"Eine Flasche Wein ist ein gigantisches Quantenpartikel"

Die Internet-Pioniere Vinton Cerf und Robert Kahn sprechen im TR-Interview über die Zukunft des Netzes - und warum Offenheit wie Sicherheit dazu gehören.

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Von
  • Martin Kölling

Vinton Cerf, Vizepräsident bei Google, und Robert Kahn, Vorsitzender des "Corporation for National Research Initiatives" (CNRI), gelten als die "Väter des Internet". Am 23. April überreichte ihnen der japanische Kaiser den mit 300.000 Euro dotierten Japan-Preis für ihre gemeinsame Entwicklung des TCP/IP-Protokolls, auf dem das Netz basiert.

Seit der Geburt dieser Technologie treffen sich die beiden Urfreaks des Internet regelmäßig zu langen Brainstorming-Sitzungen. Auch das Interview mit Technology Review wurde schnell in die hohen Sphären des Universums ausgedehnt. Wir geben das zweistündige gedankliche Pingpong-Spiel über die Zukunft des Netzes hier im Sinne der beiden Teilnehmer leicht gekürzt wieder.

Technology Review: Im Zeitalter des Internet scheinen Videos auf dem Vormarsch zu sein. Wie sehen Sie die Zukunft der Schrift?

Vinton Cerf: Haben Sie einen Harry-Potter-Film gesehen? Die magische Zeitung der Hogward-Schule, die sich quasi neu lädt. Derzeit suchen Sie im Internet nach Informationen. Aber wäre es nicht interessant, wenn die Instrumente, die Sie benutzt haben, um die Informationen zu sammeln, auch den Lesern zur Verfügung gestellt werden? Es ist nun möglich, alle möglichen Werkzeuge in Dokumente einzubinden.

Robert Kahn: Es gibt ein Gebiet der interaktiven Fiktion. Ein Freund von mir hat vor ein paar Jahren ein Unternehmen gegründet, das Bücher entwickelt hat, deren Story bei jedem Mal lesen etwas anders war. Die Figuren in dem Krimi waren immer die gleichen, aber mal wurde der Butler ermordet, ein anderes Mal starb jemand an einer Lebensmittelvergiftung.

Cerf: Das ist harte Arbeit, die Story immer so ablaufen zu lassen, dass sie sich sauber entwickeln.

Kahn: Es waren vielleicht erstmal nur zehn Geschichten und nicht eine große Anzahl an unterschiedlichen Möglichkeiten. Aber es gab dem Begriff Buch einen interessanten neuen Aspekt.

TR: Viele Menschen befürchten, dass sich durch die Vielfalt des Angebotes, durch die Beschleunigung in den Blogs und auf den Nachrichtensites, die Qualität der Informationen sinken könnten.

Cerf: Das ist ein alter Meinungsstreit. Eine Position besagt, es gibt nur eine begrenzte Menge an Qualität im Universum, und wenn man die unter einer größeren Anzahl von beispielsweise Blogs aufteilt, sinkt die durchschnittliche Qualität. Auf der anderen Seite hat unsere Gesellschaft, hat jeder von uns schon heute einen Filter, der sortiert, auf welche Informationsquelle wir uns verlassen. Wirkt nicht genau der gleiche Filterprozess auch online?

Kahn: Ich glaube, dass das Problem im rechten Winkel zu der Herausforderung steht, die Du da ansprichst, Vint. Wenn Du eine große Ansammlung von Material hast, ergibt sich stets ein Kompromiss zwischen Präzision und der Menge des aufgerufenen Materials. Eben: Sie können eine Menge an Material aufrufen, in dem das Gesuchte versteckt ist. Oder Sie kriegen genau, wonach sie gesucht haben, aber nur wenig Material. Aber das sagt nichts über die Qualität der Informationen aus.

Es gibt vielleicht in der Menge nur ein klitzekleines Stück an hochqualitativen Informationen, 99,99 Prozent sind Ausschuss. Mit Qualität muss daher auf einer anderen Ebene umgegangen werden. Filtermechanismen, denen Sie vertrauen, weil sie einen Namen haben und Sie wissen, was sie leisten. Es wird stets eine Anzahl an Zugangspunkten geben, denen man zu vertrauen lernt.

