Der Untergang des Internets?

Telecom-Unternehmen wollen von Web-Diensten Geld für die Beförderung ihrer Daten nehmen. Doch das Netz wird es verkraften. Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit in der Debatte um Netzneutralität.

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Von
  • Sascha Mattke

Seit zuerst in den USA und später auch in Europa Telecom-Gesellschaften Pläne ventilierten, große Web-Anbieter für die Übertragung ihrer Inhalte bezahlen zu lassen, geht es rund. Reihenweise fahren die Gegner dieser Idee Experten mit großen Namen auf, die gleich das Ende des Internets beschwören. Sie würde „die Prinzipien untergraben, die das Internet erfolgreich gemacht haben“, sagte zum Beispiel Vint Cerf, einer der Väter der Internet-Protokolle, in einer Anhörung des US-Senats zum Thema.

Irgendwie klingt es ja tatsächlich absurd: Warum sollte etwa die Deutsche Telekom Geld von Google verlangen können, damit ihre Kunden den Suchdienst nutzen können? Bezahlen die Nutzer nicht schon Gebühren für ihren Internet-Zugang? Bezahlt nicht auch Google schon an eigene Provider, damit sie seine Suchdaten ins Internet bringen? Liefe das in einer Analogie zur physischen Welt nicht darauf hinaus, dass Händler nicht mehr nur Miete für ihre Läden entrichten sollen, sondern auch für Straßen und Fußwege dorthin?

Man kann das alles als perfiden Vorstoß der Telecoms verstehen, hinter dem der Plan steckt, nicht nur zu kassieren, sondern gleich das offene Internet zu zerstören. Doch anders als auf der letzten Meile, der Anschlussleitung ins Haus der Kunden also, gibt es bei den Langstrecken-Leitungen des Internets, den backbones, reichlich Konkurrenz. Die Telekom ist hier nur ein Unternehmen unter vielen, das Providern wie der konzerneigenen TOnline oder auch Drittanbietern wie Freenet den Daten-Weitertransport ab der – regulierten – letzten Meile ermöglicht. Wenn sich die Telekom mit T-Online entscheidet, Google ohne Extragebühr nicht mehr durchzulassen, haben die Kunden jede Freiheit, zu einem liberaleren Provider zu wechseln. Beliebte Dienste wie Google auszusperren, wenn sie nicht zahlen wollen, würde deshalb wahrscheinlich ohnehin kein Provider wagen.

Was aber ist mit den vielen kleinen Programmierern, die neue Ideen ersinnen und im heutigen Internet kostengünstig der Welt zum Ausprobieren geben können? Wären sie nicht erpressbar, und würden sie nicht vom Aufwand, weltweit Verträge zu schließen, oder von den neuen Gebühren dafür überfordert? Tatsächlich müsste sich ein Web-Newcomer wahrscheinlich beugen, wenn er ohne Extragebühr nicht mehr zu den Endkunden durchdringen kann. Doch nicht einmal so weit dürften die Telecoms zu gehen wagen – wer als Kunde plötzlich nur noch eine handverlesene Auswahl von Web-Seiten aufrufen kann, könnte davon schnell die Nase voll haben und seinem Provider ebenfalls den Rücken kehren: Dass die Nutzer Offenheit zu schätzen wissen, zeigen die Erfahrungen mit den geschlossenen Online-Diensten der 90er Jahre wie AOL oder Compuserve, die mit dem Internet nicht mithalten konnten.

Auch die Mobilfunk-Anbieter haben mit ihren Versuchen, nur eine begrenzte Online-Welt zu bieten, keinen Erfolg: Als Erster gab T-Mobile diesen Ansatz auf und setzt stattdessen seit vergangenem Sommer auf eine Kooperation mit Google. Und so dürfte die aktuelle Entwicklung schlimmstenfalls darauf hinauslaufen, dass ein paar große Web-Anbieter extra zahlen, während die kleinen sich um den Rest der Leitungskapazität balgen müssen. Das wiederum ist nicht so unfair, wie manche behaupten: Zwar bezahlen Websites für die Leitung von ihrem Server bis zum nächsten Austauschpunkt, aber nicht darüber hinaus. So kann es vorkommen, dass ein Senkrecht-Neustarter wie der Videodienst youtube.com geringe Kosten hat, fremde backbones aber mit seinen Daten überschwemmt. Es wäre nur angemessen, dafür Gebühren zu nehmen.

In Ansätzen ist das heute schon über Vereinbarungen der Provider untereinander realisiert: Wer mehr Daten abgibt, als er annimmt, muss zahlen. Letztlich ist das Ansinnen der Telecoms nur ein legitimer und weitgehend ungefährlicher Versuch, an anderen Stellen als bisher noch etwas Geld aus dem Markt herauszuholen, sagt Hans Peter Dittler, Geschäftsführer von Braintec Netzwerk-Consulting und einer der Wegbereiter des Internets in Deutschland. Tatsächlich sei auch das scheinbar absurde Beispiel der für Straßen zahlenden Ladenbesitzer so weltfremd nicht: „Hier in Karlsruhe bezahlen die Geschäfte auf jeden Fall schon für die Weihnachtsbeleuchtung in der Fußgängerzone.“ (wst)