Grenzkontrolle im Internet

Nur deutsche Leitungen für deutsche Daten? Eine Zersplitterung des Internets in nationale Netze zwecks Datenschutz und Spionageabwehr ist möglich – aber nicht sinnvoll.

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Von
  • Bernd Müller

Nur deutsche Leitungen für deutsche Daten? Eine Zersplitterung des Internets in nationale Netze zwecks Datenschutz und Spionageabwehr ist möglich – aber nicht sinnvoll.

Seit dem beginnenden Untergang des 600-jährigen Osmanischen Reichs Anfang des 19. Jahrhunderts steht der Begriff "Balkanisierung" für Zerfall, Chaos und Rückständigkeit. Solche balkanischen Zustände könnte es auch bald im Internet geben – jedenfalls wenn es nach dem weißrussischen Publizisten und Internetkritiker Evgeni Morozov geht.

Er plädiert für eine stärkere Abschottung nationaler Netze gegen die Interessen amerikanischer Konzerne und Geheimdienste. Der Zerfall des Internets in ein Konglomerat nationaler und regionaler Infrastrukturen, in denen Daten an Landesgrenzen haltmachen – aus der Luft gegriffen ist das nicht. Denn China oder Iran arbeiten zwecks Zensur schon länger an nationalen Netzen, die eher einem Intranet denn einem World Wide Web entsprechen.

Vor allem das Reich der Mitte treibt die Kontrolle seiner Bürger auf die Spitze. Angebote wie Facebook oder Google sind gesperrt, im Browser erscheint nur eine nichtssagende Fehlermeldung. Der Trick, über ausländische Anbieter eine gesicherte VPN-Verbindung (Virtual Private Network) aufzubauen und so den eigenen Datenverkehr vor den Zensoren zu verbergen, funktioniert ebenfalls kaum noch. Damit schottet das Land gleichzeitig seine Internetangebote gegen ausländische Wettbewerber ab.

Hinzu kommt Furcht vor Spionage und – zumindest vordergründig – die Sorge um den Datenschutz. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat das Datenverarbeitungszentrum Serpa angewiesen, ein nationales verschlüsseltes E-Mail-System zu entwickeln, das Abhöraktionen der NSA unterbinden soll. Auch Kanada sorgt sich offenbar um die Daten seiner Bürger. Denn das Land überlegt, zusätzliche Internetknoten zu bauen, damit Daten von kanadischen Sendern zu kanadischen Empfängern nicht wie heute den Umweg über die USA nehmen. Wie doppelzüngig hier jedoch argumentiert wird, zeigt die Enthüllung, dass der amerikanische Geheimdienst den brasilianischen Ölkonzern Petrobras ausspioniert hat – mithilfe kanadischer Behörden.

Nicht immer nämlich steckt das hehre Ziel des Schutzes der Bürger hinter solchen Konzepten. Der IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier befürchtet sogar, dass einige Länder den Trend zu nationalem Routing als Vorwand nutzen könnten, um mehr Kontrolle über ihre Bürger zu erlangen – wie heutzutage schon China. Aber nicht nur Staaten, sondern auch der eine oder andere Konzern propagiert nationale Lösungen. Auch hier dürfte der Eigennutzen wichtiger sein als der Bürgerschutz.

Die Deutsche Telekom etwa nutzte die Aufregung um die Enthüllungen von Edward Snowden für den Vorschlag eines Schengen-Routings: Daten, die von einem deutschen Absender an einen deutschen Empfänger geschickt werden, sollten nicht wie heute mit teils enormen Umwegen quer über den Atlantik laufen, sondern ausschließlich über Verbindungen innerhalb des europäischen Schengen-Raums. "Der Vorschlag der Telekom war nur ein Manöver, um alte Monopol-Fantasien neu zu beleben", sagt Harald Summa, Geschäftsführer der Deutschen Commercial Internet Exchange DE-CIX. Sie betreibt in Frankfurt den gemessen am Datenvolumen weltweit größten Internetknoten.

In der Spitze verteilt er pro Sekunde rund vier Terabyte. Etwa 700 deutsche und internationale Internetanbieter tauschen ihre Daten hier aus. Ein Root-Server – eine Art Telefonbuch für alle angeschlossenen Internetnutzer und E-Mail-Adressen – sagt den Daten, auf welcher Strecke sie ihr Ziel erreichen. DE-CIX verlangt für diesen Service keine Gebühren, es wird von den Mitgliedsunternehmen genossenschaftlich betrieben. Schon heute verließen Daten mit deutschen Absendern und Empfängern den deutschen Boden nicht, so Harald Summa. "Das garantieren wir zu fast hundert Prozent."

Die Telekom war bis vor Kurzem nicht Kunde in Frankfurt. Der Konzern handelt lieber eigene Transitverträge mit jedem einzelnen Anbieter aus, um zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften. Käme es nun zu einem Schengen-Routing, müssten noch mehr Anbieter als bisher Verträge mit der Telekom abschließen – und würden die Kassen des ehemaligen Staatskonzerns klingeln lassen. Doch die Strategie ging nicht auf. Denn für ein Schengen-Routing wären viele einzelne Verträge erforderlich gewesen.

Deshalb senden etliche Internetunternehmen ihre Daten nach wie vor lieber über Frankfurt. Die Telekom sah sich daher gezwungen, auch bei DE-CIX einzusteigen. Seit Februar schicken die Bonner Teile ihres Datenverkehrs über den öffentlichen Knoten. An ihrem Geschäftsmodell hat sich allerdings nichts geändert: Wer Daten in Telekom-Leitungen weiterschicken möchte, muss bezahlen.

Große Digitalkonzerne sehen die Entwicklung mit Sorge. Dabei geht es weniger um den Zugriff auf Nutzerdaten, mit denen Google, Facebook und Co. Geschäfte machen. Vielmehr bangen die großen Internetunternehmen in den USA um die Flexibilität beim Management ihrer weltumspannenden Netze. Wo eine Suchanfrage bearbeitet wird, entscheidet Google je nach Auslastung der eigenen Rechenzentren. So kann eine deutsche Eingabe durchaus auch in Skandinavien beantwortet werden. Müssten deutsche Daten immer in Deutschland bleiben, wäre diese Möglichkeit dahin.

Hartmut Pohl, Professor für Informationssicherheit an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, hält eine Regulierung der Routingwege ohnehin für nutzlos. Denn der Aufwand für angelsächsische Geheimdienste, auch innereuropäischen Datenverkehr zu überwachen, sei "nicht übermäßig hoch".

Sie wäre zudem wirtschaftlich riskant. Während in China der heimische Markt groß genug für ein nationales Internet zu sein scheint, sieht das für kleinere Länder anders aus. Die Türkei etwa, die ebenfalls die Daten ihrer Bürger kontrollieren will, könnte mit einem ähnlich abgeschotteten Netz Schiffbruch erleiden. Bis heute existiert dort kein großer öffentlicher Internetknoten nach DE-CIX-Vorbild. Dabei wäre das Land mit seiner Schlüsselposition zwischen Europa und Asien ein idealer Standort.

Zu beiderseitigem Nutzen, wie das Beispiel Mittlerer Osten zeigt. Dort schießen derartige Knoten förmlich aus dem Boden – und eine Internet- und Medienwirtschaft gleich mit. Dieser Entwicklung wird sich auch die Türkei nicht verschließen können, glaubt Harald Summa. "Es wird keine Balkanisierung des Internets geben, einfach weil die Marktmechanismen dagegensprechen." (bsc)