Das Lieblingsgericht der Patentpiraten

Ein US-Bundesgericht im Osten von Texas hat den Ruf, Patentklagen gegen große Technologiefirmen besonders schnell durchzuwinken.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Sam Williams
Inhaltsverzeichnis

Michael C. Smith, Anwalt im Osten von Texas, nennt den Vorgang "die Klapperschlangen-Predigt". Letztere wird Anwälten im Gerichtssaal des Bundesrichters T. John Ward immer dann zu Teil, wenn sie es zuvor unterlassen haben, sich mit den besonderen Regeln für Zivilklagen im U.S. District Court für den östlichen Distrikt von Texas vertraut zu machen.

Die Rede des Richters erinnert an eine Szene aus dem Mafia-Film "Mein Cousin Vinny": Sie beginnt mit einer höflichen Einladung, an die Richterbank zu treten und endet mit der mehr als deutlichen Warnung, die Geschwindigkeit des Verfahrens zu erhöhen.

"Diese Rede ist schon toll", sagt Smith, Partner in der Roth Law-Kanzlei in Marshall, Texas, in dem Wards Gerichtssaal liegt. Smith ist Vorsitzender des so genannten "Rule Committee", einer Gruppe örtlicher Anwälte, die zusammen mit dem Richter die Grundregeln für das Geschehen vor und in Prozessen aufstellt. "Ward wird Sie am Anfang noch nicht beißen, aber wenn die Botschaft nicht angekommen ist, werden Sie sich wünschen, dass er es getan hätte."

Die Härte des Richters Ward ist einer der Gründe, warum die Kleinstadt Marshall mit ihren weniger als 20.000 Einwohnern 150 Meilen östlich von Dallas zu einem Lieblingsplatz für Patentanwälte auf der ganzen Welt geworden ist.

Bei Klagen aus dem Bereich geistiges Eigentum bedeuten harte Richter normalerweise schnelle Verfahren – und das ist genau das, was ein Patentanwalt will, wenn sein Kunde wenig Geld für die Klage zur Verfügung hat, aber auf eine potenziell große Summe aus außergerichtlichen Einigungen oder Schadensersatz hofft. Und immer geht es darum, ob eine zumeist größere Firma die Patentrechte des Klägers verletzt hat.

Ein gutes Beispiel, erzählt Anwalt Smith, ist der aktuell noch laufende Fall Laser Dynamics, Inc. gegen BenQ. Dabei verklagte ein japanisches Unternehmen mit einem Patent im Bereich Erkennung optischer Laufwerke den milliardenschweren taiwanischen Elektronikhersteller. BenQs Verteidiger schaffte es jedoch nicht, im Vorverfahren die von der Gegenseite geforderten E-Mails vorzulegen. Die Strafe folgte auf dem Fuße: Ward, der in sieben Jahren mehr als 160 Patentfälle hören durfte und von Ex-Präsident Clinton auf die Bundesrichterbank berufen worden war, entschied sich, an BenQ ein Exempel zu statuieren. Der Konzern sollte 500.000 Dollar Strafe zahlen und ein Drittel seiner Zeit im Gerichtssaal einbüßen.

"Kalifornische Anwälte sind es gewohnt, einen Richter so lange unter Druck zu setzen, bis er ihnen sagt, dass sie den Mund halten sollen. Bei uns ist das ein bisschen anders", meint Carl Roth, Gründer der Roth Law-Kanzlei. Richter erwarteten, dass sich die Anwälte zurückzögen und den Prozess fortschreiten ließen.

Einkalkulieren muss man außerdem noch das volldigitale Aktenablagesystem des Gerichtes in Marshall sowie das texanische Gesetz "Proposition 12" aus dem Jahr 2003. Es setzt Schadenersatzklagen in Kunstfehlerfällen ein klares Limit. Das führte dazu, dass Anwälte, die sich bislang in dieser rauen Szene bewegten ("Ambulance Chasers"), in den Bereich Geistiges Eigentum wechselten. Eine kleine Industrie ist so in Marshall entstanden.

Patentklagen, die früher im östlichen Distrikt von Virginia oder im nördlichen Distrikt von Kalifornien verhandelt wurden, wo die High-Tech-Industrie klassischerweise sitzt, kommen nun in eine Stadt, in der es mehr Töpfereien als Software-Hersteller gibt.

"Marshall ist bereits eine Legende", meint Craig Tyler, Partner bei der bekannten Patentkanzlei Wilson Sonsini Goodrich in Austin, Texas, die BenQ im Streit mit Laser Dynamics verteidigt. "Wenn man den Namen der Stadt gegenüber seinen Kunden im pazifisch-asiatischen Raum nennt, wissen die schon, worum es geht." Eine fröhliche Reaktion ergäbe das aber nicht.

Was Verteidiger Tyler an Ward und anderen Richtern in Marshall gut findet, ist ihr solides Wissen in Sachen Patentrecht und ihre große Neigung zur Effizienz. Dennoch habe das Bundesgericht in Marshall die Reputation eines Schnellgerichts für Patentfälle, was die Position der Kläger, die sowieso schon gut sei, noch weiter verbessere. Wer in Marshall einen Prozess durchfechtet, gewinnt tatsächlich in 88 Prozent aller Fälle, so die US-Rechtsstatistiker von Legalmetric. Im US-Durchschnitt liegt die Erfolgsrate bei 68 Prozent.

Der Beklagte kann nur dann einen Antrag auf Nichtzulassung des Verfahrens stellen, wenn es ein so genanntes "Markman Hearing" gegeben hat, eine Sitzung, in der der Kläger gegenüber dem Richter endlich die genauen Details der Patentverletzung offen legt. Diese Form des Hearings wurde nach der Dot-Com-Zeit eingeführt.