Wo bleiben bezahlbare Autos aus Kohlefasern?

In exotischen Superautos werden seit Jahrzehnten Kohlefaser-Verbundstoffe eingesetzt. Neuerdings findet sich das Material auch in bezahlbareren Modellen – doch sein Weg zum Massenmarkt dürfte noch weit sein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Bradley Berman

In exotischen Superautos werden seit Jahrzehnten Kohlefaser-Verbundstoffe eingesetzt. Neuerdings findet sich das Material auch in bezahlbareren Modellen – doch sein Weg zum Massenmarkt dürfte noch weit sein.

In der Karosserie des 7ers von BMW sind Stahl, Aluminium und mit Kohlefasern verstärktes Plastik verbaut. Auf dem Bild oben stecken Kohlefasern in den schwarzen Teilen um die Türrahmen und auf dem Dach.

In teils mehr als 1 Million Dollar teuren Supercars von europäischen Herstellern wie Ferrari oder McLaren wird Kohlefaser seit mehr als einem Jahrzehnt eingesetzt. In diesem Jahr aber rollen zum ersten Mal auch einige normalere Autos mit den ultraleichten, aber teuren Kohlefaser-Teilen zu den Händlern. Dazu zählen der neue 7-er von BMW, der in den USA ab etwa 80.000 Dollar kostet, der etwas günstigere Alfa Romeo 4C und der Sportwagen Chevrolet Corvette Z06.

Auf die Idee, dass Kohlefasern damit vor dem Sprung in den Massenmarkt stehen, sollte man deshalb aber nicht kommen. Die Kosten für Material und Verarbeitung sind zwar in den letzten Jahrzehnten gesunken, doch für alles außer begrenzte Anwendungen in Nischen-Autos immer noch zu hoch. Ebenso haben schärfere Effizienzvorgaben die Hersteller zwar dazu gebracht, die Technologie intensiver zu verfolgen. In der Produktion wird sie bislang aber nur eingesetzt, wenn sie ein bisschen Supercar-Appeal für ein teures Modell verspricht.

Kohlefaser ist ein flexibles, gewebeartiges Material. In Kombination mit einem Polymer lässt es sich zu Autoteilen formen, die leichter und fester sind als solche aus Stahl und Aluminium. Die höheren Kosten entstehen durch das Material selbst und durch die längeren Produktionszeiten. Metallteile lassen sich in Sekunden pressen, bei Kohlefasern dauert das Formen und Aushärten teils mehrere Minuten.

BMW nutzt Kohlefaser beim 7er für wichtige Teile des Daches, der Dachsäulen und der Türrahmen – im Prinzip alles, was sich weit über der Straße befindet. Stahl und Aluminium kommen im Rest der Karosserie zum Einsatz. "Wir sparen Gewicht, aber vor allem weiter oben", sagt Paul Ferraiolo, Leiter Produktplanung und -strategie bei BMW North America."Dadurch konnten unsere Ingenieure ein Auto mit niedrigerem Schwerpunkt entwickeln."

Mit dem Einsatz von Kohlefaser beim 7er macht sich BMW Investitionen und Erfahrungen mit dem Material bei seinen Plugin-Elektroautos i3 und i8 zunutze. Bei Elektroautos rechnet sich Kohlefaser eher, weil auch Lithium-Ionen-Batterien teuer sind. Weniger Gewicht bedeutet hier ein kleineres Batteriepack, was sich auszahlen kann. Der Übergang vom i3 zum 7er ist aber eher eine Migration der Kohlefaser-Technologie von einer Nischenanwendung zur nächsten – um Investitionen auszunutzen, die vielleicht erst in einem Jahrzehnt oder noch später Massenprodukte erreichen werden.

Auch der großzügige Einsatz von Kohlefaser bei dem Sportwagen Alfa Romeo 4C, produziert von Fiat-Chrysler Automobiles, erklärt sich durch eine Technologie-Migration innerhalb des Unternehmens. "Fiat-Chrysler hat sehr viel Erfahrung und Kompetenz bei Kohlefaser-Technologie und hat unter anderem viel von Ferrari und Maserati gelernt", sagt Fabio Migliavacca, ein hochrangiger Produktplaner bei Fiat-Chrysler (das auch Eigentümer von Ferrari und Maserati ist).

Vor kurzem konnte ich fünf Tage lang den Alfa 4C ausprobieren. Seine gesamte Karosserie besteht aus Kohlefaser, und das macht wirklich einen deutlichen Unterschied. Ohne Fahrer und mit leerem Tank wiegt das Auto nur 895 Kilogramm – ähnliche Luxus-Roadster können auf das Doppelte kommen. Die Kurvenerfahrung mit einem so leichten Fahrzeug ist deutlich aufregender als das, was man von einem Vierzylindermotor mit 237 PS erwarten würde. Mit der Kohlefaser-Karosserie fühlte sich der Alfa hervorragend manövrierbar an, und die straffe Lenkung reagierte schnell auf Vorgaben des Fahrers.

Der Alfa Romeo 4C kostet immer noch mindestens 65.000 Dollar. Wie aber sieht es mit dem bezahlbareren Roadster Mazda MX-5 aus, den es in den USA ab 25.000 Dollar gibt? "Kohlefaser ist derzeit von den Kosten her nicht effektiv", sagt Dave Coleman, Entwicklungsingenieur für den neuen MX-5. "Wir haben langfristige Pläne für zukünftige Gewichtsreduktionen, aber noch stehen neben allen Technologien dafür große Fragezeichen."

Die Liste der Fragen ist tatsächlich lang. Wann wird es schneller aushärtende Harze geben, um die Produktionszeiten von Kohlefaser-Verbundstoffen zu verkürzen? Werden bessere Verbrennungsmotoren und Alternativen wie Elektroautos so effizient sein, dass der Treibstoffbedarf auch ohne große Gewichtsersparnisse sinkt? Werden autonome Sicherheitsfunktionen Autos so sicher machen, dass sich die Hersteller erlauben können, heute übliche Verstärkungen wegzulassen?

"Das sind alles bewegliche Ziele, und letztlich geht es immer um die relativen Preise", sagt Anthony Vicari, der als Analyst bei Lux Research die Verbreitung von Kohlefaser beobachtet. Viele noch in Entwicklung befindliche Technologien, die sich gegenseitig beeinflussen, und dazu unterschiedliche Kostenkurven machen es nach seinen Worten sehr schwierig, vorauszusagen, wann Kohlefaser den Sprung von exotischen Sportwagen, Elektroautos und Highend-Luxuslimousinen zu Volumenautos schafft, die in Stückzahlen von 100.000 pro Jahr produziert werden. "Meine beste Schätzung würde zehn Jahre lauten", sagt Vicari.

(sma)