Nano-Elvis vs. Nano-Beatles

Eine Gruppe britischer Forscher hat drei Forschungsprojekte konzipiert, die den Traum des Solokünstlers Drexler doch Realität werden lassen könnten.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

„Thinking out of the box“ lautet ein beliebtes Credo der Innovationstheoretiker. Das klappt hierzulande nicht immer so gut. Vielleicht funktioniert es in Großbritannien besser. 20 Forscher haben sich dort im Januar für zwei Wochen zu einer „Ideas Factory“ zusammengefunden, um folgende Frage zu diskutieren:

„Können wir eine Apparatur entwerfen und bauen, das Atome oder Moleküle in einer beliebigen nutzer-definierten Anordnung arrangiert?“

Damit das keine akademische Übung blieb, hatte das britische Engineering and Physical Sciences Research Council 1,5 Millionen Pfund (EPSRC) für konkrete Forschungsprojekte ausgelobt, die aus diesem Brainstorming hervorgehen. Herausgekommen sind drei Projektentwürfe, die, sollten sie tatsächlich bewilligt und innerhalb von fünf Jahren realisiert werden, nur als revolutionär bezeichnet werden können:

1. eine molekulare Maschine, die software-gesteuert neue Materialien produziert,
2. ein Konzept für eine "rekonfigurierbare Nanomaschine" und
3. der Entwurf einer Art molekularer Maschinensprache samt Computer-Compiler, die einen Software-Entwurf in eine materielle Anordnung übersetzt.

Alle drei Projekte zusammengenommen würden auf den Prototypen eines „Materie-Compilers“ hinauslaufen. Wen das an Eric Drexlers Vision einer Molekularen Nanotechnologie erinnert, liegt nicht ganz falsch. Man kann das als neuesten Aufguss jenes Assembler-Humbugs abtun, den Drexler in seinem Buch „Engines of Creation“ vor über 20 Jahren beschrieb. Das allerdings wäre etwas voreilig.

Denn diesmal handelt es sich nicht um die üblichen Verdächtigen der amerikanischen Drexler-Gemeinde. Mit von der Partie war kein geringerer als der Physiker Richard Jones, Autor des Nanotech-Blogs Soft Machines, der Drexlers ursprüngliches Konzept vor einiger Zeit in einer dezidierten Kritik auseinander gepflückt hat. „Die Ideen sind so bestechend und die Teams so stark, dass weitere Forschungsgelder folgen werden“, schreibt Jones, der bislang nicht als Utopist aufgefallen ist. Er ist zuversichtlich, dass die beteiligten Forscher "dieses große Programm Realität" werden lassen.

Der entscheidende Punkt ist, dass die nicht nur außerhalb der Box der gängigen Nanoforschung, sondern auch der Drexler-Vision gedacht haben, die auf diamantartige Kohlenstoffverbindungen setzt. Sie haben vielmehr am jetzigen den Stand der Forschung angesetzt. Die molekulare Maschine des ersten Projekts ist folgerichtig eine Art künstliches Ribosom, in dem ein künstlich synthetisierter DNS-Strang als Informationsträger genutzt und ausgelesen wird, um molekulare Bausteine anzuordnen. Seit längerem haben Wissenschaftler wie Nadrian Seeman oder zuletzt Paul Rothemund eindrucksvoll das Potenzial von DNS für Nanokonstruktionen demonstriert. Die Drexler-Gemeinde hingegen scheint bis heute keine Notiz davon genommen zu haben.

Das zweite Projekt will ein „Nanoförderband“ für den Materietransport entwickeln. Moleküle sollen dabei auf einer exakt definierten Bahn (im Fachjargon: Trajektorie) mithilfe einer schaltbaren Energiezufuhr und eines Bewegungsmechanismus, der auf der Veränderung von Molekülgeometrien beruht, bewegt werden. Ob diese Elemente mechanisch oder optisch operieren, ist bislang nicht entschieden. Im dritten Projekt schließlich soll das geleistet werden, was die Computerpioniere vor Jahrzehnten schafften: einen Befehlssatz zu entwickeln, der molekulare Bewegungen, die am Rechner entworfen werden, steuern kann.

Die Idee eines Materie-Compilers, der eines Tages unsere bisherige industrielle Produktionsweise demokratisieren könnte, schwirrt bereits seit längerem nicht nur durch die Sciencefiction-Literatur, sondern auch durch die Technikwelt. Aus zwei Richtungen nähert man sich ihr an: Ingenieure vom Rapid Prototyping und 3D-Printing her und Wissenschaftler vom Bottom-Up-Paradigma der Nanotechnik, nach dem Objekte nicht aus Festkörpern herausgearbeitet, sondern aus ihren materiellen Bausteinen aufgebaut werden. Die Projekte der Ideas Factory stellen den bislang überzeugendsten Ansatz für die zweite Variante dar.

Das Ganze erinnert mich verblüffend an die Geschichte der Popmusik, die im transatlantischen Wechsel entstand: Es war der Amerikaner Elvis, der den ersten Anstoß gab, aber es waren die britischen Beatles, die das epochale Phänomen ins Rollen brachten. Was der Solokünstler Drexler als schräge Vision in die Welt setzte, könnte durch eine britische Big Band aus Forschern tatsächlich die entscheidende Weiterentwicklung zur realen Technik erfahren.

Da kann man den Briten nur eines wünschen: Keep on rocking. (wst)