Das vernachlässigte Potenzial der Nanotechnik

Während Nanoelektronik und Nanomedizin in aller Munde sind, fristet die Nanoenergietechnik noch ein Nischendasein. Vielleicht sollte beim nächsten Energiegipfel auch über den jüngsten Coup der kalifornischen Firma Nanosolar geredet werden.

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Von
  • Niels Boeing

Bislang konnte man den Eindruck gewinnen, dass der Hype um die Nanotechnik und das in sie investierte Venture Capital in einem krassen Missverhältnis stehen: Noch im vergangenen Jahr hatten die Wagniskapitalgeber in den USA nicht mehr als 375 Millionen Dollar locker gemacht – das waren 14, 8 Promille vom dortigen Venture-Capital-Kuchen. In Europa lagen die Zahlen noch niedriger.

Ein Coup der Firma Nanosolar lässt da nun aufhorchen: Die Kalifornier haben sich gerade 75 Millionen Dollar für den Aufbau einer Fertigung von Nanosolarzellen gesichert. In der Bay-Area von San Francisco soll eine Fabrik entstehen, die die Zellen produziert, während eine zweite Anlage in Berlin diese zu Solarpaneelen montieren soll. Jährlich 200 Millionen Zellen sollen 430 Megawatt Energie liefern, wenn die Produktion anläuft.

Der Deal von Nanosolar ist auch deshalb interessant, weil er eine bislang wenig beachtete Anwendung der Nanotechnik ins Rampenlicht rückt: die Gewinnung erneuerbarer Energie aus Nanostrukturen. Die sind bisher vor allem als Hoffnungsträger für eine künftige Computertechnik und für eine neue Nanomedizin präsentiert worden. Dabei hat die Nanotechnik das Zeug, uns eine Art künstliche Photosynthese zu ermöglichen.

Die Pionierarbeit hierzu leistete in den Achtziger Jahren vor allem die Forschungsgruppe um Michael Grätzel am Polytechnikum Lausanne. Sie fand heraus, dass ein Gemisch aus Titandioxid-Nanopartikeln und Farbstoffmolekülen die Energie von einfallendem Licht in Strom umwandeln kann. Weil dazu hauchdünne Schichten (etwa 200 Mikrometer dick) genügen, lässt sich das Gemisch auch auf flexible Kunststofffolien aufbringen. Die Technik wurde später von Konarka Technologies lizenziert, die 2004 auch die Nanosolarzellforschung von Siemens kauften.

Die forschte, neben anderen Gruppen wie der um Kees Hummelen an der Reichsuniversität Groningen, an einem Gemisch aus elektrisch leitfähigen Polymeren, die mit Buckyballs (den 60-atomigen „Nanofußbällen“ aus Kohlenstoff) versehen sind. Den dritten wichtigen Ansatz für Nanosolarzellen hat eine Gruppe um Paul Alivisatos an der Universität Berkeley entwickelt, die versucht, Lichtsammler aus Quantenpunkten zu konstruieren.

Bislang ist es keiner Gruppe gelungen, die Nanosolarzellen aus dem Stadium eines Prototypen zu bringen – und dies zu einem Zeitpunkt, da die Solarzellbranche mit Lieferengpässen bei Silizium kämpft, die das Grundmaterial für heutige Solarzellen darstellen. Die neue Wagniskapitalrunde bei Nanosolar könnte da das Zeichen für eine bevorstehende Kommerzialisierung der ultradünnen, flexiblen Nanosolarzellen sein.

Die ist auch dringend nötig, denn neue Forschungsergebnisse zum Klimawandel aus den vergangenen Monaten zeigen, dass unsere derzeitige fossile Energiewirtschaft durch die mit ihr verbundenen CO2-Emissionen keine Zukunft haben kann. Und eine Renaissance der Atomkraft ist meines Erachtens aus verschiedenen Gründen inakzeptabel.

Ich würde deshalb so weit gehen zu sagen, dass Nanoenergietechnik zusammen mit Nanomedizin die wichtigste Anwendung von Nanotechnik überhaupt in den kommenden Jahrzehnten ist. Doch während vor allem die Forschung an Nanoelektronik hierzulande inzwischen einen mächtigen Aufschwung bekommen hat, befindet sich Nanoenergietechnik immer noch unterhalb des Radars der Forschungsförderer und Investoren. Darüber sollte beim nächsten Energiegipfel dringend geredet werden, anstatt um Kohlesubventionen, Netzregulierung und AKW-Laufzeiten zu streiten. (wst)