IWF-Chefin fordert Griechenland-Umschuldung

Nach dem Nein beim Referendum kommt auch Bewegung in die die Debatte um den nötigen Schuldenschnitt

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Statt ein Rauswurf aus dem Euro, wie ihn zum Beispiel der spanische Ministerpräsident den Griechen beim Nein im Referendum angedroht hatte, kommt nach dem klaren "Nein" der Griechen in dieser Woche Bewegung in die Debatte um den Schuldenschnitt. Dass Griechenland den Erpressungsversuchen Gelbe Karten gezeigt hat, hat deutlich einen Keil in die Front derer getrieben, die das Land vor dem Referendum mit allen Mitteln ein neu geschnürtes Austeritätsprogramm aufzwingen wollten. Denn das ist erneut nur Rezept für ein Desaster, wie es seit Jahren kritisiert wird.

Das Nein der Griechen dazu hat dafür gesorgt, dass der französische Nachbar aus der Achse Berlin-Brüssel-Paris ausgestiegen ist. So erklärte Premierminister Manuel Valls: "Frankreich ist überzeugt davon, dass wir einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone nicht riskieren können." Man dürfe Griechenland nicht rauswerfen, fügt er an und sah schon vor zwei Tagen die "Basis" für eine Einigung. Es gehe dabei nicht allein um ökonomische Fragen, sondern auch um politische, denn er sieht das "Europa, wie wir es kennen, in Gefahr".

Und dann kommen Worte, die bedeutend für die Debatte bis zumUltimatum am Sonntag sind. Denn es dürfe dabei "kein Tabuthema" geben, sagte Valls. Er sprach zum Beispiel vom "rééchelonnement" der Schulden. Das wurde in Deutschland eilig mit "Umschuldung" übersetzt, die heute auch die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, ins Spiel gebracht hat. Doch Valls hat dieses Wort mit Bedacht gewählt, denn es steht im Zusammenhang von Schulden auch für "Tilgung". Und er wurde eben zum "effacement" (Streichung) der griechischen Schulden befragt.

Wenn er davon sprach, dass es keine Tabus geben darf, ist die Übersetzung mit der Festschreibung auf "Umschuldung" sicher zu eingeschränkt, wie es in Deutschland getan wurde. Denn er sprach auch von "Überarbeitung" oder "Reprofilierung" der Schulden, womit er eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten ansprach, wie mit der enormen Staatsverschuldung umzugehen ist. Das blieb wohl Journalisten in Deutschland verborgen, die offenbar nur den Pressetext von RTL gelesen, aber sich das Interview nicht angehört haben. In Spanien wurde dagegen richtiger interpretiert, dass Valls einen Schuldenschnitt nicht ausschließt.

Valls ist von der wachsenden Schar von Wirtschaftswissenschaftlern beeinflusst, die immer klarer davon sprechen, dass die griechischen Schulden "unbezahlbar" sind. Das schreiben Experten, wie der Franzose Thomas Piketty, der Deutsche Heiner Flassbeck, der US-Amerikaner Jeffrey D. Sachs und andere auch in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel: "In den fünfziger Jahren wurde Europa gegründet und das Fundament ruhte darauf, Schulden zu streichen – vor allem die deutschen Schulden", erinnern sie an das Londoner Abkommen. "Das war ein großer Beitrag zum Wirtschaftswunder und dem Frieden der Nachkriegszeit. Heute müssen wir die griechischen Schulden restrukturieren und senken, die Wirtschaft dort braucht Raum zum Atmen, um sich zu erholen. Wir müssen Griechenland erlauben, seine reduzierten Schulden über einen langen Zeitraum zurückzuzahlen."

Eine Umschuldung alleine reicht nicht

Damit ist zusammengefasst, was Schuldenschnitt und Umschuldung bedeuten. Doch nur die Umschuldung brachte Lagarde nun ins Spiel. Eine reine "debt restructuring" (Umschuldung), die Lagarde für "notwendig" hält, sorgt aber nicht dafür, die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen, wie Lagarde uns weismachen will. Sie sagte zudem auch, sie wolle Druck auf Europa ausüben: "Griechenland befindet sich in einer akuten Krisensituation, die schnell und ernsthaft angegangen werden muss." Allerdings werde Griechenland beim IWF keine Sonderbehandlung bekommen. Es ist anzunehmen, dass sie diesen Weg nun auf massiven Druck aus dem Weißen Haus in Washington geht, wo man sehr besorgt über einen Grexit und seine geostrategischen Folgen ist.

Lagarde schlägt vor, was vergangene Woche schon IWF-Experten geraten hatten. Die wollen nur den Zeitraum für die Rückzahlung der von den Euro-Partnern an Athen vergebenen Kredite verdoppeln. Das macht die Schulden eben nicht tragbar, sondern wird sie weiter steigen lassen und erweckt nur für eine gewisse Zeit erneut den Anschein von Schuldentragfähigkeit. Einer wirklichen Lösung des Problems geht der IWF aus dem Weg, dabei fordert er im Fall der Ukraine sogar längst einen Schuldenschnitt.

Dabei müsste der IWF eigentlich auch Konsequenzen aus der eigenen Analyse zu Griechenland ziehen. Anders als die übrigen Troika-Mitglieder, EU-Kommission und Europäische Zentralbank (EZB), räumte er eigentlich schon ein, für das Griechenland-Desaster mitverantwortlich zu sein, weil die Auswirkungen der Austeritätsprogramme unterschätzt und die Schuldentragfähigkeit des Landes bei der "Rettung" überschätzt wurden.

Doch genau die überschätzt der IWF erneut, wenn er jetzt nur eine Umschuldung fordert. Es muss zu einer realen Entschuldung kommen, wie einst 1953 für Deutschland. Zudem muss es Maßnahmen geben, um die griechische Wirtschaft zu stimulieren, sonst wird erneut wieder nur teuer Zeit erkauft, wie es bei dem bisherigen Schuldenschnitt getan wurde. Der hat das Land nicht einmal in die Lage versetzt, 2020 mit einer Verschuldung von 120% der Wirtschaftsleistung nur wieder an dem Punkt anzukommen, an dem die "Rettung" begann.

Man musste wahrhaft kein Wirtschaftsnobelpreisträger sein, um das vor drei Jahren vorhersagen zu können. Jetzt müssen Erkenntnisse aus dem bisher absurden Vorgehen gezogen werden, auch beim IWF, alle müssen Verantwortung übernehmen, die daran beteiligt waren, dass sehenden Auges seit Jahren in die Sackgasse gelaufen wurde. Vielleicht hilft aber auch der Crash an chinesischen Börsen dazu, nun dringlich eine ernsthafte Lösung für Griechenland zu sorgen, denn ein Zusammenwirken von zwei Verwerfungen könnte erneut in einer Finanzkrise enden, deren Ausmaß nicht überschaubar ist. Blasen zum Platzen gibt es genug, die auch durch die Geldschwemme der EZB in der letzten Zeit reichlich aufgeblasen wurden.