DNS: das Silizium der Nanotechnik

Der präzise programmierte Zusammenbau von Molekülen gilt seit langem als der Heilige Gral der Nanotechnik. Zwei Forschungsteams haben wegweisende Arbeiten für einen solchen Nanomaschinenbau auf Basis des Genmaterials DNS vorgestellt.

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Von
  • Niels Boeing

Der präzise programmierte Zusammenbau von Molekülen gilt seit langem als der Heilige Gral der Nanotechnik. Im Fachjargon „Bottom-up“-Nanotechnologie genannt – „von unten nach oben“ –, soll damit eines Tages ein molekularer Maschinenbau möglich werden. „Bottom-Up-Verfahren können enorm erweitert werden, wenn man die in Molekülen gespeicherte Information nutzt, um Materie zu organisieren“, sagt Nadrian Seeman, Chemiker an der New York University. Sowohl ihm und seinem Studenten Baoquang Ding als auch einem deutsch-japanischen Forschungsteam sind nun zwei wichtige Schritte auf dem Weg zu künftigen Nanokonstruktionen auf Basis des Genmaterial DNS gelungen.

Das DNS-Molekül eignet sich hierfür besonders, weil es eine Art molekulares Lego ermöglicht, dass sich mittels chemischer Selbstorganisation selbständig zusammenfügt. DNS besteht aus zwei verdrillten Strängen, die über Paare von je zwei Molekülen zusammengehalten werden. In der Natur kommen zwei Paare vor: Zum einen verbinden sich die Basen Adenin (A) und Thymin (T) miteinander, zum anderen Guanin (G) und Cytosin (C). Die Abfolge dieser Basenpaare kodiert in Zellen die genetische Information.

In den achtziger Jahren entdeckte Seeman, dass sich diese Struktur auch ganz anders nutzen lässt. Hat man etwa einen einzelnen Strang, der die Basen ACTCA enthält, kann sich an dieser Stelle ein anderer Strang anlagern, der das Gegenstück TGAGT enthält. Der Rest der Stränge baumelt weiterhin frei herum und könnte mit anderen passenden Strängen verbunden werden – diese Enden werden „sticky ends“ genannt („klebrige Enden“). Seeman gelang es so, mehrere DNS-Stücke mit genau durchdachten Basenfolgen zu ausgedehnten Gittern oder auch zu einzelnen Objekten wie einem Würfel oder einem Tetraeder zu verbinden.

Bislang gab es jedoch zwei Beschränkungen: Die DNS-Gitter waren nach dem Zusammenbau statisch, und sie bildeten nur ebene, zweidimensionale Gerüste. Das Konzept von Seeman und Ding geht nun darüber hinaus. „Für die Nanorobotik ist entscheidend, steuerbare Elemente an bestimmten Stellen in ein Gitter einfügen zu können“, erläutert Seeman.

Hierzu wird aus verschiedenen DNS-Strängen nach dem Lego-Prinzip zuerst ein Gitter als Fundament angelegt. Dann werden darin an ausgewählten Punkten nach demselben Prinzip Paare von Doppelsträngen verankert, die in die Höhe ragen und am aufragenden Ende eine Abzweigung enthalten. Die Anordnung stellt gewissermaßen einen Baukran im Nanoformat dar.

Das Doppelstrang-Paar, das an verschiedenen Kreuzungspunkten miteinander verbunden ist, existiert nun in zwei verschiedenen Formen, die als PX und JX2 bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich nur darin, dass in JX2 ein Kreuzungspunkt unverbunden ist. Fügt man nun einen kurzen Einzelstrang mit der passenden Basenfolge hinzu, schließt er die Lücke in der JX2-Variante, und die PX-Variante entsteht. Der Clou: Das Doppelstrang-Paar dreht sich dabei um 180 Grad – und damit auch die Abzweigung, der Ausleger des Nanokrans. Den Schwenkvorgang haben Seeman und Ding mit Kraftmikroskop-Aufnahmen dokumentiert.

„Diese Arbeit demonstriert zum ersten Mal, dass sich bewegliche Teile in zweidimensionale DNS-Gerüste einbauen lassen“, sagt Chengde Mao von der Purdue-Universität. Seeman zufolge könnten sich damit künftig „Nano-Fertigungsstraßen“ anlegen lassen, die auch komplexere Konstruktionen per Selbstorganisation ermöglichen. Dies ist vor allem für die Nanoelektronik interessant, die elektronische Bauteile wie Schalter aus einzelnen Molekülen und Atomen erzeugen will – die wären etwa zehnmal kleiner als die heutigen Bauteile, die mittels Photolithographie aus größeren Materialblöcken geformt werden und im besten Fall Strukturgrößen von 20, 30 Nanometern erreichen (die Halbleiterindustrie schafft derzeit 65 Nanometer). Aufwand und Kosten der Produktion nehmen bei photolithographischen Verfahren allerdings drastisch zu, je kleiner die Strukturen werden sollen.

Das DNS-Molekül lässt sich aber nicht nur in Gerüsten von Nano-Fertigungsstraßen nutzen. Es ermöglicht auch die gezielte Ausrichtung metallischer Teilchen. „Wir haben damit unter anderem Goldnanopartikel zu Schachbrettmustern angeordnet“, sagt Nadrian Seeman.

Ein neues Verfahren zur Positionierung einzelner Metallatome haben Forscher um Mitsuhiko Shionoya von der Universität Tokio und Thomas Carell von Ludwig-Maximilians-Universität München entwickelt. Es ist bereits seit längerem bekannt, dass auch DNS-Doppelstränge möglich sind, in denen die vier natürlichen Basen A, T, G und C durch chemisch ähnliche Moleküle ersetzt werden. So kann man an den Backbones des Doppelstranges etwa zwei Hydroxypyridon-Nukleinbasen verankern, die sich gegenüberliegen. Im Unterschied zu den üblichen Basenpaaren verbinden sie sich zunächst nicht. Gibt man jedoch Kupferionen in die Lösung, bilden diese einen Brückenkopf zwischen den Hydroxypyridon-Paaren. In Pyridin-Paaren wiederum lassen sich Quecksilberatome verankern.

Auf diese Weise konnte das deutsch-japanische Forscherteam stabile Ketten aus einzelnen Kupfer- und Quecksilberatomen erzeugen. Die liegen dann im DNS-Doppelstrang aufgereiht wie Erbsen in einer Schote. Mit zwei anderen Molekülpaaren und einem chemischen Zusatz (Ethendiamin) gelang ihnen gar eine Kette von zehn Atomen Länge. Damit könnten sich äußerst kleine elektrisch leitfähige oder magnetische Strukturen herstellen lassen. „Wegen seiner Fähigkeit, sich von selbst zu komplexen Netzwerken zu organisieren, gilt DNS inzwischen als das ‚Silizium der Nano-Welt’“, schreiben die Forscher im Magazin Nature Nanotechnology.

Baoquang Ding & Nadrian Seeman: „Operation of a DNA robot arm inserted into a 2D DNA crystalline substrate.“ Science Vol. 314, S. 1583–1585, 8.12.2006

Kentaro Tanaka et al.: „Programmable self-assembly of metal ions inside artificial DNA duplexes.“ Nature Nanotechnology Vol. 1, S. 190–194, Dezember 2006 (nbo)