Cerf: Aber heute kommt hinzu, dass wir uns nicht mehr nur auf den traditionellen Branding-Prozess stützen. Wir legen oft selber fest, welchem Online-Angebot wir vertrauen. Diese individuelle Entscheidung wird wahrscheinlich ein Teil der Dynamik sein. Ein anderer kritischer Punkt sind die Zufallsfunde.

Arno Penzias, der den Nobelpreis für die Entdeckung der Hintergrundstrahlung des Big Bang erhalten hat, beschwerte sich mir gegenüber einmal darüber, wie schrecklich die Vorstellung sei, sich online Materialien zu besorgen. Denn er hatte Angst, dass dadurch das Glück von Zufallsfunden zerstört wird, das man beim Durchstreifen von Bibliotheken haben kann. Aber ich habe ihm versichert, dass es keine genaue Suchmaschine gibt – inklusive der Googles. Da gibt es viele Möglichkeiten, zufällige Entdeckungen zu machen.

TR: Zerfällt das Internet nicht in immer unterschiedlichere Reiche? Heutzutage muss man Seiten für eine Vielzahl verschiedener Ausgabegeräte designen, um sie nutzbar zu machen. PC, Handy, Fernseher, Autonavigationsgerät.

Cerf: Google steht andauernd vor dieser Herausforderung, wie wir unsere Inhalte darstellen, weil unsere Informationen über eine Reihe von Geräten zugänglich sein müssen. Und da geht es nicht nur um die Datenausgabe, sondern auch die Eingabe. Allerdings gibt es dabei eine interessante Entwicklung. Die Leute denken heute, dass die Interaktion mit dem Netz stets über ein Gerät zur gleichen Zeit erfolgt. Sie geben vielleicht eine Suche über das Handy ein, und können das Ergebnis dann nicht nutzen, weil es auf dem kleinen Bildschirm nicht gut dargestellt wird. Dann gehen sie vielleicht an einen Computer und müssen ein zweites Mal suchen.

Aber stellen Sie sich vor, Sie kommen mit Ihrem Handy in den Raum und hier steht ein großer Fernseher, der Bluetooth- oder WLAN-fähig ist. Und ihr Handy erkennt ihn als Output-Device. Es ist eine faszinierende Idee, dass man mehr als ein Gerät als Ausgabemedium nutzen kann. In Hotels steht meist ein großer Fernseher, und es wäre toll, wenn ich ihn benutzen könnten. Ich könnte dann aufhören, meine Handytastatur zu malträtieren. Das Handy wird dann einfach zum Verbindunggerät zum Netz.

Kahn: Ich kann noch einen weiteren Aspekt anfügen. Die Antwort hängt davon ab, ob Sie mich nach der unmittelbaren Zukunft fragen, oder danach, was wir in zehn Jahren tun werden. Ich denke, langfristig wird es möglich sein, einen Großteil dieser Anpassungen zu automatisieren. Wenn man heute einen Film an ein Handy schicken will, muss es eine spezial anfertigte Version mit niedriger Auflösung sein, die Sie nicht auf einem größeren Bildschirm anschauen können.

Aber in Zukunft wird es vielleicht ein Ausgangsmaterial in der höchstmöglichen Qualität geben. Und sie können Ihrem Provider dann mitteilen, dass er die Datei auf Ihr Handy in geringerer Auflösung senden soll oder direkt schön groß an einen Fernseher über das Breitband-Internet.

Cerf: Es gibt schon heute Unternehmen, die das tun. Aber ich wollte noch etwas zu Bobs Aussage über Geräte ergänzen, die am Netz hängen. Das Handy wird einfach ein Kontrollgerät, mit dem sie die verschiedenen Geräte in einem Raum vom Fernseher bis zur Klimaanlage so koordinieren können, dass sie ihren Bedürfnissen dienen.

