Guter Bube, böser Bube

Das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi ist auf dem besten Weg, zum erfolgreichsten Arzneimittel aller Zeiten zu werden. Eine Pille kostet 1000 Dollar, und eine Schlüsselrolle bei ihrer Entwicklung haben Raymond Schinazi und Dennis Liotta gespielt.

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  • Katja Ridderbusch
Inhaltsverzeichnis

Das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi ist auf dem besten Weg, zum erfolgreichsten Arzneimittel aller Zeiten zu werden. Eine Pille kostet 1000 Dollar, und eine Schlüsselrolle bei ihrer Entwicklung haben Raymond Schinazi und Dennis Liotta gespielt.

Jack Arbiser war 21, studierte Medizin an der privaten Emory-Universität in Atlanta und ahnte nicht, dass seine Kupplerdienste einmal die Pharmaforschung umwälzen würden. Er hatte mehrere Seminare bei dem aufstrebenden Chemieprofessor Dennis Liotta besucht und machte während des Sommers ein Praktikum im Labor des Virologen Raymond Schinazi.

"Ich fand, dass die beiden ein gutes Team sein könnten", sagt Arbiser. "Schließlich arbeiteten sie auf die gleichen Ziele hin" – nämlich Wirkstoffe gegen Viren zu finden. Arbiser drängte seine beiden Lehrer immer wieder, sich zu treffen. Die winkten zunächst ab. Und taten es 1983 doch.

Es war der Beginn einer wissenschaftlich überaus fruchtbaren Freundschaft. Dennis Liotta und Raymond Schinazi haben seither nicht nur die HIV-Therapie revolutioniert. Die beiden Forscher haben auch eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Hepatitis-C-Medikaments Sofosbuvir gespielt, der derzeit wohl erfolgreichste und gleichzeitig umstrittenste Wirkstoff in der Medizin. Unter dem Markennamen Sovaldi ist es seit Ende 2013 in den USA und seit Anfang 2014 in Europa erhältlich. Die Arznei verspricht eine 90-prozentige Heilungschance für die bis dahin meist chronisch und nicht selten tödlich verlaufende Virusinfektion – bei weniger Nebenwirkungen.

Berühmt aber wurde das Mittel wegen seines Preises: als "1.000-Dollar-Pille". Die Kosten für eine Zwölf-Wochen-Therapie belaufen sich in den USA auf 84000 Dollar – 1000 Dollar pro Tag. Oder auch höher, wenn Sovaldi mit anderen Medikamenten kombiniert werden muss. Allein im ersten Jahr nahm das Unternehmen Gilead Sciences aus Foster City, Kalifornien, mit Sovaldi 10,3 Milliarden Dollar ein.

Das Medikament ist damit auf dem besten Weg, zum umsatzstärksten aller Zeiten zu werden. Lange sperrten sich die deutschen Krankenkassen dagegen, die vollen Kosten zu erstatten. Mitte Februar einigten sie sich mit Gilead auf einen Preis von rund 41000 Euro pro Therapie – umgerechnet 488 Euro pro Pille. So ist dies einerseits die Geschichte zweier herausragender Forscher mit einem mindestens ebenso herausragenden Gespür für ein gutes Geschäft – andererseits aber auch eine über die Frage, wie hoch der Preis des Fortschritts sein darf.

Wer Raymond Schinazi und Dennis Liotta zum ersten Mal trifft, hat keineswegs den Eindruck eines wohl geölten, sich organisch ergänzenden Forscherteams. Liotta, 66, ist ein kleiner, drahtiger Mann mit flinken Schritten, gegerbter Haut und munteren schwarzen Knopfaugen hinter einer etwas zu großen Brille. Dahinter erscheint sein Blick zunächst streng, fast unwirsch, und dann zunehmend neugierig und mit einer guten Portion Schalk. Er spricht leise, ruhig, setzt seine Worte behutsam.

Schinazi, 65, betritt dagegen einen Raum nicht einfach. Er tritt auf. Groß, polternd, von mächtiger Statur. Mit wuchtigem Ego und wuchtiger Präsenz – und Pranken statt Händen, mit denen er Liotta bei fast jeder ihrer Begegnungen zur Begrüßung scherzhaft in den Schwitzkasten nimmt. Liotta quittiert das ihm offenbar wohlvertraute Ritual mit einem befreiten Lachen.

