Graswurzel oder Maoismus?

Wohin führt die technische Revolution den Journalismus? Das Internet ist weniger eine Maschine der Freiheit, eher eine Kulmination stumpfen Kollektivismus, fürchten die Autoren einer neuen Studie.

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Von
  • Matthias Urbach

Technik ist nicht neutral. Darauf können sich die meisten schnell einigen. Heißt das aber nun: gut oder schlecht? Darauf fällt eine Einigung schon schwerer.

Anders als etwa Gentechnik oder der PC, wurde das Internet von Anfang an von einer Welle der Euphorie begleitet. Als urdemokratisches Medium, als Graswurzelrevolution, die die klassische Barriere von Sender und Empfänger aufhebt.

So weit die Theorie. Denn manch einer macht im Internet trotz all der Vielfalt unterm Strich eher einen "stumpfen Kollektivismus", eine Art Netz-Maoismus aus. Die Journalisten Steffen Range und Roland Schweins gehören offenbar zu letzteren – auch wenn sie sich den Begriff nicht zu eigen machen, sondern lediglich den Informatiker Jaron Lanier zitieren. Das wäre vielleicht auch der Polemik zu viel für eine wissenschaftliche Schrift.

Doch Range und Schweins werden sich dieses Zitat gut überlegt haben. Denn ihre Analyse der deutschen Nachtrichten-Sites kommt zu einem düsteren Fazit: "Gemessen an den strengen Kriterien an Qualitäts-Journalismus, die Verleger und Chefredakteure selber aufgestellt haben, versagen die meisten ihrer Nachrichten-Sites. Kennzeichen des tatsächlich vorherrschenden Nachrichten-Journalismus sind Zweitverwertung, Agenturhörigkeit, Holzschnittartigkeit, Eindimensionalität und Einfallslosigkeit. Gegen das Trennungsgebot von Werbung und redaktioneller Berichterstattung wird systematisch verstoßen. Weder bestimmen Wichtigkeit und Relevanz allein die Nachrichtenauswahl der Websites, noch steht Originalität im Zentrum. Sie machen fast alles, was die großen Unterhaltungsportale auch machen – nur eben etwas schlechter, aufgrund von Geldknappheit und horrenden Kosten für die Aufrechterhaltung der Redaktionen." So urteilen Range und Schweins auf Seite 79 ihrer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet".

Fördert also das Internet am Ende das Information-Gap zwischen gut informierter Elite und der Masse gleich in doppelter Weise? Indem es zunächst zwischen denen scheidet, die Zugang zum Netz haben, und denen, die nicht? Um dann noch einmal zu scheiden: Zwischen den wenigen, die gezielt Informationen suchen, kenntnisreiche Blogs und erlesene Nachrichtensites durchscannen, während sich die Mehrheit auf einem der zunehmend ununterscheidbaren und oberflächlichen Nachrichtenportalen tummelt?

Tatsächlich hat man zuweilen den Eindruck, das die Onlineportale selbst renommierter journalistischer Marken wie Spiegel, Focus, Welt oder Süddeutsche sich auf eine Art und Weise zu ähneln beginnen, dass sie zu einer einzigen Nachrichtenmaschine verklumpen, zu einem gigantischen Google-News. Sie sind geprägt vom so genannten "smart tabloid" (Range/Schweins), einem "Qualitätsboulevard", der jede Nachricht Aufmerksamkeit heischend aufmotzt.

"Redakteure wandeln sich mehr und mehr zu Content-Aggregatoren", schreiben Range und Schweins dazu. "Nachrichten werden in einem industriell anmutenden Prozess produziert." Zwar werde "qualitativ hochwertige Berichterstattung" weiterhin ihr Publikum finden. "Allerdings werden die Erlöse nicht reichen, um große Verlagsapparate zu finanzieren."

"Verlagsapparate" mag ein hässliches Wort sein. Aber tatsächlich braucht es eine Menge Geld, Journalisten in die Lage zu versetzen, gute Texte zu schreiben. Der Leser mag das Magazin "Der Spiegel" für eine Trutzburg von Ausnahmeautoren halten. Unter Journalisten ist eher die Einschätzung verbreitet, dass im "Spiegel"-Haus nicht besonders gute Journalisten arbeiten, sondern Journalisten unter besonders guten Bedingungen. Tatsächlich sind Recherchereisen oder schlicht etwas Zeit zum Telefonieren für die allermeisten Onlinekollegen bislang Fremdwörter.

Der Studie zufolge sind vor allem die neuen Möglichkeiten der Nutzeranalyse ein Quell der Gleichmacherei. In der Jagd auf Reichweiten und Quote (zur Steigerung der Werbeeinnahmen) würde dies die Redaktionen verleiten, nur noch zu tun, was Klicks bringe. Das ist dann aber vielleicht doch zu viel des Technikpessimismus. Es ist schließlich nicht schädlich, etwas mehr über seine Leser (und ihre Vorlieben) zu wissen. Gerade Printjournalisten halten den Leser eher für ein notwendiges Übel, als sich um seine Wünsche zu scheren. Je erfolgreicher und anerkannter Journalisten in ihrer Szene sind, umso stärker die Neigung, die Leser eher für eine Bedrohung des Qualitätsjournalismus zu halten: "Leser sind die Pest."

Schon das Beispiel des Privatfernsehens zeigt, dass Einschaltquoten zwar Banales nach oben spülen – aber zuweilen ganz belebend sind. Alles in allem hat die Konkurrenz den Öffentlich-Rechtlichen durchaus genützt. Vielleicht gehört es zu den Geburtsfehlern des deutschen Onlinegeschäfts, dass die Politik der ARD und dem ZDF nennenswerte Investitionen in Online bislang untersagt. Ein Beispiel wie die BBC hätte durchaus Maßstäbe setzten können.

Und doch schießt die Studie über das Ziel hinaus. Vielleicht besteht das Missverständnis darin, zu übersehen, dass Nachrichten lesen im Web noch immer eher ein flüchtiger Blick in die Welt ist: vorm Bürorechner schnell zwischen Brötchen und Meeting. Dann wären die Newsportale am ehesten mit dem Radio zu vergleichen. Und in dem Vergleich schneiden sie hervorragend ab.

Das heißt aber auch: Je mehr sich das Web als erste Infoquelle durchsetzt, umso stärker wird die Nachfrage nach Qualitätsjournalismus im Netz zunehmen. Denn es gibt ja Gründe, warum die Leser zu Zeitungen wie taz, Süddeutsche oder FAZ greifen. Oder anders ausgedrückt: Neben den großen Newsportalen ist noch jede Menge Platz für guten Journalismus. Und er sollte auch seine Gemeinde finden – spätestens wenn die großen Zeitungsredaktionen angesichts schwindender Abos und steigender Druck- und Vertriebskosten komplett online gehen müssen.

Und da hat die neue Technik definitiv Ihr Gutes: Es ist viel billiger, eine große Redaktion online publizieren zu lassen – als ihre Rechercheergebnisse auf Papier drucken zu müssen. Und ist erst mal das elektronische Papier ausgereift, müssten die Leser auf nichts verzichten – außer auf überholte Nachrichten. (wst)