Kahn: Es gibt dafür so viele Beispiele. Es könnte jemand Vint eine Mitteilung schicken, dass ein Dokument auf seine Kommentierung wartet. Er kann das vielleicht nicht herunterladen, aber es gibt vielleicht im Nebenraum einen Drucker, der an das Internet angeschlossen ist, und über den Vint den Text dann ausdrucken kann. So könnte die Welt von morgen aussehen.

TR: Herr Cerf, In einer Rede in London sprachen Sie jüngst über einen Internet-fähigen Weinkorken. Wie soll der denn funktionieren?

Cerf: Die Idee ist ein etwas anderer Versuch, das Nobelpreis-Problem zu lösen. Der Nobelpreis wird bekanntlich nicht an Mathematiker vergeben und damit stehen auch wir außen vor.

Kahn: Nutzt der Korken ein POP-Protokoll? (grinst)

Cerf: Möchtest du vielleicht ein Bier auf Deinen Schoß haben? Die Idee besteht aus zwei Teilen. Der eine besagt, dass eine Flasche Wein wie ein riesiges Quantenpartikel ist. Ein Quantenpartikel kann mehrere Zustände zur gleichen Zeit einnehmen. Es gibt das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger: Eine Katze ist zusammen mit einer Zyanid-Ampulle und einem radioaktiven Atom in eine geschlossene Kiste gesperrt. Zerfällt das Atom, wird das Giftgas freigesetzt und die Katze getötet. Nur wenn Sie die Kiste öffnen, wissen sie, in welchem Zustand sich die Katze befindet.

Auch eine Flasche Wein kann sich in jedem Zustand befinden. Sie könnte schrecklich, spektakulär toll oder irgendwie dazwischen angesiedelt schmecken. Sie haben keine Ahnung, bis Sie die Flasche öffnen. Ich werde diese Idee an das Nobelpreis-Komitee senden, in der Hoffnung, dass es die Brillanz meiner Idee erkennt. Denn wenn man einen Chip in dem Korken installiert, kann man Informationen über den Wein speichern: Wann er abgefüllt wurde, bei welchen Temperaturen und bei welcher Luftfeuchtigkeit er gelagert wurde und so weiter.

Bevor Sie die Flasche öffnen, könnten Sie dann also den Korken verhören, um die Geschichte dieser Flasche zu erfahren. Und wenn Sie herausfinden, dass die Lagertemperatur am 20. Januar 1997 plötzlich 42 Grad Celsius überschritten hat, würden sie die Flasche nicht öffnen, sondern einem Freund schenken, der den Unterschied sowieso nicht schmecken könnte.

Kahn: Noch eine Idee. Du baust noch eine Verkostungsfunktion in den Chip, um den Geschmack des Weins zu bewerten.

Cerf: Und dann poppt der Korken automatisch heraus, wenn der Wein reif für den Genuss ist?

Kahn: Nein, aber er könnte Dich benachrichtigen, dass Du besser den Wein jetzt trinkst, weil er kurz vor dem Umkippen steht.

Cerf: Das ist keine schlechte Idee. Denn mein größtes Problem ist...

Kahn: Nebenbei bemerkt, so wie jetzt funktionieren wir normalerweise immer!

Cerf: ...wie lange erlaube ich der Flasche, zu atmen, bevor ich den Wein serviere? Es ist wirklich sehr schwierig einzuschätzen, ob es besser ist, die Flasche gleich nach dem Öffnen zu leeren oder sie erst einmal für vier Stunden offen herumstehen zu lassen. Ich habe darauf noch keine gute Antwort.

Kahn: Du könntest ein kleines Stück Korken mit dem Chip in den Decanter tun.

TR: Wenn wir schon beim Wein-Verkosten sind: Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen digitaler und analoger Welt? Es scheint fast, dass die technische Entwicklung einen Stand erreicht hat, der analoge Methoden der Handhabung wieder attraktiv macht. Man könnte auf Tastaturen verzichten und stattdessen wieder mit Stiften schreiben, die dank Bewegungssensoren die Handschrift an den Computer oder das Handy übertragen, wo eine Software das Geschriebene in rechnerlesbare Schrift umsetzt.

