Diamond Age statt blauer Dunst

Ein neues nanosensorisches Verfahren für die Kriminaltechnik lässt die Nanotechnik in einem nicht ganz so sympathischen Licht erscheinen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Die Nanotechnik ist aus verschiedenen wissenschaftlichen Strängen hervorgegangen. Einer davon ist die präzise Aufdeckung atomarer und molekularer Strukturen. Während die Physik sie mit Hilfe von Rastersondenmikroskopen erreicht, nutzt die Biotechnik neuartige Nanosensoren, die verdächtige Biomoleküle aufspürt, wie sie bei bestimmten Krankheiten entstehen.

Ein Beispiel sind funktionalisierte Nanopartikel aus Gold. Die werden mit einer Hülle aus Antikörpern und fluorezenten Proteinen eingehüllt. Verbinden sich die Antikörper mit den nachzuweisenden Biomolekülen, ändert sich daraufhin die chemische Struktur des Proteins. Mit Licht beschienen, leuchtet es in diesem Fall auf und verrät so, dass etwas gefunden wurde.

Das Konzept ist elegant und reagiert auch auf kleinste Mengen einer gesuchten Substanz. Der Nutzen liegt auf der Hand: Man könnte so beispielsweise für bestimmte Krebsarten charakteristische Eiweißmoleküle in einem frühen Stadium entdecken, wenn sich erst wenige in der Blutbahn befinden. Auch für den Nachweis von B-Waffen wie dem Anthrax-Erreger ließe es sich einsetzen.

Bei so viel Präzision ist es kein Wunder, dass sich auch die Kriminaltechnik sehr für dieses Verfahren interessiert. Etwas eigenartig ist allerdings das Demonstrationsobjekt, das sich britische Forscher für die Goldpartikel-Sensoren ausgesucht haben: die Überführung von Rauchern anhand von Fingerabdrücken. Vergangenes Jahr zeigte eine Gruppe um David Russell von University of East Anglia, dass sich mit den Goldpartikeln in Schweißresten der Abdrücke auch Cotinin nachweisen lässt. Das ist ein Stoffwechselprodukt, das aus Nikotin entsteht. Nun haben die Wissenschaftler demonstriert, dass das Verfahren auch praktisch einsetzbar ist – sogar wenn sich der inkriminierte Raucher zuvor die Hände gewaschen hat.

Auch wenn Russell eher den Nachweis illegaler Drogen wie Kokain oder Heroin im Blick hat – sein Proof of Principle ist für mich symptomatisch für eine Zeit, in der sich Hightech, Überwachungsgelüste und eine immer aggressivere Gesundheitsideologie vermischen. Es ist schon bemerkenswert, dass Nikotin hier in einem Atemzug mit illegalen Drogen genannt wird. Aber dies passt zu der Welle jeglicher Verhältnismäßigkeit entbehrender Rauchverbote, die nun endgültig aus den USA nach Europa geschwappt ist. Timo Frasch hat im August 2006 in der FAZ diese Entwicklung in einer wunderbar subtilen Polemik mit den nicht nur lustfeindlichen, sondern auch latent totalitären Tendenzen eines „wiedererstarkenden Puritanismus“ in Verbindung gebracht (der Artikel ist leider nur noch über das kostenpflichtige FAZ-Archiv zu beziehen, der Autor besitzt nur eine private Kopie).

Die Nanotechnik könnte hier in den kommenden Jahren wohl noch ungeahnte, weit beeindruckendere Möglichkeiten für den neuen Zeitgeist schaffen. Die Sciencefiction hat diese Überführung des nicht Geduldeten mit molekularer Präzision natürlich längst vorweggenommen. Während im Kinothriller „Gattaca“ (1997) mittels präziser DNA-Analysen Menschen mit „mangelhaften“ Erbanlagen legal diskriminiert werden, hat Neal Stephenson im Roman „Diamond Age“ (1995) die totale Überwachung mit Hilfe von nicht wahrnehmbaren Nanosonden beschrieben. Kein Wunder, dass auch dort die Gesellschaft bei einem rigiden Kastensystem angekommen ist.

Die Nanoforscher werden aufpassen müssen, dass sie sich nicht wie andere vor ihnen vor den Karren ideologischer Verwirrungen spannen lassen. Rauchern hinterherzuschnüffeln mag zwar als vergleichsweise harmloses Experimentierfeld erscheinen, erst recht für Nichtraucher. Aber wenn das Nikotin erst einmal kriminalisiert ist, wird der nächste soziale oder gesundheitliche „Makel“ auf die Tagesordnung rücken, bei dem es sich vielleicht nicht mehr nur um eine verschmerzbare Luxusbefriedigung handelt.

PS: Dieser Text ist mit Hilfe von drei Zigaretten verfasst worden. (wst)