Kopierschutz light

Japans Regierung will zum Wohle der Allvernetzung der Gesellschaft restriktive Kopierschutzbeschränkungen durch einen pragmatischen Kompromiss lockern.

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Von
  • Martin Kölling

Antikapitalismus kann ich der japanischen Bürokratie wahrlich nicht vorwerfen. Doch dann und wann versuchen die Bürokraten, das kurzfristige Gewinnstreben der Konzerne höheren Zielen unterzuordnen. Das jüngste Beispiel ist der Kopierschutz für digitale TV-Programme. Während in Europa Bürokraten und Bosse darüber nachdenken, wie sie den Menschen die Lust am Zeitalter der digitalen Vollvernetzung durch restriktive Kopierschutzbestimmungen aber so richtig vergällen können, will Japans Innenministerium die Industrie zur Lockerung bestehender Fesseln zwingen. Ab nächsten Jahr wollen die Regulatoren Privatpersonen statt einer Kopie neun Kopien von auf Videorekorder-Festplatten gespeicherten Digital-TV-Inhalten erlauben, verriet die größte Tageszeitung des Landes Yomiuri. Die mögliche Befreiung der Japaner aus dem festen Kopierschutzzugriff der Konzerne war dem Blatt am Wochenende sogar die Titelgeschichte wert.

Japans Regierung geht es dabei natürlich nicht allein um das Kundenwohl. Sie will damit verhindern, dass der Kontrollwunsch der Inhalteproduzenten über ihre leicht kopierbaren digitalen Inhalte die Verwirklichung der amtlichen Vision ausbremst, Japan zur weltweit führenden ubiquitären Gesellschaft aufzurüsten. Unter dem Schlagwort ”u-Japan” soll die allseitige Vernetzung und der allumfassende Zugriff auf die verschiedensten digitalisierten Inhalte durchgesetzt werden. Mit neun Kopien ist einer typischen Kleinfamilie, den Unternehmen sowie der amtlichen Vision gut gedient, denken die Bürokraten. Schließlich können so Vater, Mutter und das Kind sich ein Programm auf den PC, tragbare Videoplayer und das Handy kopieren. Und die Industrie hat gleichzeitig ihren Willen, allzueinfache Massenkopien ihrer Produkte zu verhindern.

Zugegeben, in Japan fesselt die Industrie bereits etwas, was in Europa dank verzögerter Verbreitung noch nicht vom Kopierschutz stranguliert ist: digitales TV. Das binäre Fernsehen ist in Japan bereits Standard und im Gegensatz zu Deutschland selbst auf dem Handy kostenlos empfangbar. Daher kamen die Fernsehsender und die Elektronikhersteller bereits im Jahr 2004 auf die Idee, die Programme mit einem Code auszusenden, mit dem sie nun die Kopiermöglichkeiten nach eigenem Gutdünken von „Kopiere nie“ bis „immer“ regeln können. In Japan kam die Industrie schnell überein, eine Kopie zu erlauben. In Europa können hingegen weiterhin Privatkopien gezogen werden, weil das Digital-TV noch ohne Kopierschutzcodes ausgestrahlt wird, erzählte mir ein Vertreter des DVB-Projekts (Digital Video Broadcasting), das den Standard für das in Europa gebräuchliche DVB-Format setzt.

Die Betonung liegt allerdings allerdings auf „noch“. Denn die Standardorganisation hat bereits ein umfassendes Regelwerk ausgeheckt, das diese Lücke ein für allemal zum Wohle der Medienkonzerne stopfen soll. Das DVB-CPCM genannte Konvolut sei so gut wie fertig und entspräche voll und ganz den Anforderungen der Industrie, sagte mir ein Sprecher der Organsation. Ende dieser Woche soll eine deutlich erweiterte Fassung des Blaubuchs online gestellt, Ende des Jahres das gesamte Werk beim Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen zur Genehmigung vorgelegt werden.

Verbraucherschützer protestieren bereits. Die Vorgaben würden Heimaufnahmen und -kopien schwere Beschränkungen auferlegen, verurteilte die Electronic Frontier Foundation , die machtlos im Standardausschuss für die Nutzerinteressen eintrat, den Vorstoß. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Europäische Kommission sich diesmal nicht zum verlängerten Arm der Industrie machen, sondern durch einen Blick auf das Land vor der östlichen Küste des eurasischen Kontinents zu einer schnellen Verbreitung von Zukunftstechnologien verleiten lässt. Das japanische Beispiel zeigt, dass man dazu vielleicht den Kopierschutz nicht ganz aufgeben muss, wie der Ex-Manager von Pink Floyd Peter Jenner fordert. Vielleicht ließe sich zwischen den Maximalpositionen der Industrie und der Verbraucherschützer ein pragmatischer Kompromiss finden, mit dem alle Beteiligten leben können. (wst)