"Griechenland ist ein Ort, wo der Kapitalismus die Demokratie bekämpft"

Fortgesetzter Druck aus Deutschland auf Griechenland - eine Studie der Universität Halle weist nach, dass die deutsche Wirtschaft Gewinnerin der Griechenland-Krise ist

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In den letzten Wochen war Griechenland etwas aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber das Land sorgt doch noch bei vielen für Empörung. Nicht genug, dass deutsche Bundestagsabgeordnete ihren Urlaub für eine Sondersitzung unterbrechen müssen, um über die euphemistisch "Griechenlandhilfe" genannten Maßnahmen abzustimmen. Und manchem Unionspolitiker könnte sogar noch ein kurzzeitiger Karriereknick drohen. Vielleicht bleibt auch der Unionfraktionsvorsitzende Volker Kauder nicht mehr lang auf seinem Posten. Der hatte schließlich seinen Kollegen gedroht, wenn sie das Paket zu Griechenland weiter ablehnen, könnten sie auch nicht mehr die Fraktion in den entsprechenden Ausschüssen vertreten.

Ob das ein Eingriff in das Recht der Parlamentarier oder eigentlich nur eine selbstverständliche Ansage war, sorgt jetzt für Debatten im sommerlichen Berlin. Denn der deutsche Politiker kann sich aufregen über eine mögliche Abberufung aus einem Ausschuss, wo doch ein solches Gremium ein Sprungbrett für eine weitere Karriere darstellt. Deshalb geht es dabei auch weniger um finanziellen Belange, sondern um Fragen der Reputation.

Akt der Unterwerfung der Bevölkerung

Dabei müsste eigentlich die von Börsen und vielen Wirtschaftsmedien gefeierte technische Einigung auf ein Programm, das von der griechischen Bevölkerung bei den letzten Wahlen und bei einem Referendum mehrheitlich abgelehnt wurde, der Grund für Aufregung sein. Dabei ist der Zusatz schon wichtig, der von Tagesschau.de immerhin verwendet wurde:

Noch ist das Paket nicht endgültig.

Schließlich stehe die politische Beurteilung der EU-Staaten noch aus, heißt es dort. Die politische Bewertung der griechischen Bevölkerung, die die Lasten der neuen verschärften Austeritätspolitik tragen muss und vielleicht mit Streiks und Massendemonstrationen reagieren könnte, wird überhaupt nicht erwähnt. Sie ist nicht vorgesehen - und wenn sich die Bevölkerung doch äußert, ist das ein Grund mehr, die Daumenschrauben gegen Griechenland anzuziehen.

So haben ja nicht nur Schäuble, sondern auch ein Großteil der Unionspolitiker, die sich jetzt über Kauder aufregen, nach dem Referendum erklärt, dass die Maßnahmen jetzt noch mal verschärft werden müssen, weil mit einem solchen Akt der Demokratie Vertrauen verspielt wurde. So ging man in Zeiten der Rohrstockpädagogik mit renitenten Kindern und Jugendlichen um, die man nicht als gleichberechtigte Menschen, mit denen man ein Übereinkommen erzielen muss, sondern als Untergebene, deren Willen man brechen muss, behandelte.

Nicht von ungefähr ist im Zusammenhang mit Griechenland immer wieder die Metapher der Hausaufgaben gefallen, die nicht gemacht wurden, weshalb jetzt Strafarbeiten folgen. Ältere Griechen werden an die Strafexpeditionen denken, die von Deutschen in den 1940er Jahren des letzten Jahrhunderts in Griechenland durchgeführt wurden, um den Willen der Bevölkerung zu brechen. Man kann ihnen die Vergleiche nicht verdenken.

Die vor allem von "Deutsch-Europa" durchgesetzte Politik gegenüber Griechenland, die in dem neuen Abkommen ihren Höhepunkt findet, ist seit dem Januar 2015 davon geprägt, den Willen einer Bevölkerungsmehrheit zu brechen, die anders gewählt haben, als es die Erziehungsberechtigten vorsahen, und beim Referendum auch noch falsch abgestimmt hatten. Die abgewählte, ökonomisch vom kapitalistischen Standpunkt der Kürzungen, Privatisierungen und Liberalisierungen geprägte Politik wird verstärkt fortgesetzt.

