Nanostraßen für Nanocargo

Auf molekularen Baustellen könnte es bald zugehen wie auf ihren Gegenstücken der Makrowelt - dank eines cleveren Verfahrens, dass Dresdner Forscher entwickelt haben.

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Von
  • Niels Boeing

Wer bisher einzelne Nanoobjekte auf einer Oberfläche hin und her bugsieren wollte, war im Wesentlichen auf Rastersondenmikroskope angewiesen. Deren Spitzen laufen zwar in wenigen Atomen zusammen. Aber der Apparat dahinter ist vergleichsweie riesig, so als ob man eine Erbse mit einem auf den Kopf gestellten Eiffelturm herumrollen wollte.

Was fehlte, waren Nanoförderbänder, die selbständig viele einzelne Moleküle transportieren können. Deshalb waren die Nanotechnologen schon vor Jahren von dem Eiweiß Kinesin so fasziniert: In Zellen arbeitet es wie ein Lastenträger, der mit hocherhobenen „Händen“ (in Wirklichkeit zwei bewegliche Molekülgruppen) die langen Mikrotubuli weiterreicht – ähnlich wie auf Rockkonzerten der wilderen Art Fans von Hunderten Händen über den Köpfen Richtung Bühne geschoben werden.

Es ist möglich, Schichten aus Kinesin-Molekülen anzulegen, die bei Kontakt mit einem Mikrotubulus sofort beginnen, diesen weiterzuschieben. Das ganze ist aber ähnlich unorganisiert wie auf Rockkonzerten, es geht einfach nur vorwärts. Deshalb wurde bisher überlegt, ob man das ganze einfach auf den Kopf stellen sollte: Einzelne Kinesin-Moleküle bewegen sich auf einem fixierten Mikrotubulus und schleppen dabei eine Last mit sich, so wie auf diesem Bild.

Forscher um den Physiker Stefan Diez vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden haben nun einen cleveren Ansatz gefunden, wie man einem Kinesin-Rasen die Ziellosigkeit austreibt: Sie bauten in diesen Polymermoleküle ein, die Ordnung in den Transportverkehr bringen können (publiziert in Nano Letters, kostenpflichtig).

Je nach Temperatur können diese Polymere zwei Formen annehmen: Unter 33 Grad sind sie ausgedehnt und wirken wie Poller, die die Vorwärtsbewegung der Mikrotubuli blockieren. Darüber rollen sie sich zusammen und geben den Weg frei. Quasi eine Nanoausgabe jener im Asphalt versenkbaren Barrieren, die manchmal an Grenzübergängen oder an Einfahrten zu Hochsicherheitstrakten installiert sind, wie dieses Bild auf newscientist.com zeigt. Daraus ließen sich Weichen und Wege bauen, wie Animationen auf der Seite der Diez-Gruppe verdeutlichen.

Bereits im Mai hatte die Gruppe von Cees Dekker ein System aus mit Kinesin bedeckten Kanälen auf einem Siliziumwafer präsentiert, in denen die Mikrotubuli wie Flöße auf Wasserwegen transportiert werden. Der Vorteil des Dresdner Konzepts ist, dass der Siliziumuntergrund nicht vorstrukturiert werden muss. Der reale Straßenverkehr ist ja auch flexibler als die Binnenschiffahrt.

Für die Nanoelektronikgemeinde ist das eine gute Nachricht. Denn die hätte gerne ein effizientes Nanotransportsystem zur Verfügung, mit dem sich auf einem Siliziumchip molekulare Elektronikbausteine selbständig anordnen lassen, ohne die Hilfe irgendwelcher Rastermikroskope oder Selfassembly-Verfahren, die sich nur schwer feintunen lassen.

Vielleicht entwickelt sich daraus demnächst eine kleine neue Technikdisziplin, die des Nanoverkehrsdesigners. Dann könnte es auf Nanobaustellen bald zugehen wie auf ihren Gegenstücken der Makrowelt – und die oft beschworenen Nanochips eines Tages doch Realität werden. (wst)