"Die Plattenfirmen verstehen langsam, worum es geht"

Wie lässt sich im Zeitalter des Internet noch Geld mit Musik verdienen? Die Plattform Last.fm, auf der sich weltweit über 20 Millionen Nutzer tummeln, versucht es mit dem Angebot einer grenzenlosen Jukebox, zu der parallel Werbung eingeblendet wird.

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Inhaltsverzeichnis

Last.fm mit Sitz in London hat seine Herkunft eigentlich zu großen Teilen im deutschsprachigen Raum - die beiden Hauptgründer kommen aus Deutschland und Österreich. Kreativchef und Kontaktmann zur Musikindustrie ist Martin Stiksel. Der Österreicher konnte den Wandel der Branche in den letzten Jahren hautnah miterleben und freut sich im Technology Review-Interview, dass die Plattenbranche inzwischen wesentlich offener ist als früher.

Technology Review: Herr Stiksel, Last.fm wurde im Mai 2007 vom US-Medienkonzern CBS übernommen - für 280 Millionen Dollar. Was hat sich seither verändert?

Martin Stiksel: Wir sind weiter gewachsen, sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Nutzerzahlen.

Wir haben außerdem an Glaubwürdigkeit gewonnen, dadurch dass wir jetzt einen starken Partner haben, einen großen Bruder bei den Plattenfirmen, bei den Geschäftspartnern, die jetzt einfach wissen, das ist jetzt kein einfaches Start-up mehr. Bei Neugründungen gibt es ja immer das Problem, dass nie klar ist, wie lange sie oben bleiben. CBS hilft uns auch, gute Leute zu rekrutieren und einfach aus dem Start-up-Modus ein bisschen heraus zu kommen.

Gleichzeitig sind wir von der Einstellung, von der Ideologie her aber irgendwie doch noch ein Start-up, wir operieren immer noch recht locker. Was das Produkt anbetrifft sind wir total unabhängig. Produktentscheidungen, alle Arten von Strategieentscheidungen liegen bei uns. CBS will, dass es uns gut geht, dass wir wachsen und solange die Zahlen stimmen, passt das auch gut.

TR: Bislang bot Last.fm nur Radiodienste an, nicht aber die Möglichkeit, einzelne Musiktitel auf Wunsch abzurufen. Das hat sich seit dem Frühjahr geändert und durchaus für ein Raunen in der Branche gesorgt. Schließlich soll sich Musik hier jetzt über Werbung refinanzieren.

Stiksel: Genau. Bislang konnte man sich über die Künstlersuche passende Radiostreams zusammenstellen. Seit Januar gibt es den neuen "Free on Demand"-Dienst, bei dem man sagen kann, ich will jetzt diesen Song oder dieses Album hören. Das Ganze bieten wir in voller Länge an. Man kann damit jedes Musikstück ganz durchspielen. Und das geht pro Stück drei Mal. Dann werden andere Songs empfohlen, die man sich anhören sollte. Und so weiter, und so fort. Wir haben inzwischen ein riesiges Repertoire mit Millionen von Songs, da geht dann die Musik nicht so schnell aus.

Der neue Dienst ist vom Hörerlebnis insgesamt etwas total anderes. Bisher war es bei den Radiostreams so: Ich lehne mich zurück und mache andere Dinge und schaue ab und zu hin, wer da denn spielt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich an den Rechner gehe und sage, ich will das und das Stück hören und kann es sofort haben.

TR: Welche Labels konnten Sie für den Dienst mit ins Boot nehmen?

Stiksel: Im Prinzip alle, auch die großen Independents und Aggregatoren, Firmen wie Naxos, klassische Musik, Weltmusik, Jazz. Von den Großen sind EMI, Universal und Sony dabei, mit Warner erneuern wir die Verträge gerade. Gleichzeitig können auch User, Künstler und Bands, die kein Label haben, ihre Songs hochladen und für den Service freischalten. Damit eröffnen wir auch dieser Gruppe den Zugang zu dem Online-Musikverwertungsreigen, der ihnen vorher verwehrt blieb. Die kriegen genauso wie alle anderen einen Schnitt von den Anzeigen, die rundherum platziert werden.

TR: Und wenn keine Werbung auf einer Songseite enthalten ist?

Stiksel: Dann gibt es einen Minimumbetrag. Es ist stets ein "greater of", der höhere Betrag wird gezahlt. Das ist bei solchen Verträgen üblich.

TR: Das Anbieten solcher umfassender On-Demand-Dienste wurde von den großen Plattenfirmen jahrelang nicht genehmigt. Hatte die Möglichkeit für Last.fm, das Konzept nun umzusetzen, auch mit der Unterstützung durch den neuen Mutterkonzern CBS zu tun? Oder wäre der Service auch als unabhängige Firma möglich gewesen?

Stiksel: Wir hatten das schon länger geplant und die Möglichkeit war auch vor der Hochzeit mit CBS in ersten Lizenzverträgen enthalten. Wir wollten von Anfang an die vollkommene Musikplattform sein, auf der man Musik in jeder Art und Form konsumieren kann. Da gehört, neben unseren Radiostreams, die auf einem Empfehlungsalgorithmus basieren, natürlich auch ein solcher Service dazu. Wo man sagen kann: Ich höre mir jetzt diese oder jene Musik an. Ich muss die nicht herunterladen, ich muss sie nicht kaufen, ich kann sie einfach sofort streamen. Ich muss sie nicht besitzen und auf meiner Festplatte haben, weil ich ständig Zugang habe. Das war für uns extrem wichtig.