Vor allem aber soll diese Politik jetzt von einer Regierung durchgesetzt werden, die mit dem erklärten Ziel angetreten ist, mit dieser Politik zu brechen. Hierin könnte aus Sicht der "Deutsch-EU" sogar noch der besondere Reiz bestehen. Das ist auch eine Folge des sozialdemokratischen Charakters der griechischen Regierung. Sie hätte bei den entscheidenden Treffen mit den EU-Ministern deutlich machen müssen, dass sie lieber einen Austritt aus dem Euro in Kauf nimmt, als unter Schäubles Bedingungen drin zu bleiben. Oder sie hätte zumindest zurücktreten müssen und die Opposition gegen das Diktat aus Berlin und Brüssel anführen müssen.

Indem Tsipras sich in der Stunde der Krise als Sozialdemokrat zeigte, der sein Programm verrät, weil er nur an der Macht bleiben will, um angeblich Schlimmeres zu verhindern, erwies er sich für die Eurokraten als sehr nützlich. Schließlich lässt sich mit einer Reform-Syriza besser ein solches Programm umsetzen als mit der konservativen Opposition. Der Syriza-Flügel um Tsipras hat so gerade nicht in Alternativen gedacht, wie in der Opposition immer propagiert, sondern im Gegenteil das T.I.N.A.-Denken noch verschärft.

Schon gibt es Teile der ehemaligen außerparlamentarischen Linken, die wie der Philosoph Thomas Seibert diesen Kurs verteidigen.

Proteste in Deutschland mit geringer Halbwertzeit

Deutschland befindet sich im medialen Sommerloch und auch die linken Kritiker der Erpressungspolitik gegen die griechische Regierung sind anscheinend in die Ferien gefahren. Dabei haben sie Anfang Juli noch in spontanen Versammlungen und Demonstrationen die Bundesregierung und vor allem Finanzminister Schäuble heftig wegen dieser Politik angegriffen. Aber es war damals schon absehbar, dass der Onlineprotest zur Verteidigung des Oxi gegen die Austeritätspolitik in Deutschland schnell wieder von den Straßen verschwunden sein wird.

Erst wenn die Sommerpause beendet ist, wird man sich in Diskussionsveranstaltungen wieder darüber streiten, ob Griechenland von Anfang an keine Chance hatte, sich gegen "Deutsch-Europa" durchzusetzen oder ob es an dieser oder jener falschen Politik lag. Doch es gab einige Initiativen, die auch längerfristig arbeiten und in dem Umgang mit Griechenland ein Modell für den Umgang mit widerständigen Menschen sieht.

"This is not Greece" hieß der Titel einer Konferenz auf Kampnagel in Hamburg, die von Menschen aus Griechenland und Deutschland vorbereitet wurde, die bereits seit Jahren gegen die Austeritätspolitik kämpfen. "Griechenland ist der Ort, wo der Finanzkapitalismus die Demokratie bekämpft“, stellte der Publizist Georg Diez in einer Diskussionsrunde fest.

Standort Deutschland profitiert von der Krise

Nicht die Hartz IV-Empfänger und Niedriglöhner, aber immerhin die Vermögenden in Deutschland haben bereits in den vergangenen Jahren wegen der gesunkenen Zinslasten von der Griechenland-Krise profitiert. Das war das nicht verwunderliche Ergebnis des wirtschaftsnahen Instituts für Wirtschaftsforschung aus Halle.

Für die Bundesbank summieren sich demnach die Zinsersparnisse seit 2007 auf 153 Milliarden Euro. Warum kann dieser Betrag nicht benutzt werden, damit ein Teil der Schulden beglichen wird, die Deutschland noch aus der NS-Zeitbei Griechenland hat? Dabei geht es um ein nicht zurückgezahltes Darlehen ebenso wie um Reparationen für die deutschen Verbrechen.

Die Hetze gegen Griechenland ging erst so richtig los, als die im Januar gewählte griechische Regierung deutlich machte, dass sie es ernst meint mit der Rückzahlung. Seitdem war von den Forderungen nichts mehr zu hören.