Klimatische Mitnahmeeffekte

In den USA soll ein ähnlicher Emissionsrechtehandel eingeführt werden, wie man ihn bereits aus Europa kennt. Die Amerikaner müssten aber dringend aus den hiesigen Fehlern lernen, meint Ökojournalist Peter Fairley.

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  • Peter Fairley

Befürworter des aktuell in den USA heiß debattierten Emissionsrechtehandels zeigen gerne auf das europäische Modell – es lohne sich, dieses nachzumachen, heißt es. Das System, das die EU-Kommission bereits 2005 eingerichtet hat, gibt der Luftverschmutzung durch Kohlendioxid erstmals einen marktbestimmten Preis. Damit soll die Industrie motiviert werden, ihre Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und dadurch die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern.

Die europäischen Regierungen legen dazu jährliche Grenzwerte fest, die energieintensive Industrien nicht überschreiten sollen. Dann werden den Firmen bestimmte Kontingente zugeteilt. Jede dieser Handelseinheiten, EU-Allowance oder EUA genannt, erlaubt es dem Besitzer, eine Tonne CO2 in die Atmosphäre zu entlassen. Die Grundidee: Firmen, die ihr EUA-Kontingent überschreiten, müssen mehr der Emissionsrechte auf dem freien Markt erwerben; Konkurrenten, die mit weniger EUAs auskommen, können diese wiederum zu Geld machen. Im Ergebnis soll weniger Verschmutzung so belohnt werden.

Zwar gibt es bereits andere Länder, die mit dem Modell experimentieren – darunter auch ein Konsortium aus mehreren US-Bundesstaaten – doch das europäische System stellt heute noch immer drei Viertel des gesamten Emissionsrechtehandels auf dem Planten. Das Marktvolumen an EUAs liegt inzwischen bei mehr als 140 Milliarden Euro. Trotz dieser Summe halten sich die positiven Auswirkungen allerdings in engen Grenzen.

Theoretisch sollte die Begrenzung der Emissionsrechte dazu führen, dass sich ein möglichst hoher Preis für die CO2-Verschmutzung bildet. Das wiederum soll dafür sorgen, dass Industriebetriebe und Energieunternehmen einen Anreiz dafür haben, sauberere Technologien zu entwickeln und zu implementieren. Die Realität sieht aber anders aus. So wurde eine große Menge an EUAs kostenlos verteilt – sowohl in der Anfangsphase, als auch jetzt im Normalbetrieb. Das führt wiederum zu niedrigen Preisen.

Im Ergebnis sorgte das in Zahlen ausgedrückt dafür, dass die Kosten pro ausgestoßener Tonne CO2 bei deutlich unter 20 Euro liegen. Bei einem so geringen Preis haben Industrien, die große Mengen des Klimagases produzieren, Wirtschaftswissenschaftlern zufolge kaum Anreize dafür, ihr Verhalten zu ändern. Denn: Es ist immer noch billiger, fossile Brennstoffe zu nutzen, als weniger umweltbelastend zu produzieren.

"Es ist schwierig zu sagen, ob irgend eine Investitionsentscheidung in den letzten drei bis vier Jahren wirklich vom CO2-Preis abhängig gemacht wurde", meint Sophie Galharret, Energieökonomin beim französisch-belgischen Stromkonzern GDF Suez, die auch als Research Fellow an der französischen Elite-Hochschule Sciences Po in Paris zum Thema Energie- und Klimaschutzmärkte forscht. "Ein perfekter Markt müsste solche Anreize liefern", sagt sie. Der aktuelle tue das nicht.

Tatsächlich zweifeln inzwischen viele Beobachter daran, dass der europäische Emissionsrechtehandel irgendwann wirklich zum Innovationstreiber wird. Die EU würde gerne den Klimagasausstoß bis 2020 um 20 Prozent im Bezug auf die Werte von 1990 reduzieren. Übersetzt in die Praxis hieße dies, dass jedes Jahr 1,74 Prozent weniger EUAs für die Industrie vorhanden sein müssten.

Die Firmen können dieses Ziel jedoch leicht erreichen, ohne neue Technologien einzusetzen. Die Handelsregeln besagen, dass die Unternehmen ihre eigene Verschmutzung "aufwiegen" können, in dem sie in Projekte investieren, die Klimagasemissionen reduzieren oder sie gar nicht erst entstehen lassen – und zwar in Entwicklungsländern außerhalb der EU. Offset nennt sich diese Technik.