Geniale Geister, heißt es, hätten häufig eine einzige große Idee in ihrem Leben. Liotta und Schinazi hatten viele gute Ideen, aber es war vor allem eine, die ihre Forscherkarriere prägte und entscheidend zur Entwicklung hochwirksamer Medikamente gegen das HI- und das Hepatitis-C-Virus beitrug: der Einsatz von Nukleosid-Analoga. Nukleoside sind die chemischen Bausteine der Erbgut-Moleküle DNA und RNA. Die Analoga sind ihre synthetischen Varianten. Wenn das Virus sie aufnimmt, hemmen sie dessen Erbgut-Synthese und verhindern damit, dass sich das Virus vermehrt. Seit den 50er-Jahren experimentieren Wissenschaftler bereits mit Nukleosid-Analoga. Doch es waren Schinazi und Liotta, die den Einsatz der falschen Bausteine gegen HIV und Hepatitis C entscheidend vorantrieben.

Sovaldi blockiert das Erbgut des Hepatitis-C-Virus und verhindert dessen Vermehrung. Die infizierten Zellen sterben, das Virus verschwindet aus dem Körper der meisten Patienten. Anders als seine Vorgänger ist Sovaldi bei allen bisher bekannten Varianten des Hepatitis-C-Virus einsetzbar – und damit auch deutlich wirkungsvoller. "Sovaldi behandelt Hepatitis C nicht nur", sagt Schinazi. "Es heilt die Krankheit. Es eliminiert das Virus." Bei der bisherigen Standardtherapie aus Interferon und Ribavirin dauert die Behandlung im Schnitt 48 Wochen, die Kosten liegen mit 30.000 Dollar bei einem Drittel von Sovaldi. Allerdings liegt die Heilungsquote nur bei gut 50 Prozent.

Seit 1989, als das Hepatitis-C-Virus erstmals identifiziert wurde, arbeiteten die beiden Wissenschaftler an einem Medikament. 1998 gründeten sie das Biotech-Start-up Pharmasset und meldeten das Patent für einen Wirkstoff gegen Hepatitis C an. 2012 kaufte der Pharmakonzern Gilead die Firma, allein Schinazi erhielt für seine Anteile 440 Millionen Dollar. Insgesamt legte Gilead elf Milliarden Dollar auf den Tisch – in der Hoffnung auf einen Blockbuster. Dass diese sich nun auf derart spektakuläre Weise erfüllt hat, zieht die Frage nach sich: Ist das Medikament abstrus überteuert?

Schinazi – in seinem Büro mit dieser Frage konfrontiert – lässt sich in den Stuhl hinter seinem großen Holzschreibtisch sinken und wirkt für einen kurzen Moment wie ein leicht belustigter, schläfriger Buddha. Doch die Preisfrage des Medikaments lässt ihn ganz schnell wieder wach werden. Mit einer knappen Handbewegung schiebt er die Argumente der Kritiker beiseite – von Krankenkassen über Verbraucherschützer bis zu Ärzten. "Das ist ein guter Preis", sagt er. Sein harter südeuropäischer Akzent lässt ihn besonders energisch klingen, und seine Augen blitzen herausfordernd. "Eigentlich ist Sovaldi sogar ein Schnäppchen." Man müsse das neue Hepatitis-C-Medikament nur mit einigen Krebstherapien vergleichen. "Die geben dem Patienten vielleicht drei Monate mehr Lebenszeit. Aber sie haben schwere Nebenwirkungen, bringen keine Heilung und kosten gern mal 200.000 Dollar."

Wie sieht das sein Kollege Dennis Liotta? Wenige Kilometer entfernt, im Herzen des Universitätscampus, sitzt er in seinem Büro auf einer schwarzen Kunstledercouch, schaut immer wieder kurz auf den großen Flachbildschirm an der Wand. Liotta ist ein mentaler Multitasker, seine Aufmerksamkeit springt blitzschnell zwischen E-Mails und Gespräch hin und her, und der Post-Eingangston erklingt oft an diesem Vormittag. Auch er hält nichts davon, den Markt künstlich zu regulieren. "Das würde Firmen nur davon abschrecken, Risiken einzugehen und innovative Medikamente zu entwickeln." Im Unterschied zu Schinazi gesteht Liotta jedoch zu, dass es wünschenswert sei, hätten mehr Patienten Zugang zu Sovaldi. Dies aber könne langfristig "der Wettbewerb regeln". Wenn es mehr hochwirksame Hepatitis-C-Medikamente gebe, würden die Preise automatisch fallen – auch wenn es derzeit noch nicht danach aussieht: Das Konkurrenzprodukt Viekira Pak vom US-Pharmakonzern AbbVie kostet 83300 Dollar pro Behandlungszyklus, nur 700 Dollar weniger als Sovaldi.