Molekulare Präzision mit Tempo

Eine neue Anwendung des Kraftmikroskops, die IBM-Forscher entwickelt haben, beschleunigt das Sortieren von Biomolekülen rasant und könnte das Werkzeug gar in eine Art Nano-Tintenstrahldrucker verwandeln.

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Von
  • Niels Boeing

20 Jahre ist das Kraftmikroskop nun schon alt, und doch sind die Anwendungsmöglichkeiten dieses ungemein wichtigen Nanowerkzeugs offenbar noch nicht ausgereizt. Physiker am IBM-Forschungszentrum Almaden in Kalifornien haben jetzt ein Verfahren entwickelt, bei dem sich mit Hilfes eines Kraftmikroskops Moleküle in Sekundenbruchteilen sortieren oder mit bislang nicht gekannter Präzision auf einer Oberfläche deponieren lassen. Die neue Anwendung könnte sowohl in der Biotechnik als auch in der Nanoelektronikfertigung eingesetzt werden.

Legt man entlang der Mikroskopspitze zwischen Hebelarm und Substrat ein elektrisches Feld an, wandern etwa Biomoleküle wie kurze DNA-Stränge an der Spitze entlang – je nach ihrem molekularen Gewicht mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Indem Feldstärke und -richtung variiert werden, lassen sich die verschiedenen Moleküle voneinander trennen (siehe Bilderstrecke). „In unseren ursprünglichen Tests verwendeten wir DNA-Stränge mit 5 und mit 16 Basenpaaren“, sagt IBM-Forscher H. Kumar Wickramasinghe. „Ein elektrisches Feld trieb die Moleküle dann die 11,2 Mikrometer lange Spitze entlang, die einen in fünf, die anderen in 15 Millisekunden.“ Dabei sei es möglich gewesen, die Bewegung von nur zehn Molekülen zu kontrollieren. „Das zeigt, dass der Ansatz äußerst nützlich sein könnte, um sehr kleine biologische Proben zu analysieren.“

Damit ist die Sortierung mittels Kraftmikroskop etwa tausend mal schneller als das derzeit weitverbreitete Trennverfahren der Elektrophorese – sozusagen eine Art „Nano-Elektrophorese“. Bislang dauert die herkömmliche Trennung mit Hilfe von Gelen oder Kapillarröhrchen zwischen einigen Minuten und ein, zwei Stunden. Die IBM-Forscher sehen künftige Einsatzmöglichkeiten in der Ermittlung eines genetischen Fingerabdrucks ebenso wie in Routine-Bluttests.

Nanotech-Experten sind von der Anwendung angetan. "Das neue Sortier-Kraftmikroskop von IBM verküpft auf verblüffend einfache Weise die Hochauflösung eines Kraftmikroskops mit der Elektrophorese", sagt Harald Fuchs, Physiker am Center for Nanotechnology (Centech) in Münster. "Unterschiedliche Moleküle konnen so einzeln voneinander getrennt werden, oder durch Umkehrung des Vorgangs präzise deponiert werden - ein sehr vielversprechender Ansatz für die molekulare in-situ (Bio-)Analyik, aber auch für die gezielte Erzeugung von molekularen Stukturen für die Nanoelektronik und -sensorik." Auch David Garfin, Präsident der Amerikanischen Elektrophorese-Gesellschaft, sieht ein großes Potenzial in der neuen Technik: „Dieser sehr clevere Gebrauch des Kraftmikroskops hat das Zeug zu einer ultra-schnellen und ultra-empfindlichen Trennung von Molekülen.“

Das Verfahren könnte auch das Schreiben mit Molekülen verbessern. Bislang wird hierzu die von Chad Mirkin an der Northwestern University entwickelte Methode der Dip-Pen-Nanolithographie (DPN) verwendet. Dabei rinnen Moleküle in einer Flüssigkeit über die Kraftmikroskopspitze wie mit einem winzigen Füllfederhalter auf eine Oberfläche. Dort ordnen sie sich so genannten Monolayern an, also Schichten aus einer einzigen Moleküllage. Die Breite der Strukturen, die damit geschrieben werden können, liegt bei nur 20 Nanometern (Millionstel Millimetern), weshalb das Verfahren auch als Kandidat für künftige Fertigungsprozesse in der Nanoelektronik liegt. Denn die bislang eingesetzte Photolithographie wird in wenigen Jahren die Grenze der möglichen Auflösung bei etwa 30 Nanometern erreichen.

Während bei der DPN der Schreibvorgang kontinuierlich ist, könnte er mit dem neuen Verfahren gezielt unterbrochen werden, erläutert Wickramasinghe. Geschrieben werde nur, wenn das elektrische Feld angelegt ist. Über die Feldstärke lasse sich auch die Menge der abgelagerten Molekültinte regulieren. „Es funktioniert eher wie ein Tintenstrahldrucker als ein Füllfederhalter“, beschreibt Wickramasinghe den Unterschied. Um diese Anwendung zu demonstrieren, schrieben er und seine Mitarbeiter aus DNA-Strängen mit fünf Basenpaaren das IBM-Logo mit einer Linienbreite von 59 bis 79 Nanometern.

Die neue Anwendung des Kraftmikroskops (AFM) ist ein wichtiger Schritt, um die Geschwindigkeit und Präzision von nanotechnischen Verfahren zu verbessern, die sich nicht an biologischen Vorbildern orientieren. Das AFM wurde 1986 von Gerd Binnig – damals bei IBM tätig – bei einem Forschungsaufenthalt an der Stanford University erfunden (zur Funktionsweise siehe „Grundlagen“ im Kontextkasten rechts). Es hat sich seitdem zu einem Standardwerkzeug der Nanotechnik für das Untersuchen und Manövrieren von Molekülen entwickelt.

Mehr dazu: Kerem Unal et al., "Ultrafast molecule sorting and delivery by atomic force microscopy", Applied Physics Letters, 1. Mai 2006 (Online-Ausgabe). (nbo)