Die andere Hälfte der geplanten Reduzierung lässt sich erreichen, indem die EU-Mitglieder den Output erneuerbarer Energien soweit erhöhen, wie sie es bereits beschlossen haben. Mit anderen Worten: Obwohl der Emissionsrechtehandel als Grundlange der EU-Klima- und Energiepolitik gilt, können Energieinvestoren ihn mindestens bis in das nächste Jahrzehnt hinein getrost ignorieren.

Solche Probleme erklären, warum Kritiker fordern, dass das System verschärft oder besser ganz aufgegeben werden sollte. In den USA schaut man dagegen nach wie vor auf die EU als großes Vorbild. Die Gründe, warum das System nicht funktioniert, speisen sich aus mehreren Faktoren. Von einer schlechten Datengrundlage über das Verhätscheln der heimischen Industrie bis hin zur Angst vor der Wirtschaftskrise reichen die Hemmnisse für einen wirksamen Emissionsrechtehandel.

Der Vorschlag der EU für das jetzige System stammt noch aus dem Jahr 2001. Damals ging es darum, dass die Mitgliedsstaaten ein Instrument in die Hand bekommen, um ihre Versprechen innerhalb des Kyoto-Protokolls erfüllen zu können. Kaum drei Jahre später haben die EU-Länder bereits EUAs an mehr als 11.500 Kraftwerksbetreiber und Industriebetriebe verteilt – von Stahlwerken über Ölraffinerien bis hin zu Zementfabriken. Die Summe repräsentiert fast die Hälfte der aktuellen CO2-Emissionen der EU. Fast alle EUAs, die in der Testphase zwischen 2005 und 2007 galten, wurden kostenlos ausgegeben, um Kritik aus Industriekreisen zu begegnen, die Angst vor Nachteilen im globalen Wettbewerb hatten.

Anfangs sah das Handelssystem durchaus gesund aus: Virtuelle Handelsplätze wie der European Climate Exchange in London blühten. Futures für einen 2007er EUA stiegen von rund sieben Euro im Januar 2005 auf mehr als 30 im April 2006. 2005 wurden allein 362 Millionen EUAs gehandelt – mit einem geschätzten Wert von 7,2 Milliarden Euro, wie das Beratungsunternehmen Point Carbon in Oslo errechnet hat.

Dann, im Mai 2006, brach der EUA-Preis ein – auf weniger als 16 Euro. Nach einer kurzen Erholungsphase im Sommer 2006 blieben die EUA-Futures bei nahezu Null bis zum Ende der Testphase. Emissionsdaten, die im Mai 2008 veröffentlicht wurden, zeigten, dass die EU-Staaten in der ersten Phase EUAs für 6321 Millionen Tonnen CO2 ausgegeben hatten – basierend auf unzuverlässigen Emissionsschätzungen und unter dem Druck verschiedener Industrien. Das überstieg die tatsächlichen Emissionen dieser Periode um sage und schreibe 107 Millionen Tonnen.

Die zweite Phase des Emissionsrechtehandels wird nun durch die globale Rezession gestört, die seit dem vergangenen Jahr die Szene prägt. Die EU setzt die CO2-Grenze für die Periode zwischen 2008 und 2012 insgesamt 6,5 Prozent niedriger an als bislang in der Testphase. Doch diese Rally war nur von kurzer Dauer. Der EUA-Preis rutschte auf einen Durchschnittswert von nur 11 Euro im ersten Quartal 2009, weil die Industrieproduktion aufgrund der Krise einbrach.

Das zusammenbrechende Handelssystem könnte reale Schäden produzieren. Kostenlose Emissionsrechte und geringe CO2-Preise helfen stets den stärksten Verschmutzern, tun aber den Endkunden in Europa weh. Die meisten EU-Staaten gaben Zusatzrechte an Schwerindustrien wie Zement und Stahl heraus, weil sie deren internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden wollten. Nach der gleichen Logik gaben die Staaten relativ wenige Rechte an die Stromkonzerne, weil deren Produkt in der Nähe der Endkunden produziert wird und daher nicht so stark im globalen Wettbewerb steht.

Diese Zuteilungsstrategie bedeutete, dass Stromkunden mit Preiserhöhungen leben mussten. Die wurden von den Konzernen vorgenommen, um die erwarteten Verluste durch den Einkauf zusätzlicher Rechte zu decken. Noch teurer wurde es, weil die Konzerne gleich noch ein paar Zusatzgebühren aufschlugen, die dadurch begründet wurden, dass sie beim Geschäft mit den Reste-EUAs aufgrund der geringeren Zuteilung nicht mitspielen durften.

