Magenroboter setzt sich selbst zusammen

Module, die ein Patient einzeln schluckt, und die sich im Körper zusammenbauen, sollen bald genauere Diagnose- und Behandlungsverfahren möglich machen.

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Von
  • Kristina Grifantini

Ärzte suchen schon seit langem nach Methoden, um das Innenleben des menschlichen Körpers zu untersuchen, ohne den Patienten gleich aufschneiden zu müssen. Eine schluckbare Kamera, die etwas größer als eine normale Medikamentenpille ist, kann Bilder aufnehmen, während sie sich durch Magen und Darm bewegt – das könnte Endoskopien und operative Diagnosen eines Tages überflüssig machen. Nun geht ein Konsortium aus europäischen Forschern noch ein Stück weiter: Sie testen einen chirurgischen Roboter, der sich im Magen aus mehreren vom Patienten geschluckten Teilen zusammensetzen kann.

Die israelische Firma Given Imaging, die die erste Pillenkamera entwickelt hat, arbeitet derzeit an einer Methode, mit der sich die Bewegung der Kapsel von außerhalb des Körpers steuern lässt. Verschiedene universitäre Forschergruppen suchen ebenfalls nach Wegen, schluckbare Diagnosekapseln manövrierbar zu machen – in dem sie sie rollen, kriechen oder an Gewebe anheften lassen. Mit dieser größeren Kontrolle könnten Ärzte die Technologie bald für genauere Diagnosen verwenden und vielleicht sogar als Behandlungsmethode. Das Problem: Die Gerätegröße bleibt stets eingeschränkt, weil eine einzelne Kapsel klein genug sein muss, damit sie komfortabel geschluckt werden kann.

Die Forschergemeinschaft ARES mit Wissenschaftlern aus Italien, Frankreich, der Schweiz und Spanien testet nun eine Technik, mit der mehrere Kapseln automatisch zusammengeführt werden können. Jede würde einzeln geschluckt, bevor sie sich, sicher im Magen angekommen, in ein komplexeres Gerät verwandeln. Das ultimative Ziel wäre es, heißt es aus dem Team, wenn jede Kapsel eine unterschiedliche Aufgabe erfüllen würde: Eine ist für die Bildaufnahme verantwortlich, eine für Strom, eine nimmt Proben und so weiter. Einmal im Magen angekommen, bilden die Kapseln gemeinsam ein schlangenartiges Gerät, das sogar durch den Darm schlüpfen könnte. So ließen sich deutlich komplexere Aufgaben erledigen als mit einzelnen Kapseln oder völlig frei schwimmenden Pillenkameras.

"Wir schlagen einen modularen Ansatz vor, bei dem jede Kapsel eine andere Funktion übernimmt", erklärt Zoltan Nagy, Forscher an der ETH in Zürich und Mitglied des ARES-Projekts. "Bevor wir über solche komplexen Magenroboter reden können, müssen wir allerdings erst einmal das fundamentale Problem des automatischen Zusammenbaus lösen. Unsere Studie zeigt einen Weg, wie sich das robust durchführen lässt", sagt er.

Die ETH-Gruppe entschied sich dafür, Magnete zu nutzen, um die Module zu verbinden, weil sie keinen Strom benötigen und sich trotzdem von außerhalb des Körpers überwachen lassen. Um das beste Design für die sich selbst zusammensetzenden Kapseln zu finden, untersuchten die Forscher zunächst verschiedene Gestaltungsvarianten an einem Kunststoffmodell des Magens, das mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Sie führten außerdem 50 Tests für jede der zwölf unterschiedlichen möglichen Konfigurationen durch – Modulgröße, Magnettyp und Magnetanordnung waren jeweils verschieden. Ein einzelner Magnet mit einer Positiv-Negativ-Achse auf der Oberfläche einer längeren Kapsel funktionierte am besten, es ergab sich eine 75prozentige Erfolgsquote bei der Verbindung zweier Kapseln. Ein flexibleres Magnetmodul steigerte dies auf 90 Prozent.

"Die Arbeit ist als Konzept interessant, weil modulare Roboter, die sich im Körper zusammen bauen können, flexiblere und komplexere Anwendungen im Verdauungstrakt erlauben", meint Metin Sitti von der Carnegie Mellon University, wo man an Roboterkapseln arbeitet, die sich an Gewebe entlang hangeln können. "Aktuelle Kapseln werden typischerweise größer, wenn mehr Funktionen ergänzt werden. Module, die sich selbst zusammen bauen können, hätten diese Probleme in geringerem Maße."

"Eine der Hauptprobleme der schluckbaren bildgebenden Kapseln ist die Batterie", sagt Milan Dodig, Gastroenterologe an der Cleveland Clinic, der ein solches Gerät bei Patienten anwendet. "Sie benötigt fast 60 Prozent des Volumens der Kapsel, sie ist nicht steuerbar und nimmt deshalb nicht alles auf. Auch der Winkel der Aufnahmen ist eingeschränkt, man kann nie den vollständigen Darm sehen."

Das ETH-Team konnte hingegen ermitteln, wie gut die Module aneinander haften, in dem die Veränderungen im Magnetfeld untersucht wurden. "Mit dieser einfachen Methode kann man feststellen, ob die Verbindung besteht, ich also ein Bild auf meinen Rechner erhalte", sagt Nagy.

Der nächste Schritt der Forscher soll nun sicherstellen, dass die Magneten das Gewebe nicht beschädigen, wenn sie sich miteinander verbinden. Dazu sind Tests in einem sich bewegenden künstlichen Magen angedacht sowie Versuche an Tiermägen, die Partnerinstitute liefern werden. Das Team muss außerdem noch eine Methode finden, zu kontrollieren, wie die Kapseln sich anordnen.

"Ein solches Gerät, das sich schlucken lässt, sich selbst zusammensetzt und von außen kontrolliert werden kann, wäre ein wichtiger Fortschritt", meint Joseph Murray, Gastroenterologe an der Mayo Clinic, der die Studie kennt. Er sieht allerdings eine größere Herausforderung darin, die Magnete sicher zu verwenden.

"Es gibt eine große Nachfrage von Ärzten nach solchen steuerbaren Kameras", meint Frank Volke, Projektleiter am Fraunhofer Institut in St. Ingbert, der eine Technik für die Steuerung der Given Imaging-Pillenkamera mitentwickelt hat, die ebenfalls auf Magnetismus setzt. Er hält das ARES-Projekt für wissenschaftlich sehr interessant, auch wenn es etwas länger dauern werde, bis eine praktische Verwendung möglich sei.

Nagy glaubt, dass die magnetische Verbindung auch bei anderen Robotersystemen genutzt werden könnte – beispielsweise bei Suchrobotern, die dann in Einzelteilen durch enge Spalten eingestürzter Häuser herabgelassen würden, um sich dann zusammenzusetzen. "Es ist vorstellbar, dass man ein paar Teile eines Roboters irgendwo einwirft und er sich selbst in Funktion setzt." (bsc)