An den Grenzen der Technik

Zu einer ganz normalen Diskussionsveranstaltung über Softwarepatente gehören Szenen wie diese: "Schließen Sie Ihr Amt!"

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Von
  • Tobias Hürter

Zu einer ganz normalen Diskussionsveranstaltung über Softwarepatente gehören Szenen wie diese: "Schließen Sie Ihr Amt!", herrscht ein junger Unternehmer den Vertreter des Europäischen Patentamts an, der gerade eingeräumt hatte, dass seine Behörde daran gescheitert ist, den Begriff des Technischen zu definieren - das entscheidende Kriterium für die Patentierbarkeit einer Erfindung. Der Patentbeamte winkt ab, der Moderator geht eilig zur nächsten Frage und freut sich hinterher über die artige Diskussion: "Eia popeia!"

Konstruktiver Diskurs hört sich anders an. Dabei wäre er gerade jetzt geboten, denn es geht um die künftigen Grundregeln der Software-Industrie in Europa. Der Entwurf einer Richtlinie "über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen" tritt auf seinem Weg durch die EU-Institutionen in die entscheidende Phase, und es zeichnet sich ein Fehlschlag ab. Wenn die Richtlinie als jenes Textwrack in Kraft tritt, als das sie aus dem Gezänk der Interessengruppen hervorging, oder am Ende ganz scheitert, dann wäre der undurchsichtige Zustand des europäischen Software-Patentwesens bis auf weiteres zementiert. Mit etwas mehr Aufrichtigkeit und weniger Ideologie ist eine Richtlinie denkbar, mit der alle Beteiligten leben könnten.

Eigentlich soll das Patentwesen ja den technischen Fortschritt fördern, aber es tut sich seit jeher schwer, ihm zu folgen. Sobald ein neuer Technologiezweig heranwächst, beginnt das Gezerre zwischen Juristen, Politikern und Unternehmern: Wie viel Schutz für was? Die wegweisenden Gerichtsurteile in Sachen Softwarepatente stammen - nach Zeitrechnung der Computer-Industrie - aus grauer Vorzeit.

In der Ära der Mainframes zählte ein Programm zum Zubehör eines Rechners, meist war es auf eine Maschine und eine Aufgabe zugeschnitten. Das Kriterium für Patentwürdigkeit war einigermaßen klar: Programme bekamen nur dann Patentschutz, sofern sie über bloße Kontrolle des Rechners hinaus einen "technischen Effekt" erzielen - also etwa eine Pressmaschine steuern oder Röntgenbilder auswerten. Auf ein Programm "als solches" war kein Patent zu haben.

Mit dem Rollenwandel von Computerprogrammen verschwamm diese ohnehin arg scholastische Unterscheidung vollends. Heutige Programme sind weniger maschinengebunden als ihre Ahnen, Hardware- und Software-Industrie haben sich getrennt.

Dieser Abstraktionsprozess lässt sich auf zwei entgegengesetzte Weisen deuten: Entweder hat die Software den Bereich der Technik weitgehend verlassen. Programmierer üben wie Schriftsteller eine reine Geistestätigkeit aus, die unter das Urheberrecht fällt, nicht aber unter das Patentrecht. Oder der Bereich der Technik ist mitgewachsen. Auch materiegewordene Logik (nichts anderes ist ein Programm) löst prinzipiell technische Aufgaben. Dann wären Computerprogramme ohne weiteres patentierbar.

Alles hängt daran, was man unter Technik versteht. Der Bundesgerichtshof hat sich einmal um eine Definition bemüht: Eine technische Erfindung sei "eine Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges". Das mag von philosophischem Interesse sein, gibt jedoch Patentprüfern wenig Entscheidungshilfe. Und so begannen die Ämter selbst, Fakten zu schaffen. Allen voran das Europäische Patentamt gewährte gemäß Deutung zwei immer freigiebiger Schutzrechte auf Software, während die Rechtslage eigentlich Deutung eins nahe legt. Die nationalen Ämter folgten in jeweils individuellem Tempo, wodurch die Vergabepraxis heute von Land zu Land deutlich variiert.

