Japanix pfeift auf Web 2.0

Die ganze Medienwelt wird vom Hype um das "Mitmach-Internet" besetzt. Die ganze Welt? Eine kleine Gemeinde leistet erfolgreich Widerstand: Japans Medien.

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Von
  • Martin Kölling

Die ganze Medienwelt wird vom Hype um das "Mitmach-Internet" besetzt. Die ganze Welt? Eine kleine Gemeinde leistet erfolgreich Widerstand: Japans Medien.

Über Japan, die Hightech-Nation, zu schreiben, ist immer wieder belebend. Schwarz-Weiß-Urteile werden dem Land noch weniger gerecht als anderen Nationen. Die fernöstliche Inselnation ist eine Ausgeburt des Sowohl-als-auch, das Reich der Koexistenz der Gegensätze. Das "Informations- und Telekommunikationsweißbuch" des Innen- und Kommunikationsministeriums in Tokio unterstrich dies diese Woche aufs neue. Beim ubiquitären Internet, der allumfassenden Vernetzung des Lebens, prescht Japan weltweit voran. Doch bei der "Web-2.0isierung" der Medien- und Informationswelt hinkt das Land hinter anderen Nationen hinterher.

Mit erstaunlichem Erfolg verweigern sich Japans Zeitungen und Magazine dem vermeintlichen Diktat der Interaktivität und nutzen das Internet weiterhin wie Zeitungspapier: Schwarze Nachricht auf weißen Grund. Mehr nicht. Sie geben nicht wie die deutsche "Bild"-Zeitung Leserreportern Raum, setzen nicht auf die Fotolieferung durch Volkspaparazzi und bieten auch keine Kommentar- und Bewertungsfunktionen unter den Artikeln. Und dennoch sprießen nur wenig Blogs, die ihre Informationshoheit angraben.

Wie in einer Zeitblase lebt die gute, alte Ära des Journalismus fort, in der die Autoren sich nicht mit Leserkommentaren auseinander setzen mussten, in denen ihnen blutdrucksteigernd inhaltliche Fehler in Echtzeit um die Ohren gehauen werden – Angriffe auf das Journalisten-Ego inklusive. Japanische Leser müssen konsumieren statt kommunizieren. Ach, es ist ein journalistisches Old-School-Schlaraffenland. (Nebenbei bemerkt: Einige große Zeitungen – Herausgeber, bitte aufgepasst – unterhalten sogar einen Chauffeurdienst für ihre Reporter! Ganz zu schweigen von einer selbstverständlichen Übernahme von Taxikosten und Bewirtungskosten. Genug geplärrt.)

Die Verweigerungshaltung überrascht bei einem Blick auf die reinen Zahlen. Sicher ist das feste und mobile Breitbandinternet in kaum einen anderen Land der Welt so entwickelt wie in Japan. 88 Millionen der 127 Millionen Einwohner haben Anschluss ans Netz, besagt das Weißbuch. Nachdem 2005 das Mobiltelefon den PC als Hauptzugang abgelöst hatte, eroberten sich die Computer 2006 die Führung zurück. Viele Menschen schlafen sogar weniger, weil sie sich im Web verwickelt haben, fanden die IT-Beamten heraus.

Dennoch trotzen die Medien bisher noch dem Druck des Möglichen – dank einer Mischung aus wirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Gründen.

Erstens beherrschen sie die öffentliche Meinung in einer Weise, die im Westen unbekannt ist. Die fünf führenden nationalen Tageszeitungen haben inklusive ihren Abendausgabe eine tägliche Auflage von 39 Millionen Examplaren. Gleichzeitig besitzen drei der Zeitungsriesen nationale Privatfernsehsender – oder andersherum, das weiß man nicht so genau. Dazu kanalisiert die allbeherrschende Werbeagentur Dentsu die Werbemilliarden in die Kassen der traditionellen Medien. Denn in Print und Fernsehen winken bisher die höheren Margen. Auch die Auflage sinkt kaum, obwohl viele junge Leute sich abwenden, dank aggressiver kommunaler Drückerkolonen und der Heerschar papyrophiler Pensionäre.

Zweitens haben diese "seriösen" Medien Politiker und Bürokraten als Verbündete. Denn besonders der Tageszeitungs- und Fernsehjournalist hat – meine japanischen Kollegen mögen mir das Urteil verzeihen – nicht etwa die Rolle eines bissigen Wachhundes, der die Mächtigen in Schach hält. Eher gleicht er einem wohlwollenden Begleiter, der manchmal rüffelt, aber vor allem im Sinne des Systems die Welt derer da oben denen da unten erklärt und Wogen glättet. Und – o Wunder: Bisher hat der neoliberale Deregulierungseifer der Regierung einen großen Bogen um die Medien gemacht. Da zudem weniger Start-ups gegründet werden, gibt es von dieser Seite auch weniger Herausforderer.

Drittens kommt Japans Konsenskultur den Medienmachern entgegen. In Japan boomen selbst geschaffene Inhalte vor allem in geschützten Foren wie Mixi, der japanischen Variante des Social-Networking-Services MySpace, oder in Form von Blogs über Hobbys. Hier können die Menschen ihre Gefühle wie in der Familie, der Firma oder im Freundeskreis in einer Gruppe teilen. Mixi nimmt Mitglieder nur auf Einladung auf. Mit kritischer Meniungsäußerung jedoch halten sich die Japaner im öffentlichen Internet vornehm zurück.

Die in Südkorea extrem erfolgreiche, von Leserreportern unterhaltene Internet-Nachrichtenseite OhMyNews, die den letzten Präsidentschaftswahlkampf mit entschieden hat, dümpelt in der japanischen Variante vor sich dahin. Bisher wollen nicht viele herausragen und so Unruhe stiften, denn bisweilen werden auch heute noch – wie der Volksmund so schön sagt – herausstehende Nägel eingeschlagen. Das Kommentieren und Bewerten von Zeitungsartikeln dürfte daher auch kaum den Stellenwert wie beispielsweise in Deutschland erreichen. Und Japans Journalisten und Verleger können sich wenigstens noch für ein paar Jahre in ihrer Zeitblase sicher wähnen. (wst)