Hirnsensor für die Marktforschung

Ein US-Start-up will die Gefühle von Versuchspersonen mit Hilfe eines speziellen EEG-Headsets ermitteln, um die Wirksamkeit von Werbespots zu testen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Kate Greene

Marketingexperten untersuchen schon seit langem neue Werbespots an Versuchspersonen, bevor sie dann der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Doch wenn man die Testobjekte dann befragt, wie sie sich während der Vorführung gefühlt haben, sind die Angaben nicht selten eher ungenau. Ein US-Start-up namens Emsense hat nach eigenen Angaben nun ein Werkzeug entwickelt, mit denen eine genaue Messung dieser Abläufe möglich ist – durch einen Blick auf die Gehirnaktivität.

Möglich werden soll das durche eine Art Headset, das die elektrischen Impulse des Gehirns mit einem Elektroenzephalografie-Sensor (EEG) auf der Stirn misst. Ebenfalls erfasst werden Atmung, Kopfbewegungen, Herzfrequenz, Augenzwinkern und Hauttemperatur – allesamt Indikatoren, ob eine Person sich mit dem Gezeigten intensiv beschäftigt oder Erregung spürt. Das Herzstück der Technologie sind allerdings nicht die Sensoren selbst sondern spezielle Auswertungsalgorithmen für all diese Daten, die Emsense im eigenen Haus entwickelt hat, wie Technikchef Hans Lee erläutert. Die 2004 gegründete Firma wollte ursprünglich einen Videospielecontroller auf EEG-Basis bauen. Dann stellte das Team fest, dass die Marktforschung ein lukrativeres Geschäftsfeld darstellt. Dabei geht es nicht nur um Consumer-Produkte, sondern auch um politische Werbung – im aktuellen Vorwahlkampf in den USA ein interessantes Thema.

"Unsere Technologie erlaubt es, Messwerte in jeder Sekunde zu sammeln, ohne dass es zu kognitiven Verzerrungen kommt, die bei Versuchspersonen auftreten können, die ihre Reaktion selbst zurückmelden", erklärt Lee. Emsense habe vier Jahre lang Daten gesammelt, um zu sehen, wie die Zuseher auf bestimmte Ereignisse in Werbefilmen und Spielen reagierten – etwa heftige Kampfszenen, Witzeleien oder eine direkte Kundenansprache in einem Spot. Aus diesen Daten wurden dann mathematische Modelle entwickelt, die umschreiben, wie physiologische Signale sich als Antwort auf bestimmte Erlebnisse verändern. Die Technologie soll, behauptet Lee, sogar Spielefirmen erlauben, die Stelle in einem neuen Game zu ermitteln, an dem der Spieler tief in die "Action" hineingezogen wird – aber auch den Punk, an dem er das Interesse verliert. Ein Werbetreibender kann so lernen, ob die Reklameaussage zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem der Kunde positive oder negative Gefühle gegenüber einer Anzeige entwickelt hat, sagt Lee.

Die Idee, biometrische Daten im Marketing zu verwenden, ist allerdings nicht gerade neu. Es gibt einen ganzen Berg an wissenschaftlichen Untersuchungen, die die physiologischen Reaktionen von Menschen beim Betrachten von Werbung erforscht haben – eben in dem sie mit Messwerten wie Hautleitfähigkeit, Puls oder Augenbewegungen operierten, wie Alan Gevins, leitender Direktor des "San Francisco Brain Research Institute" sagt. (Gevins ist auch Präsident der Hirnforschungsfirma SAM Technology, die mit Geldern der US-Regierung EEG-Testgeräte für Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung entwickelt.)

Die Verwendung der elektrischen Aktivitäten zur Untersuchung von Reaktionen auf Werbung sei ebenfalls bereits wissenschaftlich erforscht worden, allerdings habe sich ergeben, dass dies bedeutend komplexer ablaufe und die Ergebnisse dementsprechend weniger stabil seien. "Die Verwendung von EEG-Messmethoden zu diesem Zweck halte ich für überhaupt noch nicht kommerziell einsetzbar", meint Gevins. Das Thema sei "wirklich schwierig".