Kahn: Es ist wirklich sehr schwer vorherzusehen, was die Menschen als attraktiv ansehen. Man muss es ausprobieren. In den Siebzigerjahren haben wir einige Experimente mit der Sprachsteuerung von E-Mail-Systemen durchgeführt. Die Probanden haben es als extrem aufregend empfunden, dass System ihren Freunden vorzuführen. Aber sobald sie wieder alleine waren, haben sie es nicht verwendet, weil sie sich blöd dabei vorkamen, mit der Maschine zu sprechen.

Technologie kann sehr clever sein, aber man muss verstehen, wie die Menschen sie empfinden. Menschen mögen einfach die Idee, Dinge mit den Fingern zu manipulieren. Aber meine Vermutung ist, dass die Spracheingabe von Text in der nahen Zukunft populär werden wird.

Cerf: Die Frage war aber Handschrift.

TR: Das war aber auch nur ein Beispiel. Es geht auch um dreidimensionale Benutzeroberflächen zur Sortierung der großen Datenmassen und ähnliche Ideen.

Cerf: Die Spielekonsole Wii hat mit ihrem bewegungsempfindlichen Controller auch eine Bedienung geschaffen, die für viele Menschen sehr attraktiv ist. Der Kerl, der das ARPANET entwickelt hat, hat 1968 ein dreidimensionales Interface für Computer entwickelt, wenn ich mich recht entsinne. Das zeigte dem Computer schon damals, wo der Sensor war.

Handschrift ist ein interessantes Problem. Wir müssen die Handschrift in Text umwandeln. Denn wenn wir das nicht tun, wird das Suchen sehr schwer. Wir dürfen daher nicht nur das Schriftbild der Handschrift digitalisieren, sondern müssen sie umsetzen.

Kahn: Mehr noch, Du willst gar nicht von der Handschrift zum Text kommen. Du willst von Handschrift zur Authentifizierung kommen.

Cerf: Das trifft für Unterschriften zu. Aber hier geht es um Text. Es gibt schon Stifte, die sich erinnern, was man mit ihnen geschrieben hat. Aber aus irgendwelchen Gründen sind die nicht populär geworden.

Kahn: Aber gibt es nicht Keyboards, die auf die Tischoberfläche projiziert werden, und bei denen Kameras die Fingerbewegungen aufzeichnen?

Cerf: Ich hatte mit denen so meine Probleme, weil sie mir keine Rückmeldung geben, ob ich die Taste richtig getroffen habe.

TR: Verlassen wir für einen Moment die Sphäre des Konkreten und wenden uns dem Abstrakten zu. Wie wird sich das Internet in der Zukunft weiterentwickeln?

Cerf: Die unmittelbare Zukunft ist recht einfach vorauszusagen, weil man die Trends heute schon heute sehen kann. Mehr mobile Nutzung, mehr Internet-fähige Geräte bis hin zu Kühlschränken und Bürogeräten, größere Bandbreiten.

Aber die aufregendsten Dinge passieren in dem großen Software-Ökosystem, das aus dem Internet entsteht. Prozesse, die miteinander kommunizieren, virtuelle Welten wie Second Life. In den virtuellen Welten gibt es viel Kreativität. Und da wird Bob jetzt einsteigen.

Kahn: Ich greife das gleich auf. Zuerst möchte ich allerdings sagen, dass ich mit Vint übereinstimme. Ich möchte nur die wachsende Bedeutung von drahtlosen Verbindungen betonen. Wir fangen gerade erst an, uns die Möglichkeiten vorzustellen, aber die Menschen werden sehr innovative neue Geräte entwickeln. Außerdem wird das Thema Breitband sich noch weiter entwickeln.

Wir haben immer noch keine gute Vorstellung davon, wie wir die Technik heute in unseren Geräten verwenden. Die meisten Herausforderungen liegen nicht mehr im Netz, sondern darin, wie Netzkommunikation genutzt wird. Wir wissen zum Beispiel, dass wir die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit über das Netz bei der Arbeit von Zuhause aus nutzen. Die meisten Menschen würden aber immer noch lieber körperlich an wichtigen Sitzungen teilnehmen als über das Internet. Sie lassen es heute nur notgedrungen sein, wenn sie zeitlich nicht selbst zu einer Konferenz kommen können. Wir treffen uns oft noch am liebsten in der realen Welt und legen unsere Pläne auf den Tisch.

