Allesfresser, was nun?

Der US-Umweltjournalist Michael Pollan hat ein Buch über das System der US-Lebensmittel- und Agrarindustrie geschrieben. Besonders die Verwendung von Mais wirkt bizarr. Und der Einfluss des Gewächses wird durch die Biotreibstoff-Nachfrage noch größer.

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Was haben Kaffee, Wein, Süßigkeiten, Snacks, Dosenfrüchte, Ketchup, Joghurteis, Coca Cola und Suppen gemeinsam? In all dieses Produkten stecken, sollten sie von US-Konzernen hergestellt worden sein, erstaunlich große Mengen an Industriemais beziehungsweise Maissirup.

Michael Pollan, Umweltjournalist und Professor an der University of California in Berkeley, nennt die Macht des Gewächses inzwischen nicht mehr nur scherzhaft "Mais-industrieller Komplex": "Eigentlich muss sich der Mensch als Allesfresser von 40 bis 50 verschiedenen Tier- und Pflanzensorten ernähren, um gesund zu bleiben. Statt dessen stopfen die Amerikaner immer mehr industriell hergestellte Nahrung in sich hinein, die aus wenigen Hauptbestandteilen bestehen. Wir tun so, als seien wir Koalabären."

Pollan hat der amerikanischen Lebensmittel- und Agrarlobby deshalb ein Buch gewidmet. Es nennt sich "The Omnivore's Dilemma" und untersucht anhand von vier bekannten Mahlzeiten, wie sich die Lebensmittelversorgung der Amerikaner in den letzten Jahrzehnten rapide verändert hat. Neben Mais ist dies vor allem der Sojabohne und ihren zahlreichen Anwendungsformen geschuldet - und dem Prinzip der US-Agrarsubventionen, wie Pollan schreibt.

Diese bevorzuge den Anbau industriell verwendbarer Pflanzen massiv und sorge dafür, dass der Preis für frisches Gemüse und Obst steige und inzwischen über dem von Fertiglebensmitteln läge. Das wiederum führe dazu, dass die ärmsten Familien immer dicker würden. So erzählt Pollan die Geschichte des Ernährungswissenschaftlers Adam Drewnowski von der University of Washington, der bei Nachforschungen im örtlichen Supermarkt feststellen musste, dass die meisten Kalorien pro Dollar in den industriell hergestellten Lebensmitteln steckten, die sich besonders bequem für den Käufer erreichen lassen.

So war es möglich, für einen Dollar 1200 Kalorien aus Keksen oder Kartoffelchips aufzunehmen, aber nur 250 Kalorien aus Karotten. Dass die Armen früher an zu wenig Kalorien starben, kann heutzutage also nicht mehr vorkommen - stattdessen ist die Höhe des Gehaltszettels des Familienoberhaupts in den USA inzwischen ein verlässlicher Indikator dafür, ob es in einer Familie Fettleibigkeit gibt.

Pollan zufolge sind an diesem Zustand vor allem die Agrarsubventionen schuld, die sich seiner Meinung nach nicht aus den armen Jahren der Nachkriegszeit verabschiedet hätten. Selbst in den US-Schulen sei es nicht erlaubt, zu wenig Kalorien auszugeben. "Eine Kombination aus überall zugesetztem Zucker aus Mais, unnötigen Fetten aus Soja und unfassbar billigem Fleisch und billiger Milch ist das Ergebnis."

Und Pollan sieht den "Mais-industriellen Komplex" noch ganz andere Bereiche erobern: vor allem die Verkehrsindustrie. Im Rahmen des Klimaschutzes werden immer mehr Pflanzen angebaut, um daraus Ethanol zu produzieren: "Mais erobert den Verkehr." Das führt inzwischen soweit, dass sich Mexiko, das eigentliche Heimatland der Pflanze, mit Straßenprotesten auseinandersetzen muss, weil sich die Menschen kein Maismehl mehr leisten können. "Die Pflanzen wurden längst verbraucht - für die immer dicker werdenden Amerikaner oder ihre dicken Autos", so Pollan.

"The Omnivore's Dilemma", Penguin / B&T, 464 Seiten (bsc)