Das kostet zwei Google fünfzig

Jede Woche ein neuer Google-Dienst. Verwandelt sich die einstige Suchmaschine in einen unübersichtlichen Gemischtwarenladen? Mitnichten! Wir enthüllen weltexklusiv Googles Strategie für den Weg zur Weltherrschaft.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Mario Sixtus

Zu Zeiten des kalten Krieges war einer der exotischsten Jobs unter westlichen Journalisten der, des so genannten Kremologen. Das waren professionelle Seher, denen kleinste verbale Andeutungen, Änderungen in der Sitzordnung des Zentralkomitees oder der auffallend kurze Applaus nach einer dreistündigen Rede ausreichten, um daraus hochkomplexe Politik-Szenarien zu basteln. Die Sowjet-Spökenkieker lebten in der Nische der Nicht-Information. Die offiziellen Verlautbarungen der Kreml-Lenker waren derart frei von Inhalt, dass Medien und Öffentlichkeit ein verständliches Interesse an zielgerichteter Spekulation hatten.

In den letzten Jahren hat diese fast vergessene Sportart neue Anhänger gefunden. Der Fokus der nächsten Orakel-Generation richtet sich jedoch nicht mehr auf den Roten Platz in Moskau, sie schaut vielmehr mit Vorliebe in Richtung Googleplex, Mountain View, Kalifornien, USA. Kein Wunder, ist doch die Informationspolitik von Google in etwa identisch mit der des verblichenen Zentralkomitees der KPdSU: Googles Börsenmitteilungen beschränken sich auf das Nötigste, Erläuterungen zur Strategie finden nicht statt und vor allem: offizielle Ankündigungen neuer Dienste sind einfach unglaublich 20-tes Jahrhundert. Google stellt sie stattdessen einfach ins Web und wartet, bis die Blogger sich darum balgen. Viel Raum fürs Rätselraten also.

Bei Technology Review sind wir immer aufgeschlossen für neue Trends, daher wird der Autor heute seine Kristallkugel besonders gut polieren und sich als Googologe betätigen. Beginnen wir mit ein paar Fakten. Der Flohmarkt Google Base, die virtuelle Videothek Google Video, Google-Dieses, Google-Jenes: Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neuer Service aus dem Web sprießt, der das Google-Etikett trägt. Mutiert das Bällchen-Unternehmen zum Gemischtwarenladen? Verzettelt es sich zwischen Suchmaschine, Anzeigenverkauf und Multimediavertrieb? Welches große Bild sollen all diese Puzzle-Stücke einmal ergeben? Wo ist der rote Faden, der aus den Google-Flicken zumindest eine hübsche Patchwork-Decke näht?

An dem wird bereits fleißig gesponnen und diesmal gibt es dazu sogar so etwas ähnliches, wie eine Ankündigung. Google wird künftig ein Bezahlsystem in seine Dienste implementieren, erfahren wir im Google-Blog, und das, so unsere Prophezeiung, wird nicht etwa Yet-another-Google-Service sein, sondern vielmehr der Rahmen, der all die bunten Mosaiksteinchen zusammenhält, der Plot-Point, der dem Drehbuch des Google-Films endlich einen Sinn gibt. (Wer mag, darf sich jetzt die Titelmusik von Stanley Kubricks 2001, Richard Straussens "Also sprach Zarathustra", dazu vorstellen.)

Google verwandelt sich also in eine Institution, bei der man ein Konto hat, in einem Ort, an dem Geld hin und her geschoben wird. Im Volksmund nennt man so etwas gemeinhin eine Bank. Aber Google transformiert nicht in irgendein landläufiges Geldinstitut, sondern in eines, mit angeschlossenem Kaufhaus. Videos und Musik: erste Etage. Im Basement finden Sie unseren Flohmarkt von Privatverkäufern und für Straßenkarten und Satellitenfotos nehmen sie bitte den Lift in die zweite Etage.

Bekanntlich ist aber Google nicht nur ein Ort, an dem man fröhlich Geld ausgeben kann. Ob Tausender oder Taschengeld: Etliche Privatleute und gewerbliche Publizisten erhalten mittlerweile monatlich finanzielle Zuwendungen von Google, dafür, dass sie Textanzeigen auf ihre Webseiten geklebt haben. Warum sollte man dieses Geld künftig noch auf das eigene Girokonto transferieren, wenn man dafür so hübsch in der Google-Boutique Shoppen gehen kann?

Die Nebel lichten sich und wir erheischen einen Blick auf Googles Zukunft: Ein in sich geschlossenes Finanzsystem mit unzähligen Schnittstellen in die reale Welt. Eine papierlose Bezahlmethode, die in 50 Ländern dieser Erde akzeptiert wird. Google ist längst kein Bank- oder Kaufhaus mehr, Google ist eine Währung. Aber vielleicht hat ja auch die Kristallkugel einen Sprung und alles kommt ganz anders. Will jemand wetten? Der Mindesteinsatz sind zehn Google. (wst)