Aber der wirkliche Wert des Netzes besteht in der Möglichkeit für den Menschen, sich auszudrücken, seine Kreativität mitzuteilen. Und zweitens Informationen aller Art zu nutzen. Mit diesem Thema beschäftige ich mich seit den Achtzigerjahren. Wir haben uns stark auf die Frage konzentriert, wie man Inhalte so speichern kann, dass wir sie auch in einer weit entfernt liegenden Zukunft verfügbar haben, ohne die heutige Verfahrensweise zu ändern.

Wenn Sie zum Beispiel eine elektronischen Artikel mit seinen Links speichern, wollen Sie, dass der Leser in der Zukunft das gleiche Leseerlebnis hat. Die Halbwertzeit beträgt vielleicht heute ein halbes Jahr, nicht hundert Jahre. Wenn Sie in fünf Jahren auf einen Link klicken, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Seite nicht mehr richtig dargestellt wird. Unser Ansatz ist, deshalb so genannte Identifikatoren zu vergeben, anstatt Maschinen oder Ordner zu nutzen.

TR: Sie haben mit ihren "Digital Object Identifiers" die Grundlage für CrossRef gelegt, mit dem die "Publishers' International Linkage Association" die wissenschaftliche Literatur verlinken will.

Cerf: Wenn ich mich kurz einmischen darf - Google verwendet große Mühe darauf, die unterbrochenen Links aus der Datenbank zu holen. Das ist gut, weil die Menschen sich nicht in einer Sackgasse wiederfinden wollen. Aber es ist schlecht, weil wir die Information verlieren, auf die der Link hinwies.

Kahn: Da gibt es keine Magie. Es ist nicht so, dass nur weil es eine große Menge an Inhalten gibt, Sie die auch per Suche finden können. Vieles werden Sie gar nicht finden, es gibt vielleicht blockierte Server, private Sammlungen, private medizinische Aufzeichnungen...

Cerf: Du willst doch auch, dass niemand Deine Gesundheitsgeschichte per Suche findet.

Kahn: Ja, aber wenn du jemandem sagst, was der Identifikator für Deine medizinischen oder finanziellen Aufzeichnungen ist, können die Personen mit Deiner Zustimmung die vielleicht ansteuern: Und es gäbe keinen Zweifel, ob es sich wirklich um Deine Unterlagen handelt. Es wäre nicht wie bei einer Suchmaschine, die nur sagen könnte, dass dies "vielleicht" deine Unterlagen sind.

Dinge wie diese haben eine große Zukunft. Aber die größte Sache, auf die wir warten, sind Zufallstreffer. Niemand sah das Internet kommen, bis es wirklich da war. Selbst Leute, die es intensiv beobachteten, wunderten sich, was passiert, denn sie dachten, sie würden das Sagen haben. Wir werden das gleiche Phänomen immer wieder beobachten. Die führenden Unternehmen werden sich immer wieder den Angriffen von Neugründungen ausgesetzt sehen, die Sachen machen, die die etablierten nicht vorhergesehen haben, die sie nicht einmal wirklich verstehen und deren Märkte sie nicht begreifen.

Cerf: Kann ich den Pingpong-Ball kurz übernehmen? Das Gespräch hat bei mir eine Reihe anderer Gedanken ausgelöst. Ich sorge mich wie Bob darum, dass wir die Daten – selbst wenn wir sie finden sollten – nicht richtig interpretieren können.

Wir müssen einen Weg finden, die Lesbarkeit noch in hundert Jahren zu gewährleisten. Und dann gibt es noch eine andere leicht vorhersehbare Entwicklung, die ich versuche, ins Rollen zu bringen: die interplanetare Ausdehnung des Netzwerks. Die Protokolle dafür sind bereits recht solide.

Kahn: Du meinst, dass du online gehen kannst, wenn du zum Mars oder Jupiter reist?

