Revolution auf der Festplatte

Die Entdeckung des Riesenmagnetwiderstands durch Peter Grünberg und Albert Fert Ende der Achtziger Jahre führte zu einer der wichtigsten Innovationen in der jüngeren Geschichte der Computertechnik. Nun erhalten beide den Japan Preis.

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Von
  • Martin Kölling

Kaum eine Grundlagenforschung wurde jemals schneller in ein innovatives Produkt übersetzt als Peter Grünbergs Entdeckung des Riesen-Magnet-Widerstand-Effekts, der die Festplattentechnologie revolutionierte. Nun bekam er dafür mit seinem Kollegen Albert Fert den mit über 300000 Euro dotierten prestigeträchtigen Japan Preis.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, können Sie davon ausgehen, von Grünbergs und Ferts Forschungsergebnissen zu profitieren. Sie hat einen der unglaublichsten Innovationserfolge ausgelöst. Der erst 1988 entdeckte Riesen-Magnet-Widerstandseffekt (besser bekannt unter seinem englischen Kürzel GMR, für „Giant Magneto Resistance“) ermöglichte seit 1997 einen enormen Sprung in der Speicherdichte von Festplatten. Die erste, deren Lesekopf sich den GMR-Effekt zu Nutze machte, entwickelte der amerikanische Technologiekonzern IBM: sein 3,5-Zoll-Laufwerk trumpfte 1997 mit einer Speicherleistung von 16,8 Gb auf. Anfang 2007 stellte der japanische Käufer von IBMs Festplattengeschäft das erste Laufwerk mit 1 Tb Speicherkapazität vor.

Für „diese bahnbrechende technische Innovation“ wird der japanische Kaiser Akihito Grünberg und Fert am 19. April den mit 50 Millionen Yen dotierten Japan Preis in der Kategorie „durch Grundlagenforschung inspirierte innovative Geräte“ verleihen, teilte die japanische Stiftung für Wissenschaft und Technik am 11. Januar mit. „Es sehr bemerkenswert, dass eine wissenschaftliche Entdeckung in so kurzer Zeit zu einer praktischen Anwendung geführt hat“, begründete Koichi Kitazawa, der Vorsitzende des Auswahlausschusses, die Wahl.

Der so gelobte deutsche Grundlagenforscher vom Institut für Festkörperphysik des Forschungszentrums Jülich zeigte sich gegenüber Technology Review „sehr erfreut“ über die Auszeichnung. „Als ich die Details der Begründung und des Preises gelesen habe, ist die Freude noch stärker geworden“, sagte der inzwischen pensionierte Grünberg, der schon mit Preisen wie dem Deutschen Zukunkftspreis überhäuft wurde, „es ist ein sehr großer Preis.“ Genauer: Die Initiatoren der erstmals 1985 vergebenen Auszeichnung wollen ein asiatisches Äquivalent zum Nobel-Preis schaffen.

Der Japan Preis wurde daher besonders positioniert. Ganz im Sinne des Stifters und ersten Präsidenten des Japan Preises Konosuke Matsushita, dem Gründer des heute unter Panasonic firmierenden weltgrößten Konsumelektronikkonzerns Matsushita Electric Industrial, wird nur Grundlagenforschung ausgezeichnet, die eine Bahn brechende technische Innovation angestoßen hat. So müssen laut der Präambel des Japan Preises die Forschungsergebnisse von Preisträgern in den zwei Kategorien „durch Grundlagenforschung inspirierte innovative Geräte“ und „Wissenschaft und Technologie für harmonische Ko-Existenz mit der Natur“ anerkanntermassen „die Grenzen des Wissens erweitert und Frieden und Wohlstand der Menschheit gedient haben.“

Die Praxisnähe seiner Entdeckung war dem Grundlagenforscher Grünberg 1988 sofort bewusst. „Mir war sofort klar, dass ich ein Patent anmelden muss“, erzählt er. Denn auf den Magnetismuskonferenzen jener Tage wurde immer wieder darüber diskutiert, wie man den Magnetwiderstand für Festplatten nutzen kann. Gezielt durchkämmte die Industrie die Forschung nach Wegen, das Fassungsvermögen von Festplatten zu erhöhen.

Die Hersteller standen dabei vor der Herausforderung, hochempfindliche Schreib- und Leseköpfe zu entwickeln. Denn Festplatten nutzen einen Magnet-Kopf, um Daten auf die die magnetische Scheibe, den so genannten Platter, zu schreiben und von dort abzulesen. Um mehr Daten auf die Festplatte zu schreiben, muss das Volumen der magnetischen Schalter per Bit verkleinert werden. Dadurch sinkt allerdings deren magnetisches Feld. Dies wiederum erschwert das Ablesen der Daten. Also wurden Leseköpfe benötigt, die immer kleinere magnetische Felder in elektrische Ströme umsetzen könnten. Mit dem GMR-Effekt wurden sie fündig.

Die bis dahin benutzten, auf dem Magnet-Widerstandseffekt basierenden Köpfe erreichen nur eine Wandlungsrate von wenigen Prozent, beim GMR-Effekt stieg sie letztlich auf mehrere zig Prozent. Inzwischen können die Köpfe Datenbits im Nanometer-Bereich auslesen. Der GMR-Effekt, den Grünberg in Jülich und Fert an der Universität von Paris-Süd ohne voneinander zu wissen fast gleichzeitig entdeckten, tritt in Materialien auf, bei denen mindestens zwei ferromagnetischen Schichten wie Kobalt oder Eisen durch eine nicht ferromagnetische, nur wenige atomare Lagen dicke Zwischenschicht etwa aus Chrom oder Kupfer getrennt sind.

