Post aus Japan: Wasserstoffwirtschaft – ein Land macht Dampf

Ob Technikkonzerne oder Autobauer, die Japan AG stellt sich in den Dienst eines neuen nationalen Plans: Nippons Regierung will der Wasserstofftechnik zum Durchbruch verhelfen. Die Konzerne starten zwei Projekte mit Signalcharakter.

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Von
  • Martin Kölling

Ob Technikkonzerne oder Autobauer, die Japan AG stellt sich in den Dienst eines neuen nationalen Plans: Nippons Regierung will der Wasserstofftechnik zum Durchbruch verhelfen. Die Konzerne starten zwei Projekte mit Signalcharakter.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Der Juli 2015 beginnt mit zwei guten Nachrichten für Japans Vision, langfristig eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Zuerst stellten Japans Autohersteller Toyota, Honda und Nissan einen Plan vor, gemeinsam den Aufbau von Wasserstofftankstellen zu bezuschussen. Dann folgte der Elektronikkonzern Toshiba mit der Ankündigung, in einem Freilandversuch die kohlendioxidarme Lieferkette von Wasserstoff zu testen.

Die Botschaft ist klar: Während überall auf der Welt mit dem Start in das vielversprechende Wasserstoffzeiltalter gezögert wird, macht die Japan AG dem Ökotraum der Menschheit Dampf, Strom emissionsarm aus der Verbindung von H2 und O herzustellen. In spätestens drei Jahrzehnten will das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie die Technik und die Infrastruktur so weit haben, um massenweise Wasserstoff für eine große Volkswirtschaft kohlendioxidfrei herzustellen, zu verteilen und zu verbrauchen.

Doch wichtiger noch: Die Beamten haben die Industrie mit ins Boot geholt, schon heute mit der Verwirklichung des Traums und vor allem der Schaffung eines Markts zu beginnen. Brennstoffzellen für den Hausgebrauch, die aus Gas Wasserstoff abspalten und dann dezentral Strom und Wärme gewinnen, werden schon seit rund zehn Jahren gefördert. Panasonic und andere Hersteller bieten sie schon seit langem zum Kauf an.

Der nächste Schritt ist der Verkehr. Bis zur Olympiade 2020 sollen tausende Brennstoffzellenautos auf den Straßen Japans Innovationsstärke repräsentieren. Ab Mitte des kommenden Jahrzehnts hoffen die Japaner, dass die Brennstoffzellenautos preislich vollständig wettbewerbsfähig sind.

Und wieder ist die Industrie mit dabei. Voriges Jahr stellte Toyota mit dem Mirai (Zukunft) das erste als Großserienfahrzeug entwickelte Brennstoffzellenauto vor. Es wird in Japan schon verkauft und kommt demnächst auch in Europa auf den Markt. Honda musste der Verkaufsstart seines FCX Clarity auf Ende dieses beziehungsweise Anfang nächsten Jahres verschieben, weil das Unternehmen sich derzeit auf die Behebung von Qualitätsproblemen bei seinen normalen Autos konzentrierte. Nissan will 2017 folgen.

Anfang Juli trat das Trio noch einmal aufs Gaspedal, um ein Startproblem zu überwinden, das schon die Verbreitung von Elektroautos bremst: den schleppenden Ausbau der Infrastruktur. Gemeinsam wollen Toyota, Honda und Nissan den Bau und den Betrieb von Wasserstofftankstellen bezuschussen. Addiert man die staatlichen Subventionen hinzu, können Betreiber von Wasserstofftankstellen pro Jahr umgerechnet rund 270.000 Euro für die Gehälter und andere Betriebskosten einstreichen. Der Staat zahlt zwei Drittel der Summe, die Autohersteller ein Drittel.

Damit wollen die Autobauer dafür sorgen, dass die Betreiber so schnell wie möglich das Etappenziel von 100 Wasserstoffzapfstellen in Japan erreichen. Denn bisher sind erst zwei Dutzend in Betrieb und weitere 60 in Bau oder Planung. Und ohne Tankstellennetz werden viele Interessenten den Kauf eines Brennstoffzellenautos nach hinten verschieben, befürchten die Hersteller.

Der Technikkonzern Toshiba übernimmt derweil die Führung an einem Pilotprojekt auf der nordjapanischen Insel Hokkaido, das die technische Machbarkeit einer emissionsarmen Herstellung und Distribution von Wasserstoff demonstrieren soll. In der Hafenstadt Kushiro will der Konzern gemeinsam mit der Präfektur- und der Lokalregierung Wasserstoff produzieren, lagern und mit Autos oder stationären Brennstoffzellen verbrauchen.

Das Problem bisher ist, dass die Wasserstoffherstellung zu energieintensiv und zu teuer ist. Daher wird das flüchtige Element in der Regel in den Brennstoffzellen von Gas abgespalten. Um den Wasserstoff kohlendioxidfrei herzustellen, wird Toshiba eine Turbine in einem existierenden Staudamm zur Stromerzeugung nutzen. Durch Elektrolyse soll dann Wasserstoff aus Wasser gewonnen werden, in Tanks gepresst gelagert und zu den Nutzern transportiert werden. Brennstoffzellen werden dann bei Milchbauern oder Schwimmbädern Strom und auch Wärme gewinnen, die besonders in den kalten Wintern auf Hokkaido benötigt wird. Außerdem sollen Brennstoffzellenautos betankt werden.

Dass die Unternehmen keineswegs rein altruistisch handeln, machten die Autobauer bei der Vorstellung ihres Projektes klar. Ihnen geht es darum, global die technischen Standards zu setzen und mit staatlicher Hilfe einen Startvorteil bei der globalen Vermarktung zu gewinnen – wenn andere Länder einsteigen.

Dass sich dieses langfristige Denken auszahlen kann, zeigt die Verbreitung von Hybridautos, die Strom- und Benzinmotoren kombinieren. Als Toyota und Honda 1997 mit dem Verkauf der ersten Modelle begannen, war die Technik ein Zuschussgeschäft und wurde belächelt. Inzwischen sind Hybridmodelle ein Verkaufsargument.

Allerdings ist bei weitem nicht sicher, dass dieses Kalkül auch dieses Mal aufgehen wird. Denn die Rivalen haben eine Lehre aus ihrem Hybrid-Debakel gezogen. Besonders die Autobauer werden nicht noch einmal eine Technik verschlafen wollen. Darüber hinaus ist nun China im Wettrennen dabei und bereit, in jeder zukunftsträchtigen Technik mit staatlicher Förderung vielen Firmen den Markteinstieg im Eilverfahren zu ermöglichen. Es werden daher unter Umständen sehr plötzlich sehr viele Anbieter in den Brennstoffzellenmarkt drängen, sobald er sich zu einem Massenmarkt zu entwickeln beginnt. Die Zeit, in der Unternehmen technische Vorsprünge lange genießen konnten, droht Vergangenheit zu werden. ()