Cerf: Richtig. Ich weiß nicht, ob ich das jemals machen werde. Aber jede Menge Roboter und Instrumente, und vielleicht eines Tages auch bemannte Missionen werden irgendwann dorthin reisen. Und ich möchte, dass sie Zugang zu Netzwerken auf der Erde haben. Die Wissenschaftler mögen die Idee, weil sie lokale Netzwerke brauchen, mit denen sie mehrere Plattformen in einer Region koordinieren können.

Und dann gibt es Bedrohungen, über die wir bisher noch gar nicht gesprochen haben. Generell ist die Sicherheit noch nicht sehr gut. Es geht um die Frage der Authentifizierung, mit wem ich kommuniziere, ob die Daten eine hohe Integrität haben, sie verändert wurden, oder Spam, Würmer und Viren sind, die eine Maschine in einen Zombie verwandeln. Kryptographie löst die Probleme bisher nicht. Und letztlich gehen die IP-Adressen unter IPv4 zur Neige. Die Umrüstung auf IPv6 ist ein weiterer leicht vorhersehbarer Schritt.

Kahn: Lass mich ein Post Scriptum ergänzen. Ich denke, wir werden einige neue Formen und Ideen sehen, wie Netzwerke arbeiten sollten. Heute stellen sich die Menschen unter Netzwerken sehr strukturierte Dinge vor. Wir haben IP-Adressen und einen Router, der die Maschinen miteinander verbindet, und wenn ein Router versagt, erlaubt Dir die Technologie, um diesen Router herumzurouten.

Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Router mobil sind. In der der Router nicht länger ein Gerät ist, sondern ein Programm, eine logische Einheit, die nur ein Stück Hardware finden muss, um zu funktionieren. Und dieser Router könnte sich selbst ein neues Stück Hardware suchen, wenn er merkt, dass das betreffende Gerät vor dem Versagen steht. Vom Network-Operator aus gesehen hat sich die logische Verbindung des Netzwerks dann nicht verändert. Die Router arbeiten allerdings an anderen Orten.

Ein anderes Beispiel: Es wäre möglich, auch Inhalten einen Identifikator zu geben. Wenn du eine Frage an ein Buch stellen willst, was in der Welt von morgen eine durchaus vernünftige Vorstellung ist, ist klar, dass die Frage in natürlicher Sprache gestellt wird. Du musst sicherstellen, dass die Frage richtig interpretiert wird und du musst sicherstellen, dass du mit dem Buch interagieren kannst, um herauszufinden, ob die Antwort darin enthalten ist.

Aber es kümmert dich wirklich nicht, was die IP-Adresse des Buches ist. Sehr wahrscheinlich ist das Buch an vielen verschiedenen Orten präsent. Und Du brauchst nur zu einem zu gehen. Und daher sind Netzwerke, die nicht so sehr über die Umschreibung der Netzwerkgrammtik routen als über das Faktum, mit wem man sprechen will, ein neuer, anderer Weg. Im Prinzip ist das nicht unmöglich. Und das führt zu ganz neuen Gedanken über Netzwerke.

Cerf: Das nennt man manchmal auch "Content Oriented Routing". Und es wird in einigen Fällen experimentell und in anderen bereits praktisch verwendet - in Sensornetzwerken etwa. Anstatt ein Routingschema zu haben, das sagt, Du willst diese IP-Adresse, geh dahin, sagst Du, ich will zu dem Buch, route hier entlang. Die Mechanik sieht sehr ähnlich aus, aber das Ding, auf dem routest, ist nicht länger eine Adresse, es ist ein Inhalt.

Kahn: Das ist auch nicht inkompatibel mit der derzeitigen Netzwerktechnologie. Du kannst es oben drauf setzen oder integrieren. Aber es benötigt sie auch nicht. Wenn Du im Sendemodus bist und eine Frage an ein Buch hast, brauchst du nicht notwendigerweise eine IP-Adresse. Es ist heute möglich, sich vorzustellen, dass ein einzelnes Gerät, das historisch gesehen eine Einheit in einem bestimmten Netzwerk darstellt, auf einer höheren Ebene als alle Netzwerke mittels eines abstrakten Identifikators arbeitet. Und dieses Gerät könnte sich in einen Zugangspunkt eines Netzes einklinken.

