"Wir müssen vom Begriff der Rasse wegkommen"

Clyde Yancy, designierter Präsident der amerikanischen Herzstiftung, spricht im TR-Interview über die Herausforderung, Therapieformen an der ethnischen Herkunft des Patienten auszurichten.

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Von
  • Emily Singer

Bidil, ein Herzmedikament, das 2005 von der US-Gesundheitsaufsicht zugelassen wurde, hatte sich zuvor in klinischen Studien als besonders wirkungsvoll bei afroamerikanischen Patienten erwiesen. Dem Hersteller brachte diese genaue Zielgruppenerfassung allerdings nicht nur Gutes ein: Seine Vermarktungsstrategie wurde in Amerika heiß diskutiert. Einige Beobachter lobten die Zulassung als Zeichen dafür, dass es nun möglich sei, auch bislang unterversorgten Bevölkerungsschichten im US-Gesundheitssystem besser zu helfen; Kritiker bezeichneten die Wahl der Hautfarbe als Erkennungsmerkmal für genetische Variationen, die bei der Reaktion des Körpers auf bestimmte Medikamente eine Rolle spielen, hingegen als völligen Fehlgriff.

Hinzu kam, dass Bidil eine Kombination zweier generischer Therapeutika war, die für sich genommen viel kostengünstiger angeboten wurden. Kritiker bezichtigten den Hersteller deshalb, eine Art "rassebasiertes Marketing" zu betreiben. Im Medizinhandel spiegelte sich die Zerrissenheit wieder: Bidil kam nicht besonders gut an. Der Hersteller stellte die Bewerbung im letzten Jahr deshalb ein und entschied sich in diesem Monat, mit potenziellen Käufern in Verhandlung zu treten.

Clyde Yancy, medizinischer Direktor am Baylor Heart and Vascular Institute und designierter Präsident der amerikanischen Herzstiftung, kann den Streit nicht ganz verstehen. Der Forscher war selbst an den klinischen Studien beteiligt und musste feststellen, das nicht nur Bidil wenig verschrieben wurde, sondern auch seine generischen Brüder. Im Interview mit Technology Review erläutert er die Problematik, die sich ergibt, wenn die Hautfarbe in die Therapiefindung einbezogen wird.

Technology Review: Herr Yancy, warum ist die Frage der Herkunft überhaupt in der Medizin überhaupt ein Thema?

Clyde Yancy: Unsere Bevölkerungsdemographie wandelt sich viel schneller als wir bislang dachten. Eine medizinische Praxis wird es in ihrer Lebenszeit mit einer so mannigfaltigen Zahl unterschiedlicher Personen zu tun bekommen, dass es dafür bislang keinen Vergleich gibt. Dementsprechend wichtig ist es, die Nuancen bei den Unterschieden in den Krankheitsbildern verschiedener Bevölkerungsgruppen zu verstehen.

TR: Wie kann man sicherstellen, dass die Ärzte hier sensibel genug reagieren?

Yancy: Zunächst geht es um ein entsprechendes Bewusstsein. Ich glaube nicht, dass Mediziner Krankheiten übersehen wollen. Wenn sie aber nicht wissen, dass sie sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich darstellen können, wird sich nichts ändern.

TR: Wie wichtig ist der Faktor der genetischen Varibilität beim Versuch, gesundheitliche Verschiedenheiten bei Menschen unterschiedlicher Herkunft zu erklären?

Yancy: Selbst mit dem robustesten Verständnis der Genetik können wir nur einen kleinen Teil der Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen erklären. Menschen schwarzer Hautfarbe in den USA haben öfter hohen Blutdruck als solche mit weißer. Das ist ein Unterschied, kein Missverhältnis. Wenn man sich dann aber ansieht, wie hoch der Anteil der Afroamerikaner ist, denen es gelingt, ihre Ziele bei der Senkung ihres Blutdruckes zu erreichen, ist dieser sehr klein. Das könnte ein Missverhältnis sein, das sich aus einer schlechteren Gesundheitsversorgung ergibt – oder einem fehlenden Verständnis, wie gefährlich fehlendes Handeln für die Betroffenen sein kann. Ergo: Wenn wir diese Probleme nicht angehen, werden aus einfachen Unterschieden Missverhältnisse.

TR: Laut einer Untersuchung der US-Vereinigung der Pharmaforscher und Pharmahersteller aus dem Jahr 2007 ergab sich, dass rund 700 aktuell in der Entwicklung befindliche Medikamente auf die Zielgruppe Afroamerikaner abgestellt sind. Wie kann man sicherstellen, dass diese Wirkstoffe von den Firmen verantwortlich entwickelt und vermarktet werden?

Yancy: Als erstes muss man die Motivation verstehen, die hinter der Entwicklung eines Medikaments für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe stecken – und herausfinden, ob dadurch ein echtes Bedürfnis gedeckt werden soll oder man sich schlicht Marketingvorteile verspricht. Wenn also 700 Medikamente in der Entwicklung sind, sprechen wir von 700 verschiedenen Umständen, bei denen jemand annahm, er sehe einen Bedarf. Ich muss zugeben, dass ich nicht glaube, dass solche 700 Fallbereiche wirklich existieren.

TR: Sie schrieben kürzlich in einer Analyse, dass die Umsetzung des Wissens über Unterschiede bei den Krankheitsrisiken bestimmter Bevölkerungsgruppen bislang noch sehr ineffektiv oder sogar heikel ist. Was ist hier das Hauptproblem?

Yancy: Das Thema ist an sich in unserer Gesellschaft schon heikel genug – und hier treffen dann Fragen der Hautfarbe auf die Medizin. Es gibt sehr spezifische Mechanismen, die bei Herzproblemen von Menschen eine Rolle spielen, die zur Gruppe der Afroamerikaner gerechnet werden. Wenn ein praktischer Arzt mit einem solchen Patienten konfrontiert ist, kommt es vor, dass er sich davor fürchtet, ihm für seine Herkunft passende Medikamente zu verschrieben. Auch weil einige Patienten damit dann wohl Probleme hätten.

Wir fanden in einer Studie heraus, dass es zwar enorme Vorteile hat, Afroamerikaner mit Herzversagen spezielle Medikamente zu verschreiben, dies jedoch in kaum zehn Prozent der Fälle auch geschieht. Auch gibt es hier kaum Wachstum. Dies zeigt mir, dass es schwierig ist, die Karten offen auf den Tisch zu legen und in diesem Bereich echte Fortschritte zu machen.

TR: Sprechen Sie von Bidil?

Yancy: Ja – und jede andere Zusammensetzung seiner Ausgangsstoffe. All das wurde wenig verschrieben. Wäre es bei den anders vermarkteten Generika anders gewesen, hätte man argumentieren können, dass die Wissenschaft dahinter von der Ärzteschaft akzeptiert worden ist und sie einen Weg gefunden haben, die passende Patientengruppe damit zu versorgen.

TR: Wie soll es künftig auf dem Gebiet weitergehen?

Yancy: Wir müssen vom Begriff der "Rasse" wegkommen. Je weiter die Forschung fortschreitet, desto wahrscheinlicher wird es, dass dieses Konstrukt durch etwas für Wissenschaft und Patienten wesentlich Greifbareres ersetzt wird. Dann müssen wir auch nicht mehr dieses belastete Wort verwenden, wenn es darum geht, die beste medizinische Versorgung sicherzustellen. (bsc)