Doch die Endkunden waren nicht die einzigen, die vom Handelssystem und der EUA-Vergabe bestraft wurden. Stromerzeuger, die relativ saubere Technologien verwenden, litten ebenfalls. Denn: Kohle-betonte Energiekonzerne, die die höchsten Emissionen erzeugen, profitieren am meisten vom CO2-Handel, weil die meisten Staaten ihnen mehr EUAs zugestehen. Dies gibt ihnen einen unfairen Vorteil gegenüber Nutzern von Erdgas oder erneuerbaren Energien, die weniger Klimagas in die Luft entlassen. Mit anderen Worten: Viele europäische Stromkonzerne können sich dank des Emissionsrechtehandels über satte zusätzliche Gewinne freuen.

"Das Handelssystem erhöht den Preis für Strom, doch die meisten Produzenten haben keine realen höheren Kosten", erklärt Jos Sijm, leitender Ökonom am Energieforschungszentrum der Niederlande. Der Experte schätzt, dass in Märkten wie den Niederlanden, Großbritannien oder Deutschland das Handelssystem die Strompreise 2005 und 2006 "sehr deutlich" erhöht habe – um 4 bis 10 Euro pro Megawattstunde. "In Deutschland bedeutete das Profite, die deutlich höher ausfielen – um ein paar Milliarden Euro."

Solche Entwicklungen wären leichter als unschöner Nebeneffekt einer Übergangsphase zu ertragen, würden die eigentlichen Ziele des Emissionsrechtehandels erreicht – die Senkung des CO2-Ausstoßes, beispielsweise. Doch leider ist es schwierig, genau diesen Effekt zu ermitteln.

Emissionen aus dem Bereich der Stromerzeugung nahmen sogar um ein Prozent zu, sowohl 2006 als auch 2007. Im vergangenen Jahr gingen sie dagegen um drei Prozent zurück, wie vorläufige Daten der EU-Kommission besagen. Beobachter meinen jedoch, dass die globale Rezession für einen Großteil der Reduktion verantwortlich ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Handelssystem große technische Veränderungen hervorbrachte, ist sowieso gering. "Wenn man Investitionen und große Innovationen sehen will, muss der Preis höher und stabiler sein," sagt Sijm.

Aber wie viel höher? Umfragen unter Firmenmanagern legen nahe, dass sie die Art, wie sie Energie verbrauchen, erst dann wirklich überdenken würden, wenn der Preis für eine Tonne CO2 bei mehr als 30 Euro liegt. Dennis Anderson, ein inzwischen verstorbener Professor für Energie- und Umweltstudien am Imperial College in London, schrieb 2007 in einer Studie, dass große Veränderungen wohl erst dann erfolgten, wenn der Preis "im oberen Bereich" zwischen 40 und 80 Euro pro Tonne liegt. Anderson schätzte, dass die 40-Euro-Marke dafür sorgen würde, dass Windfarmen auf dem Land und Atomkraftwerke zu einer besseren Investition als Erdgas- und Kohlekraftwerke werden. Doch erst bei 80 Euro lohne sich das Auffangen von CO2 und dessen Sequestrierung. Um Solar- und Offshore-Windanlagen preislich attraktiv zu machen, seien gar noch höhere Preise notwendig.

Wirtschaftswissenschaftler der internationalen Energieagentur IEA haben kürzlich berechnet, dass die Beschränkung der globalen Erwärmung auf ein erträgliches Maß jährliche Investitionen von 1,1 Billionen Dollar im Jahr erfordern würde. Und: Die notwendigen Innovationen seien nur dann abzusehen, wenn der Preis pro Tonne CO2 bei 200 Dollar liege.

Die Versuche, das EU-System zu verbessern, wurden bislang von der Politik ausgebremst. Der Verkauf der EUAs in Auktionsverfahren statt einer kostenlosen Vergabe würde die Mitnahmeeffekte und andere unschöne Anreize wohl verhindern. Das würde Geld in die Kassen spülen, das einige der EU-Länder für Investitionen in die Erforschung erneuerbarer Energien und Effizienzmaßnahmen vorgesehen hatten; steigende Energiekosten könnte das abmildern. Doch in der aktuellen zweiten Phase des Emissionsrechtehandels werden weniger als zehn Prozent der EUAs versteigert. Der Vorschlag, ab 2013 alle Emissionsrechte nur noch zu verkaufen, wurde von schnell wachsenden, Kohle-abhängigen Ländern wie Polen ausgebremst, die lieber schrittweise bis 2020 vorgehen wollen. Gleichzeitig werden die Auktionen auch in den Industriebereichen, die in der stärksten weltweiten Konkurrenz stehen, langsamer umgesetzt.

