Grandios gescheitert

Eine Multiplayer-Welt zum Thema Shakespeare sollte die Nutzer unterhalten, bilden und Wissenschaftlern gleichzeitig für wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Experimente dienen. Geklappt hat das allerdings nicht: Es fehlte am Spielspaß.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Erica Naone

Forscher aus zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen interessieren sich zunehmend für Multiplayer-Spiele. Der Grund: Dort, so hoffen sie, lassen sich Themen von der Wirtschaftstheorie bis hin zur Epidemiologie unter fast idealen Bedingungen untersuchen und aus Game-Welten gleichzeitig Lernwerkzeuge machen. Eines dieser Projekte steht nun allerdings vor einem grandiosen Misserfolg - ein Spiel über die Welt des Poeten Shakespeare, das auch als Experimentierfeld dienen sollte.

Die virtuelle Welt namens "Arden: The World of Shakespeare" war ein Projekt der Indiana University und wurde von der MacArthur-Stiftung mit 250.000 Dollar finanziert. Der Macher hinter dem Projekt, Edward Castronova, außerordentlicher Professor für Telekommunikation an der Universität, wollte die Spielewelt nutzen, um Wirtschaftstheorien zu testen - etwa durch die Manipulation von monetären regeln. Spieler betreten das Spiel und erleben eine Stadt namens Ilminister, in dem ihnen Charaktere von Shakespeare begegnen, ergänzt durch viele Geschichten und Zitate. Sie können kleine Quizfragen beantworten, um ihre Spielfigur weiter zu bringen oder Kartenspiele mit anderen Mitspielern zocken. Castronova ist Pionier auf dem Gebiet der Forschung in virtuellen Welten - dementsprechend wurde von vielen erwartet, dass der Ansatz ein Erfolg wird.

Doch es gab schnell ein Problem mit dem Spiel: "Es macht keinen Spaß", gibt Castronova offen zu. Durch die Konzentration auf die vielen Verweise zu dem Poeten vergaß das Team, fundamental wichtige Funktionen einzubauen: "Man braucht Rätsel und Monster, sonst spielen die Leute nicht. Um experimentieren zu können, benötigt man eine Welt mit sehr vielen Spielern. Deshalb brauchten wir einen vollkommen anderen Ansatz." Castronova hat deshalb inzwischen die aktive Entwicklung an Arden gestoppt - er veröffentlichte es in der letzten Version, ohne selbst mit den geplanten Experimenten zu beginnen.

Denn obwohl Castronovos Budget für den Bereich der Geisteswissenschaften verhältnismäßig groß war, war dies doch kaum mit den hohen zweistelligen Millionbeträgen vergleichbar, die in die Entwicklung populärer Spiele wie "World of Warcraft" fließen. "Ich habe mit den Leuten immer so geredet, als sei das hier "Shakespeare: World of Warcraft", aber dafür braucht man einfach viel mehr Geld." Auch habe er sich damit übernommen, Bildungs- und Forschungsauftrag gleichzeitig in ein Spiel zu packen. "Meine Erfahrung kann für andere Forscher eine Warnung sein."

Ian Bogost, Videospielforscher und Juniorprofessor am Georgia Institute of Technology, stimmt dem zu. "Es ist sehr, sehr schwer, gute Spiele selbst unter den besten Umständen herzustellen. Und eine Universität kann das niemals bieten", sagt er. Er habe nicht nur gegenüber den Erfolgschancen solcher Projekte ernste Zweifel, sondern sehe auch nicht die Angemessenheit solcher Entwicklungsarbeiten im Rahmen von Universitäten.

Wenn Wissenschaftler Spiele zu Forschungszwecken entwickelten, sei es wichtig, den Prozess realistisch zu betrachten - mit Forscheraugen, sozusagen. "In den meisten Disziplinen ist es völlig okay, zuzugeben, was funktioniert und was nicht. Im Labor tut man das ständig. Wenn wir es hier mit Wissenschaft und nicht mit einer kommerziellen Produktion zu tun haben, wird es solche Überraschungen immer geben."

Trotzdem setzen viele universitäre Forscher weiter große Hoffnungen in die potenziellen Anwendungszwecke virtueller Welten. Tim Lenoir, der den Kimberly Jenkins-Lehrstuhl für neue Technologien und Gesellschaft an der Duke University hält, sieht in ihnen mächtige Übungswerkzeuge. Er arbeitet selbst an einer Welt namens "Virtual Peace", die Menschen, die sich in schwere Verhandlungssituationen begeben müssen, vorbereiten soll. Das Militär und andere Organisationen hätten Jahre lang papierbasierte Rollenspiele verwendet. Virtuelle Welten sind für Lenoir nun nur der natürliche nächste Schritt. Die Menschen könnten sich in ein Szenario hineinbegeben.

Nina Fefferman, Forschungsdozentin an der Tufts University, die unter anderem über die so genannte "Currupted Blood"-Plage publiziert hatte – eine virtuelle Krankheit, die sich 2005 in "World of Warcraft" ausbreitete – ist davon überzeugt, dass Spieleszenarien Einblicke in die echte Epidemiologie erlauben. Dies könne genutzt werden, um Experimente durchzuführen, die im echten Leben aus ethischen wie technischen Gründen gar nicht möglich seien: "Lehren aus virtuellen Welten ähneln denen aus der Geschichte." Die Forscherin spricht derzeit mit Spieleentwicklern und hofft, ihre Studien bald fortsetzen zu können.

Trotz des Misserfolgs plant auch Castronova weitere Untersuchungen. Sozialwissenschaftler müssten kontrollierte Experimente durchführen können, wie sie in den Naturwissenschaften längst vorkämen - virtuelle Welten seien gut geeignet dafür. Um sie glaubwürdig zu nutzen, müssten Forscher aber zunächst prüfen, ob die weitläufig akzeptierten Theorien aus der realen Welt dort noch gelten. Politikwissenschaftler müssten dazu beispielsweise bestätigen, dass Spieler im Game genauso abstimmen, wie in der echten Welt: "Eine virtuelle Welt ist ein Werkzeug wie eine Petrischale. Wir müssen herausfinden, wann wir eine Petrischale brauchen und wann ein lebendes Versuchstier."Castronovas nächster Schritt: Er will "Arden" so überarbeiten, dass daraus ein Ort wird, den die Leute gerne besuchen. "Wir haben gelernt, dass wir mit einem echten Spiel anfangen müssen. Das geht nicht anders", sagt Castronova. Die neue Version wird "Arden II: London Burning" heißen. (bsc)