Mit diesem Durcheinander soll die geplante EU-Richtlinie aufräumen, sie ist aber leider selbst zu unklar für diese Aufgabe. Die Originalfassung, eingebracht 2002 von der EU-Kommission, hätte die Großzügigkeiten des Europäischen Patentamts im Nachhinein gerechtfertigt - zum Missfallen der Gegner von Softwarepatenten. Unter deren Druck hat das Europa-Parlament den Text dann so umformuliert, dass wohl kaum noch ein Computerprogramm patentierbar gewesen wäre. Dies wiederum ging dem EU-Rat zu weit. Die irische EU-Ratspräsidentschaft formulierte einen Kompromissvorschlag, an dem erneut herumredigiert wurde. Nun liegt dem Parlament für die zweite Lesung Anfang 2005 ein ziemlich verkorkster Text vor. Womöglich flickt das Parlament jetzt wieder an dem Entwurf, was ein trilaterales Vermittlungsverfahren mit Rat und Kommission auslösen könnte.

Dabei eignet sich die Richtlinie überhaupt nicht als Objekt einer Grundsatzdebatte über das Für und Wider von Softwarepatenten. Sie hat keinen Gesetzesrang, sondern soll die Auslegung bestehender Gesetze klären und vereinheitlichen. Und das sollte sie schleunigst tun, denn Klarheit ist in der jetzigen Lage ein Wert an sich - für alle Beteiligten.

Beide Seiten müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht immer aufrichtig zu argumentieren. Patentfreudige Konzerne beteuern gern, dass sie nur ihre Entwicklungen schützen wollen - missbrauchen ihr Patentportfolio in Wirklichkeit aber intensiv als Waffe gegen die Konkurrenz. Untereinander haben die Großen durch umfassende Patent-Austauschabkommen ein Gleichgewicht der Abschreckung geschaffen. Neulinge müssen draußen bleiben. Die Anti-Patent-Lobbyisten ihrerseits warnen vor "amerikanischen Verhältnissen": All die Softwarepatente würden den Entwicklern jede Freiheit rauben. Doch vom desolaten Zustand des Patentwesens jenseits des Atlantiks, wo das U. S. Patent and Trademark Office über 90 Prozent aller Anträge durchwinkt, ist Europa weit entfernt. Die Gewährungsquote hiesiger Ämter liegt bei rund einem Drittel.

Dennoch trifft die Kritik der Patentskeptiker. Speziell dem Europäischen Patentamt sind einige Patente zu viel durchgegangen. So bekam IBM das Schutzrecht für ein "dynamisches, den Fortschritt anzeigendes Ikon": den in grafischen Programmoberflächen gebräuchlichen Fortschrittsbalken. Kaum ein Programmierer kann vermeiden, Patente wie dieses zu verletzen - obwohl er dabei schwerlich eine IBM-Idee klaut. Die Furcht, in ein solches Trivialpatent zu tappen, eint alle, die auf dem Softwaremarkt mit eigenen Ideen Geld verdienen wollen. Deshalb greift die Unsitte um sich, ganze Marktreviere mit Patenten zu verminen. Mit Erfindungsschutz hat dieses Strategiespiel wenig zu tun, noch weniger fördert es den technischen Fortschritt.

Es besteht also Handlungsbedarf bei den Behörden. Die Patentämter brauchen genügend Ressourcen, um eine gründliche Prüfung der Anträge zu gewährleisten - nicht nur bei Software. Zudem ist das von Großkonzernen so gern gespielte Patentschach zu unterbinden. Speziell das Dickicht der Patent-Austauschabkommen wäre ein Fall für die Wettbewerbswächter. Leider kooperieren die europäischen Kartell- und Patentbehörden kaum.

Die umstrittene Richtlinie hat mit diesen Missständen nur mittelbar zu tun. Ihr Zweck ist es, die Patentierbarkeitskriterien für Computerprogramme zu präzisieren. Die ehrliche und für Patentrechtslaien einzig natürliche Antwort lautet: Software ist Technologie und demnach grundsätzlich patentierbar. Schließlich benutzt man Programme üblicherweise als Werkzeug und liest sie nicht wie einen Roman. Auch Patentskeptiker können dies zugestehen, ohne ihre Mission zu verraten. Die Bedenken gegen den Zustand des Patentwesens sind zu wichtig, um sie an der falschen Stelle anzubringen. (sma)