Besser denn je

Doch weit gefehlt: Offene Technologien haben einen Nährboden geschaffen, auf dem tausende neuer Anwendungen und Geschäftsideen gedeihen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Steffan Heuer
  • Sascha Mattke

Joshua Kinberg, Gründer des Internet-Dienstes FireAnt, ist der lebende Beweis, dass die Unkenrufe über die geschwundene Bedeutung des Silicon Valley in einer unendlich vernetzten Welt so nicht stimmen. Der 27-jährige Programmierer zog Ende Januar von New York nach San Francisco, um "näher dran zu sein am Tanz". "Der Tanz" - das ist das alte Ritual, um eine Idee anzustoßen, einen Nutzerkreis aufzubauen und dann private Investoren oder professionelle Risikokapitalisten zu finden, die Beträge zwischen 100.000 und mehreren Millionen Euro in erfolgversprechende Technik stecken möchten.

Das klingt nicht umsonst vertraut. Vor fünf Jahren wurde daraus allerdings eher ein Veitstanz – die überhitzte Aufregung um das Internet als neue Plattform für Handel und Wandel. Überlebt haben die erste Phase der explosiven Entwicklung des Internets nur wenige große Namen wie Amazon, eBay, Google und Yahoo. Aber der Eindruck der anhaltenden Ernüchterung täuscht. Nicht nur erfreuen sich die Web-Riesen, auch an der Börse, bester Gesundheit: In ihrem Schatten hat sich auch ein Nährboden für neue Anwendungen, neue Standards und jede Menge neue Geschäftsideen gebildet, aus dem jetzt tausende von Blüten wie Kinbergs FireAnt treiben.

Die Experten sind sich einig, dass im Internet ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde, bei dem eine kritische Masse von Online-Nutzern und das Wachstum bei Breitband- sowie drahtlosen Verbindungen Hand in Hand gehen mit neuen Programmiertechnologien, die neue Nutzungsmöglichkeiten für Software ermöglichen. Daraus wiederum ergeben sich Geschäftsmodelle, die sich meist um die Analyse und Aufbereitung dezentral erhobener Daten drehen: Web 2.0.

Eine ganze Palette von Plattformtechnologien macht dies möglich: Da sind zunächst einmal grundlegende Open-Source-Programme, die unter der Abkürzung LAMP zusammengefasst werden – vom Betriebssystem Linux und der Apache-Software, die Server am Laufen hält, über Datenbankprogramme wie MySQL bis zu den Programmiersprachen Perl, Python und PHP. Der zweite große Trend, der Web 2.0 technisch zum Massenphänomen macht, ist die Programmiertechnik AJAX, kurz für Asynchronous Javascript and XML. AJAX löst ein allgegenwärtiges Problem für Webanwendungen, nämlich Inhalte und Objekte auf dem Schirm des Nutzers neu aufzubauen, ohne dass die komplette Seite neu geladen werden muss. Dazu wird eine unsichtbare AJAX-Engine auf Klientenseite zwischengeschaltet, die nur jene Elemente neu herunterlädt, die zur aktuellen Darstellung nötig sind. Für den Nutzer entsteht so der Eindruck, statt einer Webseite eine lebendige, interaktive Software auf dem Bildschirm zu haben.

"Es ist einfacher geworden, sich selbstständig zu machen, und man kann sich länger über Wasser halten, um ein Produkt herauszubringen und eine Nutzerbasis aufzubauen", sagt Evan Williams. Der 34-jährige Mitbegründer des Podcasting-Portals Odeo muss es wissen, denn zu Zeiten der ersten Webwelle gründete er die Webseite Blogger, die 2003 von Google gekauft wurde. "In 2000 hätten wir für den gleichen Datendurchsatz 5000 Dollar statt heute 500 gezahlt. Das Gleiche gilt für die Hardware. Mit 1000 Dollar hat man genug Rechnerkapazität, um eine Firma zu starten", sagt Williams. Hinzu kommt die Verfügbarkeit von preiswerten Entwicklern rund um die Welt. "Welches Start-up konnte vor zehn Jahren auf Programmierer in Indien oder China zugreifen?", ergänzt Excite-Gründer Joe Kraus. "Heute ist das ein Kinderspiel."

Zusammenfassung aus TR 03/2006. Das neue Heft ist ab dem 23. Februar am Kiosk zu haben. ) (wst)