Gevins selbst hat die Emsense-Technologie noch nicht testen können – ihm lägen keine Informationen vor, wie der Ansatz funktioniere und ob er wissenschaftlich haltbar analysiert worden sei. Auch die Emsense-Website hält sich dementsprechend sehr zurück. Gevins weißt aber darauf hin, dass das Start-up nicht die erste kommerzielle Firma ist, die EEG-Sensoren verwenden wollte, um die Gefühlsreaktionen von Werbezuschauern zu messen. Es habe einige Neugründungen gegeben, die entsprechende Headsets gebaut hätten – mit stets unbewiesener Qualität. "Es gab viele Pressemitteilungen, aber letztlich versagte alles. Sie haben es einfach nicht hinbekommen." In den Neunzigern gab es bereits ein Unternehmen namens Capita Research, das eine von der NASA lizenzierte EEG-Technologie für Marketingzwecke nutzen wollte.

Gevins, der seit Jahrzehnten an der Verknüpfung von EEG-Daten mit den aktuellen Leistungswerten bei Aufmerksamkeit und Gedächtnis arbeitet, bleibt skeptisch – den meisten Firmen fehle die wissenschaftliche Tiefe auf dem Gebiet. "Wenn jemand die Fähigkeit hat, das zu tun, dann gäbe es objektive Indikatoren dafür – beispielsweise wissenschaftliche Publikationen, die ein Peer Review hinter sich hätten."

Dennoch glaubt man bei Emsense, dass von einigen MIT-Absolventen gegründet wurde, an die eigene Technologie. Obwohl es keine Studien im Peer Review-Verfahren gab, habe die Firma doch 22 Patente beantragt, die von der Messwerteerfassung mit trockenen EEG-Sensoren bis hin zur Datenverarbeitung und der Analyse für die Kunden reichten, sagt Technikchef Lee. Die Kundschaft sähe das ähnlich, so etwa wolle der Spielehersteller THQ nach ersten Studien wieder kommen.

Emsense kontaktiert potenzielle Testpersonen aus einer Datenbank mit 5000 Personen. Diese begeben sich dann in eines der Testzentren, die im ganzen Land aufgebaut werden, tragen das Headset und schauen TV oder spielen ein Spiel. Aus den Daten wird zunächst ein grobkörniges Bild erzeugt, wie die Nutzer das Erlebte empfinden – ob es positive oder negative Gefühle gab, ob sie sich konzentrieren, erregt oder beim Spielen stark damit befasst sind. Emsense erstellt dann Graphen, die die Resonanz über den Zeitverlauf quantitativ darstellen.

In einer Werbung für ein Waschmittel wird dann etwa eine schwangere Frau gezeigt, die ein rosa Shirt trägt und Eiskreme isst. Einige Sekunden später lässt sie das Eis auf ihr Shirt fallen, nimmt die Reste mit einem Löffel auf und futtert weiter. Am Ende wird das Produkt gezeigt und der Fleck entfernt. Laut der Emsense-Daten tendieren Frauen dazu, negativ auf den ersten Teil des Spots zu reagieren – vermutlich weil ihnen nicht zusagt, wie die Frau ihr Shirt beschmutzt und die Eiskreme dann wieder aufsammelt. Wird der Produktname erwähnt und der Fleck schließlich entfernt, sind sie jedoch wieder positiv gestimmt. Männer reagieren hingegen positiv auf das Eiskreme-Malheur, bleiben den Rest der Werbung lang aber neutral. Dies zeige, dass die Werbung mit ihrer Zielgruppe gut funktioniere, sagt Lee – nämlich Frauen.

Doch es sei eher schwer, positive Gefühle per EEG zu ermitteln, sagt Brian Knutson, Professor für Neurowissenschaften an der Stanford University. Der Forscher arbeitet selbst mit der funktionellen Magnetresonanztomographie, um Bilder tief aus dem Gehirn aufzunehmen, wo die elektrischen Signale, die mit positiven Gefühlen einhergehen, noch stark wahrnehmbar sind. Bis sie jedoch auf der Kopfhaut angekommen sind und von einem EEG erfasst werden können, sind sie laut Knutson wesentlich schwächer, so dass sie sich nicht einfach ablesen lassen. Die Frage in Sachen Emsense sei allerdings eigentlich eine andere: Ist der Ansatz besser als eine einfache Befragung? "Die wäre nämlich viel, viel billiger." (bsc)