Blitz im Tumor

Ein neues Nanowerkzeug hat starke elektrische Felder innerhalb von Krebszellen festgestellt. Die Gründe dafür sind noch rätselhaft.

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Von
  • Katherine Bourzac

Mit Hilfe neuartiger, spannungsempfindlicher Nanopartikel haben Forscher elektrische Felder in Krebszellen entdeckt, die eine enorme Stärke aufwiesen. Noch ist unklar, was diese Felder auslöst und was sie bedeuten könnten. Doch mit der Möglichkeit, sie erstmals zu messen, hoffen Forscher, neue Diagnosewerkzeuge an die Hand zu bekommen.

Eine Arbeitsgruppe an der University of Michigan, die vom Chemieprofessor Raoul Kopelman geleitet wird, fasste dazu spannungsempfindliche Farbstoffe in Polymerkugeln ein, die nur einen Durchmesser von 30 Nanometern hatten. Bestrahlt man diese Nanopartikel mit blauem Licht, geben sie eine Mischung aus rotem und grünem Licht ab. Dessen genaue Frequenz wird wiederum von der Stärke des umgebenden elektrischen Feldes bestimmt – so lässt sich diese Feldstärke messen. Beim Test dieser Nanopartikel in der inneren Flüssigkeit von Gehirntumorzellen ergaben sich elektrische Felder mit Stärken von bis zu 15 Millionen Volt pro Meter – satte fünf Mal stärker als bei einem Blitz.

"Die Kollegen haben ein Werkzeug entwickelt, mit dem ein Blick auf die zellulären Veränderungen direkt an Ort und Stelle möglich wird", meint Piotr Grodzinski, Direktor der "Alliance for Nanotechnology in Cancer" des nationalen US-Krebsinstituts. Traditionelle Techniken zur Untersuchung von Krankheiten seien auf Unterschiede zwischen den einzelnen Zellen ausgelegt gewesen.

So genau die Forschung inzwischen Krebsmarker erkennen und die Wirksamkeit von Medikamenten auch prüfen kann – wie die Krankheit auf zellulärem Niveau voranschreitet ist noch kaum verstanden. Mit mehr Wissen ergäben sich aber auch bessere Diagnostika und Medikamente: "Diese Entwicklung repräsentiert den Beginn der Verwendung von Nanowerkzeugen, um zu verstehen, wie sich Krankheiten entwickeln", meint Grodzinski.

Jerry S.H. Lee, Nanotechnologie-Projektmanager am National Cancer Institute, glaubt, dass Kopelmans Forschungsarbeit den Nano-Werkzeugkasten erweitert, mit dem Forscher die physikalischen Eigenschaften von Krebszellen untersuchen können. Im letzten Jahrzehnt hätten Forscher die Diagnostik mit der Untersuchung von Protein-Markern und genetischen Signaturen verbessert. Nun dächten sie darüber nach, wie die Nanotechnik dabei helfen könne, nach weiteren eindeutigen Beweisen für das Vorhandensein kranker Zellen zu forschen, meint Lee. Dazu gehöre auch das elektrische Feld von Zellen.

Spannungsempfindliche Farbstoffe sind eigentlich nichts Neues. Seit Jahrzehnten nutzen Neurowissenschaftler die Technik, um die Spannung zwischen Zellmembranen zu messen – in Studien, in denen untersucht wird, wie Zellen elektrische Ladungen generieren und auf sie reagieren. Doch bislang war es nicht möglich, die Platzierung dieser Farbstoffe in den Zellen selbst zu kontrollieren. Die Farbstoffe sind wasserabstoßend und sammeln sich in den Membranen, so dass sie sich nicht zum Studium des Innenlebens der Zelle eigneten, erklärt Kopelman. Problematisch sei auch die mögliche Reaktion mit Enzymen und anderen Molekülen in der Zelle gewesen. Die eingeschlossenen Farbstoffe sind dagegen nicht wasserabstoßend und können überall in der Zelle arbeiten – nicht nur in der Membran. Weil es möglich ist, sie mit genauerer Kontrolle in einer Zelle zu platzieren, seien die die Nanopartikel mit winzigen Voltmetern vergleichbar, sagt der Wissenschaftler: "Nano-Spannungsmesser stören nicht die Zellumgebung und man kann konkret kontrollieren, wo man sie platziert."

Die Existenz starker elektrischer Felder zwischen den Zellmembranen ist in der Biologie allgemein anerkannt. Geladenen Moleküle und Ionen werden vom Körper verwendet, um viele Zellfunktionen zu steuern – das beste Beispiel sind Nerven und Muskeln. Dass es auch innen liegende elektrische Felder gibt, ist hingegen eine echte Überraschung. Kopelman präsentierte seine Ergebnisse im Dezember auf dem Jahrestreffen der "American Society for Cell Biology". Skepsis gegenüber den Messwerten gab es dort laut Kopelman nicht: "Wir haben nur einfach noch keine Deutung dafür." Daniel Chu von der University of Washington in Seattle stimmt zu, dass Kopelmans Arbeit zumindest ein "Proof of Concept" dafür sei, dass Zellen interne elektrische Felder besitzen. "Dass das wichtig ist, steht außer Frage, doch niemand hat sich das bislang angesehen."

Forscher Grodzinski sieht bereits interessante medizinische Anwendungen. So könnten sich die elektrischen Signale gesunder und kranker Zellen unterscheiden und verschiedene Krankheitsstadien unterschiedliche Signaturen besitzen. Um die Methode weiter auf ihre Verwendbarkeit zu testen, müsse nun mit Zelllinien aus dem klinischen Umfeld weitergeforscht werden: Kopelmans Arbeit sei eine erste Demonstration. (bsc)