Genetische Einsichten für alle?

Die erste Consumer Genetics Show in Boston zeigt, dass das Geschäft mit persönlichen Genanalysen anzieht. Doch die Antworten, die die Firmen den Verbrauchern liefern, werfen zahlreiche Fragen auf.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Emily Singer

Wollen Sie wissen, wie gut Ihr Stoffwechsel Vitamin B umsetzen kann? Ob Sie eine genetische Veranlagung dafür haben, auf Langstreckenflügen Blutgerinnsel zu bilden? Oder wollen Sie einfach nur Ihr Genom mit Freunden und Verwandten teilen? Eine Kreditkarte und ein Internetzugang könnten demnächst genügen – dank einer wachsenden Zahl von Gentests, mit denen Verbraucher die Analyse ihres Erbguts selbst vornehmen und sich den Gang zum Arzt ersparen sollen.

Was bereits möglich ist, wurde vergangene Woche auf der ersten Consumer Genetics Show in Boston gezeigt. Dort präsentierten verschiedene Start-ups vom einfachen Gentest für die Veranlagung des Herzens oder eine individuelle Diät bis hin zur vollständigen Gensequenzierung den rasanten Fortschritt einer Technik, die noch in den neunziger Jahren Zukunftsmusik war. Illumina aus San Diego kündigte an, den Gencode für nur noch 48.000 Dollar zu sequenzieren, und Complete Genomics aus dem kalifornischen Mountain View teilte mit, dieselbe Dienstleistung in naher Zukunft gar für 5000 Dollar anzubieten.

Bislang war die medizinische Genetik auf Tests beschränkt, die Ärzte vornehmen, um ihre Patienten auf seltene Gendefekte zu untersuchen, die etwa die Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose hervorrufen. Doch der dramatische Preisverfall bei gentechnischen Verfahren macht aus der teuren Nischenanwendung nun eine Technologie für den Massenmarkt. In den vergangenen vier Jahren sind die Kosten der Gensequenzierung auf ein Zehntausendstel gefallen. Forscher haben Hunderte genetischer Variationen entdeckt, die das Risiko alltäglicher Erkrankungen wie Diabetes steigern oder gar körperliche Veranlagungen wie die Größe beeinflussen.

Seit zwei Jahren versuchen die ersten Firmen, daraus Dienstleistungen direkt für den Verbraucher zu machen. 23andMe oder Navigenics bieten Gen-Scans an, die krankheitsspezifische Genvariationen zutage fördern sollen. Wer mehr Geld anlegen will, kann sich von Knome das komplette Genom sequenzieren lassen. Ob das Geschäft mit der Verbraucher-Genetik läuft, lässt sich zurzeit schwer abschätzen. Die meisten Firmen weigern sich bislang, Zahlen zu veröffentlichen, wie gut sich ihre Dienstleistung verkauft. James Heywood, Mitgründer von PatientsLikeMe, einer Firma, die Patientendaten sammelt und auswertet, verweist allerdings auf die frühen Tage des Online-Handels. Von den Pionieren hätten zwar die wenigsten überlebt, aber aus ihren Ideen sei eine ganze Industrie entstanden.

Wer noch daran zweifelt, dass die Genanalyse längst auf dem Weg zum Massenmarkt ist, sollte einen Blick auf Interleukin Genetics werfen. Das Start-up aus Boston verkauft seinen Gentest für Herzkrankheiten, Vitamin-B-Stoffwechsel und andere Gesundheitsfaktoren über den amerikanischen Direktvertriebsspezialisten Amway. „Diese Firmen haben mit minimalem Werbeaufwand die Phantasie der Öffentlichkeit beflügelt“, sagt Robert Green, Neurologe an der Universität Boston und einer der Organisatoren der Consumer Genetics Show. „Die Leute gieren nach mehr genetischen Details.“

Die schöne neue Welt der persönlichen Genetik wirft allerdings einige Fragen auf, mit denen Wissenschaftler, Ärzte und Unternehmer ringen: Wie gut sind die Informationen, die diese Gentests liefern? Wie leicht sind sie für Verbraucher zu verstehen? Und wie können sie der eigenen Gesundheit helfen? „Dann ist da auch die Frage, ob die Informationen die Menschen womöglich schädigen können, indem sie sie in die Irre führen, verwirren oder in einer falschen Sicherheit wiegen“, sagt Robert Green. Nicht-genetische Faktoren wie die Familiengeschichte, der Body-Mass-Index oder die persönliche Vorgeschichte etwa als Raucher seien oft besser geeignet, Gesundheitsrisiken abzuschätzen, fügt er an.

Kopfzerbrechen bereitet Beobachtern auch, wie die Informationen zum Verbraucher gelangen. Wenn der Arzt als fachkundiger Vermittler wegfällt, ist der Verbraucher auf sich allein gestellt, die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Es gibt noch viele Fragen zu beantworten, wie man das für jemanden, der keine Ausbildung in Genetik hat, nachvollziehbar und verantwortungsvoll umsetzt“, räumt Jorge Conde, Mitgründer und Geschäftsführer von Knome, ein.

Einige Anbieter von Verbraucher-Gentests stellen ihren Kunden die Ergebnisse im Internet zur Verfügung, andere im Zuge eines Beratungsgesprächs. „Eine persönliche Beratung ist ganz wichtig, denn viele Menschen unterscheiden nicht zwischen echten Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder genetischen Faktoren, die das Risiko für Herzkrankheiten in Maßen erhöhen“, sagt Michael Christman, Direktor des Coriell Institute for Medical Research, einem nichtkommerziellen Forschungszentrum in Camden, New Jersey. Verbreitete Krankheiten wie Alzheimer oder Typ-2-Diabetes mellitus würden durch das komplexe Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren hervorgerufen. Welchen Einfluss eine einzelne genetische Variation auf den Ausbruch solcher Krankheiten habe, sei schwierig abzuschätzen. „Fehlt jemand, der dies erläutern kann, kann es zu groben Fehleinschätzungen kommen“, warnt Christman.

Zur Debatte um die Billig-Gentests:
Autor Misha Angrist plädiert gegen eine Überregulierung von Gentests: "Jedem seine DNA" (TR vom 29.8.2008).
Veronika Szentpétery stellt im heutigen TR-Blog hingegen die großen Versprechungen der Gentest-Anbieter in Frage: "Außer Genen nichts gewesen?"
(nbo)