Sofortness

Dass durch die Fortschritte in der Digitaltechnik alles schneller wird, ist ein Märchen. Statt Echtzeit erleben wir Schleichzeitigkeit.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Firma Canon gibt bekannt, dass man bei neuen Modellen der Pixma-Multifuktionsdrucker nun bereits zwei bis vier Sekunden nach Einschalten des Geräts loskopieren könne.

Wow.

In den Anfangsjahren der digitalen Revolution wurde der Computer und die ihm anverwandte Gerätschaft mit denselben Argumenten beworben, mit denen noch heute Karottenreiben, Turbokartoffelraffeln und ähnliches angepriesen werden: Zeitersparnis. Alles gehe schneller und verschaffe einem, so die unausgesprochene Verheißung, mehr Zeit für Das Eigentliche Leben (DEL).

Draussen vor dem Fenster ging es zum Abend hin. Das wolkenlose Himmelblau verglühte in die Dunkelheit, während ich las, dass IBM und die japanische Firma TDK an der Herstellung von MRAM-Speicher arbeiten, der es ermöglichen soll, einen Computer wie eine Lampe einzuschalten. Plink, an. Plink, aus.

Was für eine fantastische Vorstellung: Man schaltet einen Computer ein und er ist an. Unfassbar. Bei mechanischen Maschinen, wenn sie sehr groß und schwer waren, etwa Turbinenschaufeln, nahm man hin, dass sie erst nach einer Weile auf Touren kommen. Dann war Elektrizität in die Maschinen gefahren und mit ihr eine Erwartung von Sofortheit. Gut, Radioröhren mussten sich erst warmglühen, ehe es aus dem Lautsprecher swingte. Aber dann kam die Elektronik, und mit ihr die Verheissung schierer, unmittelbarer Geschwindigkeit.

Ich lehnte mich in meinen Sessel zurück und sah, wie mit dem Himmelblau auch die Weite verschwand. Auf meinem Schreibtisch leuchtete der Bildschirm, Fenster in alle Fernen. Mir fiel mein erster Computer ein, 28 Jahre ist das her. Man schaltete ihn ein und er war an. Plink. Heute warte ich wie Millionen anderer minutenlang, bis mal langsam fertig hochgefahren ist. Ab und zu hängt sich der Rechner beim Abschalten auf und ich muss ihn erst neu starten, um ihn endlich tatsächlich abschalten zu können.

Damals, als ich meinen ersten Computer hatte, fuhr mein Mitbewohner einen uralten Citroen DS. Er war ziemlich billig gewesen, dafür funktionierte der Starter nicht, man musste ihn anschieben. Gelegentlich sprang der Motor an, wenn wir gerade auf einer Straßenbahnkreuzung um die Ecke angelangt waren. Man musste dann bei einem Citroen DS warten, bis die Hydraulik den Wagen hochgefahren hatte, das dauerte. Manchmal kam eine Straßenbahn und konnte nicht weiter. Die Fahrgäste darin sahen einen Wagen mit laufendem Motor auf den Schienen stehen, darin zwei junge Männer, die keine Anstalten machten, wegzufahren. Ich habe früh begonnen, mich für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu stählen.

Es war Nacht geworden. Ich schaltete die Lampe ein.

Plink. (wst)