Der Bundestrojaner ist ohne Wenn und Aber inakzeptabel

Die Überwachungs-Initiativen von Sicherheitsorganen und Law-and-order-Politikern werden unterschätzt – weil Geschichte und Kontext ausgeblendet werden.

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Von
  • Niels Boeing

Der Bundestrojaner ist ein Papiertiger, schreibt der Kollege Stieler. Er führt dafür nicht technische Gründe an, die in den vergangengen Tagen viel diskutiert wurden und die Wirksamkeit des Konzepts anzweifeln. Er argumentiert, dass die Unterstellung, wir würden damit einen weiteren Schritt in Richtung Big-Brother-Staat machen, deutlich übertrieben ist – weil die Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten sich nicht mit dem Kapitalismus vertrügen.

Sein Optimismus in Ehren – ich kann ihn aber nicht teilen, aus mehreren Gründen.

Dass der Kapitalismus sich nicht mit repressiven Gesellschaftssystemen verträgt, ist historisch nicht haltbar. Das Apartheid-System Südafrikas, die Pinochet-Diktatur Chiles oder der gegenwärtige Übergang Chinas zeigen, dass kapitalistisches Wirtschaften sich sehr wohl mit Repression und Überwachung vertragen. Und das sind nur die „harmloseren“ Beispiele: Der europäische Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat hervorragend mit dem Recht auf Eigentum und mit Vertragsfreiheit koexistiert. Es wurden ja immer nur bestimmte Teile der Gesellschaft davon ausgeschlossen, der Rest konnte seinem persönlichen Geschäft und Profit weiterhin nachgehen.

Es ist die Erfahrung des Faschismus gewesen, die bei der Formulierung des Grundgesetzes 1949 berücksichtigt wurde. Artikel 10 schützte das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Artikel 13 die Unverletzlichkeit der Wohnung. Natürlich sind in diesen Artikeln gewisse Einschränkungen bereits enthalten. Diese können aber nicht einfach handstreichartig – anders kann man Wolfgang Schäubles Vorgehen nicht nennen – ausgeweitet werden mit dem Verweis, es handele sich um Rechte aus einer analogen Welt und man habe die heutigen Datenverbindungen und Datenräume nicht vorhersehen können. Dazu müsste zumindest gezeigt werden, dass diese etwas qualitativ anderes sind. Warum eine Email nicht eine private Mitteilung wie Post und Fernmeldeverbindung ist und der Datenraum meiner Festplatte nicht Bestandteil meiner Wohnung, leuchtet mir bislang nicht ein. Für sie sollte derselbe strenge Schutz gelten wie für ihre analogen Gegenstücke.

Die versuchte Einschränkung dieser Grundrechte findet nun zeitgleich mit einer anderen Entwicklung statt.

Lawrence Lessig hat in seinem lesenswerten Buch „Code“ geschrieben: „Die Macht des Gesetzes über den Code ist gewachsen.“ Code steht hierbei für digitale technische Architekturen. Diese werden seit den Neunziger immer stärker reguliert, oder anders gesagt: Bestimmte Interpretationen der Rechtslage werden darin „fest verdrahtet“ (besonders augenfällig bei geistigen Eigentumsrechten). Der Durchgriff auf die Rechtssubjekte – also vor allem: uns Bürger – wir dadurch unmittelbarer.

Der Bundestrojaner stellt in diesem Zusammenhang für mich nur einen weiteren und sicher nicht den letzten Versuch dar, unsere digitale Infrastruktur in ein digitales Panoptikum für unsere Gesetzeshüter zu verwandeln. Was gegen geltendes Recht verstößt, soll möglichst unmittelbar nachvollziehbar werden, wenn schon der Gesetzesbruch nicht per se technisch verhindert werden kann.

Nun argumentieren viele Zeitgenossen, dass sie ja nichts zu verbergen hätten – wozu also die ganze Aufregung? Diese Haltung verkennt die zentrale Errungenschaft der Aufklärung: dass jeder von uns das Recht hat, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden, solange er sich nichts zu Schulden kommen lässt. Um diesen Fall festzustellen, gibt es ausgefeilte Prozeduren – und die sollen nun abgekürzt und letztlich geschleift werden.

Hier schließt sich nun der Kreis, ob unser Staat in der Zukunft eine bislang nicht gekannte Böswilligkeit entwickeln könnte, an die der Kollege Stieler nicht glauben will. Die hängt davon ab, wen das kapitalistische System als seinen Feind definiert. Früher waren es die „Kommunisten“, heute sind es die „Terroristen“. Ein schwammiger Begriff, der letztlich – wie im Film „Brazil“ – auch für alle stehen kann, die dem System Sand ins Getriebe streuen. Ganz gleich, ob mit oder ohne Absicht. (Der neue deutsche Rechtsextremismus der Straße wird übrigens nicht selten mit dem Hinweis verurteilt, er schade dem Ansehen des Standortes Deutschland – als ob das das einzige Problem daran sei.)

Es ist völlig unerheblich, ob der Bundestrojaner technisch wirkungsvoll ist oder nicht, ob man auf Macs oder Linux-Rechnern nichts zu befürchten hat. Es geht hier, wenn ich das mal so sagen darf, ums Prinzip. Es ist naiv zu glauben, dass das eigene persönliche Profil einen bis zum Lebensende ganz sicher nicht zum gefährlichen Subjekt machen könnte. Die vergangenen hundert Jahre bieten genug Beispiele. Warum sollte das in diesem Jahrhundert anders sein? (wst)