Atomstrom versus Klimaschutz

Eine neue Studie im Auftrag der Kanzlerin beweist: Das Klima lässt sich auch ohne Atomstrom schützen – aber es kommt teurer. Ist es das Geld wert?

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Von
  • Matthias Urbach

Das Ergebnis einer Studie steht und fällt mit seiner Interpretation. "Klimaziele auch ohne Atomkraft erreichbar", hätte sicher das Umweltministerium die Ergebnisse der jüngsten Energiestudie der Bundesregierung überschrieben. "Atomstrom schützt Wirtschaft und Klima", hätte dagegen wohl das Wirtschaftsministerium getitelt. Doch diesmal gab das Kanzleramt höchstselbst die Studie in Auftrag: Prognos und das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln sollten berechnen, wie sich die Wahl der Energiequellen auf Strompreise und Klimaschutzziele für 2020 auswirken.

Drei Modelle rechneten die Forscher durch: Den Ausbau des Ökostroms auf 24 Prozent (also eine Verdopplung gegenüber heute) mit einem Festhalten am Atomausstieg, "Koalitionsvertrag"-Szenario genannt; dann ein noch "stärkerer Ausbau der Erneuerbaren Energien" mit einem Anteil an der Stromproduktion von 30 Prozent; und schließlich die Abkehr vom Ausstieg, also einer "längeren Laufzeit von Kernkraftwerken" von bis zu 60 Jahren. Mit allen drei Szenarien ließe sich das ambitionierte Klimaziel erreichen, den Ausstoß an Kohlendioxid gegenüber 1990 um rund 40 Prozent zu mindern.

Die Studie ist vertraulich, aber die wesentlichen Ergebnisse sind durchgesickert: Im ersten Fall ("Koalitionsvertrag") würde der Ausstoß um 39 Prozent sinken und der Strompreis etwa konstant bleiben. Das Szenario "Stärkerer Ausbau" würde 41 Prozent weniger Kohlendioxid möglich machen und den Strompreis um rund fünf Prozent erhöhen. Das Atomkraftszenario brächte es auf 45 Prozent weniger Kohlendioxid und einen um sechs Prozent niedrigeren Strompreis.

Politisch bedeutet die Studie ein klassisches Patt: Denn tatsächlich können sich beide Seiten, Atomgegner wie Atomfans, bestätigt fühlen. Und was noch schöner ist: Der Koalitionsvertrag entpuppt sich in diesem Licht als Kompromiss geradezu salomonischer Weisheit. Die Atomkraft kann auslaufen, die Erneuerbaren gefördert werden – und wenn man es mit beidem nicht zu toll treibt, sinkt der Strompreis zwar nicht, steigt aber auch nicht.

Das spricht scheinbar für sich, und so hält sich das Kanzleramt mit einer Deutung vornehm zurück. Mit dieser Studie erhält Kanzlerin Angela Merkel den nötigen Bewegungsspielraum, um auf dem nächsten Energiegipfel im Juli Beschlüsse fassen zu können, ohne die Frage klären zu müssen, ob Atomkraft nun ein Übel oder die Rettung ist.

Ein paar Interpretationen jenseits der Berliner Machtarithmetik seien dennoch erlaubt: Der Atomstrom ist natürlich nur so lange billiger, wie der Staat das Risiko einer Kernschmelze bagatellisiert - und den Unternehmen eine echte Versicherung möglicher Schäden großzügig erlässt. Wir Stromkunden müssen uns ganz nüchtern fragen, was es uns wert ist, vor einer Verwüstung weiter Flächen des Landes sicher zu sein. Sind da ein, zwei Cent mehr pro Kilowattstunde Strom zu teuer? Ich denke nicht.

Vielleicht kommt es unterm Strich gar nicht so teuer. Schließlich sind nicht die Strompreise, sondern allein die Stromkosten entscheidend. Die Energieeffizienz lässt sich aber eher steigern, wenn der Strom nicht in zentralen Strukturen mit hohen Fixkosten produziert wird – denn solche rechnen sich nur, wenn so viel Strom wie möglich ins Netz gepresst wird.

Es ist ökonomisch ohnehin recht eindimensional gedacht, vor allem auf die Stromkosten zu schielen. Teurer Strom ist von Nachteil, will man etwa billig Zement oder Aluminium herstellen. Dagegen stehen aber Gewinne aus dem Export von Windrädern, Solarzellen oder Biomassetechnik.

Hier stellt sich die entscheidende Frage: Will Deutschland Technologieführer bei den Erneuerbaren und bei Energieeffizienz werden? Und bleiben? Denn dann reicht es nicht, die Erneuerbaren nur so lange zu fördern, wie es nicht zu teuer kommt. Dann braucht es eine entschlossene Energiewende. Und das ist der eigentliche Grund, warum die Große Koalition mit ihrem Sowohl-als-auch auf dem Holzweg ist. (wst)