Sie hat gezeigt, was sich in kürzester Zeit bewegen lässt, wenn Politik und Industrie für ein großes Ziel an einem Strang ziehen. Und sie hat uns jene grandiosen Aufnahmen des blauen Planeten beschert, die vielen die Augen für die Fragilität unserer Welt geöffnet haben. Die größte Mission der kommenden Jahrzehnte ist deshalb nicht die Rückkehr zum Mond oder der Sprung zum Mars, sondern das Management eines einmaligen kosmischen Habitats: der Erde. Und Barack Obama scheint begriffen zu haben, dass diese "Mission to Earth" höchste Priorität hat. (wst)