Unterdessen hat die Politik die Tür für den Bereich der CO2-Offsets weiter geöffnet. Sie erlauben den Firmen, ihre Klimaschutzziele zu erreichen, indem sie beispielsweise den Regenwaldschutz finanzieren und andere Klimahilfsprojekte in Entwicklungsländern anschieben.

Die Industrie betont, dass diese Maßnahmen sowohl wirtschaftlich als auch vom Umweltschutzaspekt her sinnvoll sind, weil der Klimawandel global sei. Das Problem ist allerdings, dass die Offsets dazu führen, dass die EUA-Nachfrage sinkt, was das Preissignal, das eigentlich gewollt war, weiter schwächt. Es dürfte noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn eine neue Regelung in Kraft tritt, für die sich die EU-Spitzen im vergangenen Dezember eingesetzt haben. Sie soll dazu führen, dass 20 Prozent der europäischen Energieproduktion bis 2020 aus erneuerbarer Quelle kommt.

Dementsprechend ist es wenig überraschend, dass einige Wirtschaftswissenschaftler sowie Experten der Stromindustrie für Korrekturen im System sind. Dazu gehören geringere Emissionsgrenzen, stärker kontrollierte Offsets und ein Preis, der einen bestimmten Wert nicht unterschreiten darf. Was auch immer die konkrete Lösung sei, das Handelssystem müsse deutlich gestärkt werden. "Der Emissionsrechtehandel ist nicht so streng, wie er sein müsste", meint Michael Grubb, Gastprofessor für Klimawandel und Energiepolitik am Imperial College in London und Chefökonom des U.K. Carbon Trust, der Firmen bei der Umsetzung ihrer Klimaziele hilft.

Besonders enttäuschend ist, dass die Europäer zwar versuchen, die gröbsten Schnitzer in ihrem Handelssystem auszubügeln, Politiker in Washington aber gerade dabei sind, ihre Fehler zu wiederholen. Die Kongressabgeordnete Henry Waxman (Demokrat aus Kalifornien) und Edward Markey (Demokrat aus Massachusetts) brachten Gesetzesvorhaben ein, die das System der Zugeständnisse an die CO2-intensiven Industrien ebenfalls enthalten, die das EU-System praktisch neutralisierten.

Das US-Gesetz schlug zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Beitrags Emissionsreduktionen um 17 Prozent im Vergleich zu jenen im Jahr 2005 vor – bis 2020. Damit lägen die USA auf einem Niveau von etwa 1990, jedoch kaum darunter. Ähnlich wie in Europa ist eine Mischung aus Offsets und Bestimmungen zur Verwendung erneuerbarer Energien geplant, die den CO2-Preis weiter reduzieren könnten. Analysten gehen davon aus, dass die Tonne 2020 schmale 15 bis 20 Dollar kosten könnte – ein Zehntel des von der IEA geforderten. Die meisten Verschmutzungsrechte werden derweil kostenlos verteilt, trotz des Potenzials für signifikante Mitnahmeeffekte und Anreize mit umgekehrter Wirkung. Dieser Schritt könnte zudem dafür sorgen, dass Präsident Barack Obama die erforderlichen 150 Milliarden Dollar fehlen, die in ein auf 10 Jahre angelegtes Programm zur Erforschung sauberer Energieformen fließen sollten, wie es im Budget für das Jahr 2010 steht.

Die Unterstützer des Waxman-Markey-Gesetzes meinen, dass der US-Kongress aus Angst um die energieintensiven Industrien keine schärfere Regelung durchsetzen könne. Dass ein CO2-Preis überhaupt im US-System etabliert werde, sei bereits ein Fortschritt, die Daumenschrauben könne man dann später anziehen. Das Problem: Der geplante Emissionsrechtehandel könnte so schwach sein, dass er ein falsches Signal an die Finanzmärkte sendet, die in neue Energietechnologien investieren wollen. Wer Zweifel daran hat, muss nur in die EU schauen. (bsc)