Bauplan für nachwachsende Gliedmaßen

Ein Blick auf die DNA einer Lurchart soll Hinweise darauf geben, warum die Tiere selbst schwerste körperliche Schäden überleben - und ob sich dies gentechnisch beim Menschen nachahmen lässt.

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Von
  • Emily Singer

Auf seine eigene Art ist der Axolotl, ein mexikanischer Vertreter aus der Familie der Schwanzlurche, ein mächtiges Tier: Schneidet man ihm eines seiner Beine ab, wächst der Kiemen-Kreatur in relativ kurzer Zeit ein neues. Ähnliches gilt für die inneren Organe: Wird ein Teil des Herzens zerstört, entsteht ein frisches. Selbst beim Gehirn zeigt das Tier erstaunliche Regenerationskräfte: Wird eine Hälfte des Nervengewebes entnommen, ist es nach sechs Monaten wieder vollständig. "Man kann eigentlich fast alles mit dem Axolotl anstellen, was ihn nicht sofort umbringt. Er regeneriert sich jedes Mal", sagt Gerald Pao, Postdoc am Salk-Institut für biologische Studien im kalifornischen La Jolla, der die Tierart untersucht.

Diese außergewöhnliche Fähigkeit des Schwanzlurchs inspirierte Pao und sein Teammitglied Wei Zhu, das ebenfalls am Salk-Institut arbeitet, sich die DNA des Axolotl näher anzusehen. Trotz jahrzehntelanger Forschung an der Art ist bislang nur wenig über ihr Genom bekannt. Das änderte sich im vergangenen Jahr, als Pao und Zhu eine kostenlose Gensequenzierung mit einer Milliarde Basen bei einem internationalen Wettbewerb des deutschen Forschungsunternehmen Roche Applied Science gewannen. Die Daten sind nun verfügbar und die Wissenschaft kann endlich damit beginnen, nach dem genetischen Programm zu suchen, die den Axolotl ihre einzigartige Regenerationsfähigkeit gibt.

Fast jedes Lebewesen kann Gewebe bis zu einer gewissen Grenze regenerieren. Auch dem Menschen wachsen ständig Muskeln, Knochen und Nerven. Schwanzlurche und Molche sind jedoch die einzigen Wirbeltiere, die ganze Organe und Ersatzgliedmaßen auch noch im Erwachsenenalter nachwachsen lassen können. Geht ein Bein durch eine Verwundung verloren, beginnen Zellen in der Nähe der Wunde, ihre Ausdifferenzierung zu verlieren, also ihren speziellen Charakter, der sie zuvor beispielsweise zu einer Muskel- oder Knochenzelle gemacht hat. Diese Zellen replizieren sich dann und bilden eine Keimknospe, Blastem genannt. Daraus erwachsen dann Gliedmaßen, wie sie auch während der normalen Entwicklung in den ersten Lebenswochen entstanden wären.

Forscher haben einige der molekularen Signale identifiziert, die dabei eine zentrale Rolle spielen, doch der genetische Bauplan, der hinter der Regeneration steckt, blieb unbekannt. Forscher hoffen, diese molekularen Tricks nun bald offen legen zu können. Dann wäre es vielleicht eines Tages möglich, auch beim Menschen Prozesse anzustoßen, die beispielsweise für die Ersetzung beschädigter Organe sorgen – vom Herz bis zum Hirngewebe. Selbst von neuen Armen und Beinen träumen einige Mediziner.

Um die Bereiche des Axolotl-Genoms aufzufinden, die mit der Regeneration in Verbindung stehen, sequenzierten die Forscher Gene, die besonders während der Blastembildung und dem anschließenden Nachwachsen von Gliedmaßen und Organen sehr aktiv sind. Sie fanden mindestens 10.000 Gene, deren Transkription sich während der Regenerationsphase abspielte. Rund 9000 davon scheinen auch menschliche Versionen zu haben. Doch es gibt auch noch einige Tausend DNA-Abschnitte, die gar nicht an bekannte Gene erinnern. "Wir denken, dass viele davon Gene sind, die ganz speziell bei dieser Tierart vorkommen, um beim Prozess der Regeneration zu helfen", meint Randal Voss, Biologe an der University of Kentucky, der an dem Projekt mitarbeitet.

Die Forscher sind nun in der Planungsphase für einen Gen-Chip, der speziell auf die bereits entdeckten Genkandidaten zugeschnitten ist. Damit soll exakt feststellbar sein, an welchem Punkt während der Regeneration welche Gene aktiviert werden. Das Team entwickelt außerdem molekulare Werkzeuge, die es später erlauben sollen, weniger interessante Gene auszuschalten. Auch das wird dabei helfen, die wirklich für die Regeneration notwendigen DNA-Bereiche zu ermitteln.

Das Team sequenzierte das Axolotl-Genom außerdem zusätzlich an zufälligen Stellen. Denn ganz kann es sowieso nicht erfasst werden: Es enthält rund 30 Milliarden Basen und ist damit 10 Mal größer als das menschliche. Unter den Wirbeltieren gibt es nur wenige umfangreichere Genome. Die meisten Wissenschaftler erwarteten eigentlich, dass diese Zusatz-DNA vor allem aus "Wegwerfmaterial" bestehen würde – langen Basenbereiche zwischen den Genen, die keine Bedeutung haben. Die nun vorliegenden ersten Ergebnisse überraschten deshalb: "Die Gene selbst sind im Schnitt fünf bis zehn Mal größer als die anderer Wirbeltiere", sagt Voss. "Der Bereich des Genoms, in dem Gene stecken, ist schätzungsweise mehr als zwei Gigabasen groß. Manche Lebewesen haben ein Gesamtgenom, das kleiner ist."

Die Zusatz-DNA_Sequenzen sitzen zwischen einzelnen Genen und werden bei der Übersetzung der Gene zu Proteinen eigentlich "herausgeschnitten". Ein großer Teil dieser DNA enthält sich wiederholende Sequenzen, die bislang noch in keinem anderen Organismus entdeckt wurden, sagt Pao. Noch ist allerdings unklar, wie und ob diese sich wiederholenden Abschnitte tatsächlich die Regeneration beeinflussen. Vielleicht haben sie auch mit anderen Lebensbereichen der Tiere zu tun.

Eine der wichtigsten Fragen, die nun beantworten werden muss, ist diejenige nach der Übertragbarkeit. Verfügt der Schwanzlurch über einzigartige genetische Eigenschaften, die ihm die Regeneration erlauben? Oder wohnt allen Tieren diese Funktion inne, auch wenn sie derzeit deaktiviert ist? "Wenn wir ein völlig einzigartiges Gen finden, das nur im Axolotl vorkommt, wäre es sehr schwer, dieses bei anderen Tieren oder dem Menschen nachzubauen", sagt David Gardiner, Biologe an der University of California in Irvine, der ebenfalls bei dem Projekt mitarbeitet. Er hofft deshalb, dass die Regeneration eine Fähigkeit ist, die tief in der DNA jedes Wirbeltiers versteckt liegt und die sich mit ein paar genetischen Tricks aufwecken lässt. "Die meisten Gewebearten in unserem Arm erneuern sich beispielsweise. Nur der Arm selbst eben nicht." Nun müsse man nur noch herausfinden, wie man den Körper dazu bringen könne, eine solche integrierte Struktur zu bilden. (bsc)