Normalerweise ist die magnetische Ausrichtung der Schichten parallel. Doch Grünberg fand heraus, dass bei einer gewissen Dicke der Zwischenschicht eine nichtparallele Ausrichtung auftritt. Der Effekt beruht auf der quantenmechanischen Kopplung der Elektronen-Spins in den Materialschichten. Bei antiparalleler Magnetisierung wird nun die Bewegung hindurch fließender Elektronen vermehrt durch Streuprozesse gestört. Dies macht sich messbar als Widerstandserhöhung des Materials bemerkbar.

Die Kräfte, die die magnetische Ober- und Unterschicht miteinander verkoppeln, liegen allerdings nur im Promillebereich der Kräfte, die in einer einzelnen Schicht den Ferromagnetismus tragen. Es genügen daher schwache äußere Magnetfelder – wie sie von eine sehr kleinen Bitfläche ausgehen –, um die antiparallele Kopplung zu zerstören und den Elektronenfluss zu erhöhen, also den Widerstand zu senken. Das bedeutet: Auch räumlich kleine Bitflächen können gelesen werden.

Albert Fert experimentierte in Frankreich mit einem mehrlagigen Sandwich und erreichte einen MR-Effekt von damals unglaublichen 50 Prozent. Grünberg forschte zwar nur an einem einfachen Sandwich, das einen geringen Wert aufwies. Aber ihm und kurze Zeit später auch den Herstellern war klar, dass er was Großes entdeckt hatte. In heutigen Laufwerken werden einfache Sandwiches genutzt. „Es hat nicht lange gedauert, bis IBM einen Workshop einberufen hat. Sie wollten alles aufnehmen, was damals bekannt war“, erzählt Grünberg.

Er ging hin, obwohl bei solchen Anlässen Grundlagenforscher Gefahr laufen, dass die Weltkonzerne das Wissen zwar gerne aufnehmen, aber unter Umständen unter Umgehung der Patente weiterentwickeln. „Aber wir fanden in IBM einen sehr fairen Partner“, so Grünberg. Das Unternehmen schloss ein Lizenzabkommen mit dem Forschungszentrum Jülich, dass laut Pressesprecher Kosta Schinarakis bis auf den heutigen Tag Lizenzeinnahmen im zweistelligen Millionen Euro-Bereich abgeworfen hat.

Bei IBM wiederum entwickelte Stuart Parkin das Prinzip unter Hochdruck zu einem kommerziellen Produkt weiter. „Der wichtige Beitrag von IBM war, den Sensor sehr klein zu machen“, urteilte Grünberg. Grünberg, Fert und Parkin wurden daher bereits gemeinsam mit Preisen ausgezeichnet. Hitachi wiederum kaufte IBMs Festplattengeschäft 2002 und führt nun das Erbe ebenso erfolgreich weiter.

Irgendwann wird der Wettlauf zu Ende sein, ist Grünberg überzeugt, nur weiß man noch nicht wann. „Physikalisch können wir die Dichte der Bits im Material nicht unbegrenzt steigern. Irgendwann entmagnetisieren sie sich gegenseitig. Aber bisher wurde das Limit immer weiter verschoben.“ Grünberg beglückwünscht dafür die Forscher des von Fert und ihm begründeten Gebiets der Spinelektronik. „Alle zwei Jahre entdecken sie einen neuen, starken Effekt. Fert und ich konnten nur den Anstoß geben.“

Die nächste Generation der Leseköpfe steht schon bereit. Zum einen handelt es sich um Leseköpfe, die den bereits 1975 entdeckten Tunnel-Magneto-Widerstandseffekt (TMR-Effekt) nutzen. Nachdem es 1995 gelungen war, denn TMR-Effekt auch bei Zimmertemperatur zu erzeugen, ist er der Hoffnungsträger für neuartige magnetische Speicherchips (MRAM). Bei dem TMR-Effekt sind die magnetischen Schichten durch eine nur einen Nanometer dicke isolierende Schicht wie Magnesiumoxid getrennt. „Man munkelt, dass damit gigantische Effekte von bis zu 1000 Prozent erzielt wurden“, sagt Grünberg.

Aber noch hat der TMR- den GMR-Effekt nicht verdrängen können. Denn damit eine technische Entdeckung sich auch zur historischen Innovation entwickelt, muss sie sich zu wettbewerbsfähigen Kosten herstellen lassen. Dies wird durch die komplizierte Herstellung und Behandlung der hauchdünnen Zwischenschicht erschwert.

Ein weiterer Ansatz ist der kolossale Magnetowiderstandeffekt (CMR, Colossal Magnetoresistance), der unter anderem von dem japanischen Wissenschaftler Yoshinori Tokura von der Tokio Universität untersucht wird. Bei dem wird unter anderem Manganoxid verwendet. Der Effekt soll ähnlich groß sein wie beim TMR. Bei der diesjährigen Preisbegründung fragte daher ein japanischer Reporter den Vorsitzenden des Japan Preises, Hiroyuki Yoshikawa, einen der angesehensten Wissenschaftler des Landes, warum Tokura den Preis nicht gewonnen hat. „Die Arbeit von Professor Tokura ist noch nicht in ein Produkt umgesetzt worden“, erklärte Yoshikawa. Grünbergs Forschung hat hingegen die Industrie beflügelt. (nbo)