Weg vom Tropf

Eine "solare Weltwirtschaft" hängt auch davon ab, ob bei Stromspeichern Durchbrüche gelingen. Die Folgen davon, was beim Ausbleiben eines notwendigen technischen Sprungs passiert, hat Fernand Braudel analysiert.

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Von
  • Niels Boeing

Die Deutsche Umwelthilfe hat gestern ein Papier vorgelegt, in dem sie den Entwurf der Bundesregierung zu „Eckpunkten für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm“ hart kritisiert. Sie wirft der schwarz-roten Koalition vor, in allen acht Bereichen, in denen bis 2020 Treibhausgasemissionen reduziert werden sollen, halbherzig zu sein. Vor allem: dem Druck von Industrielobbies nachzugeben. Was mich nachdenklich machte, waren nicht so sehr konkrete Zahlen und Vorwürfe. Es war vielmehr die Frage, ob wir in den nächsten Jahrzehnten den Übergang zu einer zukunftsfähigen Stromversorgung, die nicht auf fossilen oder nuklearen Brennstoffen basiert, tatsächlich schaffen können.

Mit welchen klimaneutralen Treibstoffen wir die Mobilität der modernen Zivilisation aufrechterhalten können, ist die eine Hälfte des Problems. Die andere ist, den unersättlichen Durst nach elektrischem Strom zu stillen. David Bodanis hat in seinem Buch „Electric Universe“ (dt. „Das Universum des Lichts“) den qualitativen Sprung gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur elektrifizierten Gesellschaft anschaulich gemacht: Ein zeitreisender Proconsul des Römischen Reiches hätte noch im Jahre 1850 eine Welt vorgefunden, die sich oberflächlich von der Antike nicht sehr unterschied. Der Telegraf war erfunden, aber die Nutzung elektrischen Stroms hatte die Welt noch nicht verändert. Nur 60 Jahre später hätte er in Chicago jedoch eine drastisch andere Welt vorgefunden: mit Telefonen, elektrischer Beleuchtung und Elektromotoren in der Industrie.

Weitere 100 Jahre später hängt alles vom Strom ab: Ohne ihn ist das digitale Zeitalter am Ende. Der Übergang von der fossil-nuklearen Energiewirtschaft zu einer, die auf erneuerbaren Energien aufbaut, ist der nächste qualitative Sprung, und wir wollen es als aufgeschlossene Zeitgenossen gerne glauben. Auf die zentralisierte Infrastruktur soll eine dezentralere folgen, die im wesentlichen Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft nutzt, lautet die Vision der Erneuerer (ob eine bezahlbare Wasserstoff-basierte Energieversorgung mit Brennstoffzellen im Keller möglich sein wird, ist umstritten und soll hier mal außer Acht gelassen werden). Es wäre eine Art „Zurück zur Natur 2.0“ – was auch bedeutet, dass wir uns den Unwägbarkeiten der Natur unterwerfen würden. Solarenergie ist nicht nachts produzierbar, Windenergie nicht bei Flaute.

Da gibt es allerdings ein Problem: Seit den Tagen von Volta und Galvani hat sich das Prinzip, Strom in einer Batterie zu speichern, nicht geändert. Spätestens wenn zur Unzeit der Akku des Handys leer ist, wird einem schmerzlich bewusst, dass wir immer noch am Tropf eines Stromnetzes hängen. Gut, dank neuer Materialien werden Akkulaufzeiten und -leistungen stetig besser (so hat das MIT-Start-up A123 Akkus entwickelt, die bis zu zehnmal längere Laufzeiten haben, eine höhere Leistung und schnellere Ladezeiten). Das Konzept der Redox-Flow-Zelle, bei der der Vanadium-haltige Elektrolyt nachgeladen werden kann, gilt als Kandidat für Hochleistungsakkus. Eine in Japan bei einem Windpark installierte Zelle kann über zehn Stunden 6 Megawatt liefern.

Ich frage mich dennoch, ob sich die Batterietechnik für eine Erneuerbare-Energie-Infrastruktur mittelfristig schnell genug und ausreichend hochskalieren lässt. Hängt dieser qualitative Sprung in erster Linie von weiteren technischen Durchbrüchen, vom nötigen Kapital oder vom politischen Willen ab? Oder – bleiben alle drei aus – werden wir unsere Gewohnheiten beim Stromverbrauch drastisch umstellen müssen, so dass das elektrische „Nachtleben“ von heute eines Tages der Vergangenheit angehört (wie das ist, kann man in tropischen Provinzstädtchen studieren)?

Der französische Historiker Fernand Braudel hat die These aufgestellt, dass die Kultur des europäischen Hochmittelalters im 13. Jahrhundert einbrach, weil die damalige Energieversorgung zu stagnieren begann. Die Zivilisation jener Zeit (die immerhin etwa doppelt so viele Menschen wie in der Antike ernährte) gründete sich laut Braudel auch auf der konsequenten Ausnützung des Mühlenprinzips – doch dessen Ertrag ließ sich irgendwann nicht mehr steigern. Vermutlich hätte Europa damals nur weiter wachsen können, wenn die Dampfmaschine 500 Jahre vorher erfunden worden wäre. Es folgte eine Rezession, und die große Pestepidemie um 1350 tat dann ein Übriges, dass Europa erst um 1400 wieder das wirtschaftliche Niveau von 1250 erreichte, so Braudels Befund.

Vielleicht würde dieser Blick in die Geschichte dazu beitragen, einen wirklichen Masterplan jenseits aller Lobbies aufzustellen. Die „solare Weltwirtschaft“ ist jedenfalls – leider – noch weit davon entfernt, ein Selbstgänger zu werden.

Mehr zum Thema "Energiespeicher" finden Sie im Fokus der August-Ausgabe von Technology Review (wst)