Hör mir auf mit Geld

Schon einmal wurde das Internet ausschließlich als Ort zum Geldverdienen begriffen. Wohin das führte, ist bekannt. Viele Wirtschaftsjournalisten haben aus diesem Fehler nichts gelernt.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Mario Sixtus

Warum treffen sich eigentlich erwachsene Menschen mit ihren Freunden am Baggersee? Schließlich bekommen sie kein Geld dafür. Warum kicken andere, ebenso erwachsene Menschen, am Wochenende auf einem staubigen Bolzplatz herum, wohlwissend, dass sie niemals Fußball-Profis werden können? Warum probt eine Hobby-Kapelle wacker zweimal wöchentlich Jazz-Standards, obwohl die Hand voll Auftritte im Jahr noch nicht einmal ihre Proberaummiete refinanziert? Wo sind eigentlich die Geschäftsmodelle?

Blöde Fragen? Denkfehler? Falscher Ansatz? Genau! Geht es um die oft abstrakte Welt des Internets, ist jedoch keine Frage zu blöd, kein Gedanke zu fehlerhaft und kein Ansatz zu falsch, um nicht trotzdem laut ausgesprochen zu werden. Vorreiter in dieser fragwürdigen Disziplin sind die Schreiberkollegen in den Wirtschaftsressorts.

Es ist so ermüdend, wie vorhersehbar. Kaum plöppt ein neues Phänomen der sozialen Interaktion aus dem Web, schon sind sie da, die Wirtschaftsjournalisten und ihre drei G-Fragen: Wieviel Geld wird damit verdient? Wo ist das Geschäftsmodell? Wird das so groß wie Google?

Seit die zweite Gründerwelle durchs Web rollt, werden besagte G-Fragen gerne mit der Warnung vor einem zweiten Dotcom-Hype gewürzt. Projekte, die kein Geld abwarfen, gab es schließlich auch Ende der 90er zuhauf, und bekanntlich endete das alles ganz böse. (Hier einen mahnenden Zeigefinger imaginierend.) "Vorsicht! Es geht wieder los."

Liebe Kollegen, auf die Gefahr hin euch zu erschrecken: Es geht gar nicht ums Geld. Dass einige Leute im Netz durchaus gute Geschäfte machen und andere das bislang nur versuchen, ist unbenommen. Seinen Fokus auf diesen Aspekt zu konzentrieren, ist ungefähr so legitim, wie nach einem Flughafen-Zwischenstopp in Lima einen Reiseführer über Peru zu schreiben.

Natürlich wird immer irgendwie und irgendwo auch Geld gemacht. Der Baggersee hat schließlich ebenfalls ökonomische Nebenwirkungen. Eisverkäufer verdienen hier ein paar Euro, der öffentliche Personennahverkehr erhöht seine Auslastungsquote, die eine oder andere Kühltasche wird in diesem Kontext sicher auch gekauft. Besitzt das Konzept Baggersee dadurch ein Geschäftsmodell? Nö. Weswegen uns bislang glücklicherweise Wirtschaftsreportagen über sonnenhungrige Freizeitschwimmer erspart blieben.

Das Internet, liebe Kollegen, ist quasi der Baggersee unter den Medien. Es ist – trotz Ebay, Amazon und Co. – nur nebenbei ein Wirtschaftsraum. Primär ist das Netz ein Ort der Kommunikation und der sozialen Interaktion. Wie ein Bolzplatz oder ein Proberaum. Menschen sind so. Sie reden gerne miteinander. Sie tauschen Ideen aus, diskutieren, klopfen sich anerkennend auf die Schultern oder streiten sich tagelang. Warum sollten sie sich im Netz anders verhalten?

Und jetzt, liebe Kollegen, müsst ihr ganz tapfer sein: Auch viele Webprojekte haben mit Geldverdienen nichts zu tun. Es handelt sich um soziale oder meinetwegen auch kulturelle Phänomene, nicht jedoch um ökonomische. Es geht um Spaß und um das Miteinander, aber auch um Aufmerksamkeit und Anerkennung, manchmal sogar um den sozialen Status und um Gruppendynamik. Eigentlich genau so, wie dort draußen, im richtigen Leben. Denn da dreht sich bekanntlich auch nicht immer nur alles ums Geld. (wst)