Hirn-Viagra

Die EU-Kommission will verhindern, dass die Nano-Forschung für eine fragwürdige Verbesserung des Menschen, ein "Human Enhancement", missbraucht wird - aber sie geht von der falschen Frage aus.

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Von
  • Niels Boeing

Die EU hat vor zehn Tagen einen Beratungsprozess gestartet, in dem bis Ende des Jahres ein Verhaltenskodex („Code of Conduct“) für eine verantwortungsvolle Nanotech-Forschung ausgearbeitet werden soll. Angesichts realer und potenzieller Risiken der Nanotechnik ist es sicher nicht verkehrt, wenn die Nano-Gemeinde sich einige Richtlinien gibt, wie und was geforscht und entwickelt werden kann.

Wirklich spannend ist aber eine Passage in der Mitte des Kommissionspapiers: „...es könnte Gebiete geben, in denen das Vorsorgeprinzip nicht einmal in Betracht gezogen werden kann, weil physische Risiken oder gemeinhin anerkannte ethische Standards oder Grundrechte verletzt werden können.“ In einer Fußnote sind dann Fälle aufgelistet, wie die Fernsteuerung menschlichen Verhaltens, die physische Veränderung oder Verbesserung (enhancement) des menschlichen Gehirns oder des genetischen Codes zu nicht-therapeutischen Zwecken, oder die Verbesserung der menschlichen Konstitution für Sportwettbewerbe und jenseits der normalen Fähigkeiten.

Das klingt einleuchtend – aber nur auf den ersten Blick. Christine Peterson hat im Nanodot-Blog süffisant bemerkt, dass jede Tasse Kaffee dem dritten Punkt zuwiderläuft. Und wenn wir es mal realpolitisch betrachten: Hat nicht die Tour de France gerade erst gezeigt, dass „Human Enhancement“ längst in vollem Gange ist?

Ein anderes Beispiel: Dem Südafrikaner Oscar Pistorius mussten im Alter von 11 Monaten die Unterschenkel amputiert werden. Dennoch ist Pistorius Leichtathlet geworden und rennt mit zwei Beinprothesen schneller als die meisten, die mit beiden Beinen im Leben stehen. „Ist eine Prothese Technik-Doping?“ fragte die Frankfurter Rundschau, als Pistorius kürzlich in einem 400-Meter-Lauf unter Nicht-Behinderten Zweiter wurde.

Pistorius hat „nur“ seine Beine optimiert. Die Transhumanisten träumen hingegen schon seit Jahren von der Optimierung des Gehirns, davon, dass man etwa eines Tages auch Informationen in den Kopf hochladen könnte. Vor dem Flug nach Shanghai noch 300 Megabyte Mandarin-Vokabular aufsaugen, fände ich schon faszinierend, auch wenn ich kein Anhänger des Transhumanismus bin.

Nach dem Kommissionspapier wäre das fragwürdig, weil ihm die Frage zugrunde liegt, was „normale“ oder „nicht normale“ menschliche Fähigkeiten sind. Seit Jahrtausenden wird aber gedopt und optimiert. Der Mensch hat sich bis heute nicht mit echten oder vermeintlichen Unzulänglichkeiten abgefunden – sonst würde ich nicht jeden Tag so viele Viagra-Angebote im Spam-Ordner haben.

Die eigentliche Frage lautet: In welchem Kontext ist eine technische Verbesserung des Menschen noch vertretbar?

Um beim fiktiven Hirn-Upload zu bleiben: Würde ich mir Mandarin-Vokabeln nur in den Kopf laden, um mehr vom China-Urlaub zu haben, wäre das mein Problem – ein Hirn-Viagra sozusagen. Als Voraussetzung für einen Job in China wäre ein solcher Upload nicht mehr nur mein Problem. Wo beinharter Wettbewerb um viel Geld im Spiel ist, wird jede Form von physischer „Verbesserung“ zum Sachzwang, den zu erfüllen an ökonomische Voraussetzungen gebunden ist. Die Freiheit, sich dagegen zu entscheiden, ist witzlos, wenn ein Enhancement erst einmal zur unausgesprochenen Norm wird.

Es ist diese fortschreitende Wechselwirkung von Wissenschaft, Technik und Ökonomie, die in einem ernst zu nehmenden Verhaltenskodex für ein neues Forschungsgebiet dringend thematisiert werden muss – nicht nur abstrakte ethische Fragen, die sich ohnehin nicht zufriedenstellend beantworten lassen. (wst)