Sagen wir mal, dass ich einen PDA in meiner Westentasche habe. Und dieser PDA ist in der Lage, mit einer Reihe von Schnittstellen zu kommunizieren, und er würde seine Netzwerkumgebung erkennen und sich mit einem einmaligen Identifikator anmelden. So könnte das gleiche Gerät an unterschiedlichen Ort und in unterschiedlichen Netzwerken identifiziert werden. So könnten Sie ihren Browser für die Internetverbindung weiter benutzen, auch wenn sich die Netzwerkumgebung ändert. Dies wird heute typischerweise noch nicht gemacht.

Cerf: Du stellst dir also vor, dass man dem Gerät sagt: schicke die Information zum nächsten Router, zu was der auch immer verbindet. Und der Router wird so zu einem Gerät auf einer höheren Abstraktionsebene. Das könnte sehr interessant sein. Habt Ihr die Idee schon umgesetzt?

Kahn: Wir haben schon einen Test in New Mexico gemacht. Wir waren in der Lage, einen Controller bei uns am CNRI zu nutzen, um Roboter in der Wüste zu kontrollieren. Die Roboter waren nicht im Internet und hatten keine IP-Adressen, sondern arbeiteten in einem Bluetooth-Netz. Aber wir konnten sie über das Internet ansteuern, entdecken, wo sie sich befanden, und sie sogar kontrollieren, als sie in andere Gebiete vorstießen. Wir haben gezeigt, dass die grundlegenden Fähigkeiten dafür vorhanden sind.

Cerf: Wir sollten wirklich unsere Ideen abgleichen. Denn das interplanetare Netz nutzt auch keine bestimmten Internet-Technologien mehr. Es arbeitet auf einer höheren Abstraktionsebene. Wir haben dort Identifikatoren, aber sie haben vielleicht eine andere Struktur als Eure. Aber die Idee ist die gleiche. Du willst eine Information von hier nach dort schicken, und dich kümmert nicht, über welche Art von Netz das passiert.

Kahn: Lass uns das machen.

TR: Wie nutzen die Väter des Internet das Internet?

Kahn: Ich bin kein Freund der breiten Dauernutzung. Ich gehe sehr gezielt vor. Ich nutze Google, um Sachen im Internet zu finden. Oder ich folge einem Hinweis eines Freundes. E-Mail ist meine größte Anwendung. Ich bekomme 1000 bis 2000 Emails pro Tag. Das meiste ist Junkmail. Ich habe daher meinen Laptop auf eine Dreiteilung konfiguriert. 90 Prozent geht gleich in den Müll, rund drei Prozent landen in der Inbox. Und der dritte Teil ist nicht als Spam klassifiziert. Es handelt sich um Junkmail, die dem Spamfilter entgangen ist oder neue Kontakte.

Und ansonsten schicke ich viele Dokumente, benutze einige Multimedia-Anwendungen. Die Kommunikation mit meinen Angestellten an anderen Orten ist auch sehr wichtig. Das funktioniert sehr gut in 1:1-Situation, mit Online-Konferenzen für Gruppen bin ich noch nicht so zufrieden.

Cerf: Bei mir ist es ähnlich. Ich bin in vielen Videokonferenzen. Benutze Suchmaschinen, nutze unsere Dienste zur Kollaboration, die wir auch für die Menschen draußen anbieten. Ich esse also unser eigenes Hundefutter. Aber ich habe auch meinen Weinkeller so konfiguriert, dass er in Fünf-Minuten-Intervallen die Temperatur misst, speichert und mich per Email oder SMS benachrichtigt, wenn die Temperatur über eine bestimmte Grenze steigt. Das ist wohl meine exotischste Anwendung im Netz.

Kahn: Und was machst Du, wenn etwas passiert, während Du gerade weit entfernt wie jetzt in Japan bist?

Cerf: Ich rufe meine Frau an.

Kahn: Die ist aber auch hier.

Cerf: Nun, dann rufe ich Leute an, die auf das Haus aufpassen, und die können dann die Klimaanlagenfirma benachrichtigen. (bsc)