Cyborg-Feeling für jedermann

Ein kleiner japanischer Spezialmikroskop-Hersteller will Video-Brillen endlich zum Durchbruch verhelfen.

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Von
  • Martin Kölling

Der japanische Spezialhersteller Scalar, eigentlich spezialisiert auf Mikroskope, hat in dieser Woche ein so genanntes "Head-Mounted Display" (HMD) vorgestellt, das an einer normal aussehenden Brille angebracht werden kann. Die Neuerung: Auf Knopfdruck schiebt sich ein Mini-Monitor vor das Brillenglas und schon kann man mit einem Auge Bilder von Abspielgeräten wie dem iPod-Video oder auch schnurlos angeliefert von Servern im Großbildformat sehen. Das High-End-Modell "Teleglass T3-F" für 98000 Yen (600 Euro) ist vor allem für Unternehmenskunden gedacht. Aber Scalar-Chef Masao Yamamoto hat den Massenmarkt bereits fest im Visier: "Einen Prototyp für ein preiswertes Modell für jedermann wollen wir im Oktober fertigstellen, also vor der Weihnachtssaison."

HMDs gibt es schon lange. Aber bislang waren die Geräte in der Regel zu klobig, um schick zu sein – oder ganz einfach zu unpraktisch. Doch mit Scalars Vorstoß rückt endlich die lange als verrückt angesehene Vorhersage von Japans Papst für "Wearable Computing", Masahiko Tsukamoto, in erreichbare Nähe. "Alle Menschen werden Displays in Brillenform tragen", orakelt er seit Jahren. Er selbst trägt seit dem Jahr 2000 eines, kombiniert mit Mini-Computer und Tastatur. Tsukamoto ließ es sich daher nicht nehmen, per Video-Botschaft von seinem Professorenstuhl an der Universität Kobe Scalars Pioniertat alles Gute zu wünschen: Die Firma habe das weltweit erste HMD mit elektrischer Vorklappeinrichtung geschaffen.

Das gemeinsam mit dem japanischen Brillenhersteller Excel Optical entwickelten Produkt soll endlich den Durchbruch bringen. Und so sieht es auch aus: Das HMD und die Brille scheinen wirklich marktreif zu sein. Das Display lässt sich sowohl am rechten als auch linken Brillenbügel befestigen. Dabei sitzen die Gläser trotz des Extra-Gewichts von 35 Gramm recht gerade auf der Nase. Das HMD selbst besteht aus einem kleinen elektrischen Motor zum Ein- und Ausfahren des eigentlichen Bildschirms, einem kleinen 0,24-Zoll großen Flüssigkristalldisplay mit 230.000 Pixeln. Ein Spiegel lässt das Bild auf die Netzhaut fallen.

Dem Gehirn entsteht dadurch der Eindruck, in zwei Meter Entfernung auf einen 28-Zoll-Bildschirm zu blicken. Mit dem Fokus lässt sich auch im Gehen noch fernsehen, ohne dass man stolpert. Die QVGA-Auflösung (320 mal 240) ist dabei hoch genug, um selbst die japanischen Untertitel des von Scalar zu Testzwecken von einem Video-iPod gezapften chinesischen Spielfilms lesen zu können.

Einschalten, Lautstärkeregulierung sowie Vor- und Zurückfahren des HMDs erfolgen dabei über eine Fernbedienung, die gleichzeitig aus zwei Mignon-Zellen das Display für zwei bis vier Stunden mit Strom versorgt. Über einen kleinen Knopf am HMD lässt sich die Helligkeit des Bildes stufenweise verstellen und um 180 Grad drehen. Ein Druck auf einen benachbarten zweiten Knopf klappt ebenfalls das Display vors Auge. Über einen kleinen Dioptrien-Regler können es Nutzer an ihre Sehschwächen anpassen. Das Display lässt sich auch ganz einfach nach oben wegklappen.

Eine Zielgruppe hat Scalar-Chef Yamamoto bereits fest im Blick: "Wir wollen es an die Nasa verkaufen." Bisher nutzen die Ingenieure der amerikanischen Raumfahrtbehörde ein Spezialmikroskop von Scalar, um die empfindlichen Keramikkacheln des Space Shuttles auf Defekte zu untersuchen. Ein Großteil der Arbeit findet dabei über Kopf statt, so dass die Nasa-Fachleute ihren Kopf bislang ungesund in den Nacken legen mussten. Mit dem HMD müssen sie nur noch die Arme heben.

Doch auch an andere Einsatzgebiete denkt Yamamoto – etwa Feuerwehren und Polizeiarbeiten, Hochbauten, Triebwerkschecks und Dreharbeiten von Kinofilmen: "Bislang kann in der Regel nur der Regisseur die Bilder sehen, aber mit unserer schnurlosen Lösung das gesamte Team."

Yamamoto wittert einen großen Markt. Schon in diesem Jahr will er allein von seinem Spitzenmodell 3000 Stück verkaufen. Mit dem Massenmodell hofft er auf eine wahre Goldgrube. Es wird nur aus Fernbedienung und einem kleinen Display bestehen, das per Hand an der Brille festgeklammert werden muss. Ein ausländischer Hersteller will das Modell in Lizenz gebaut voraussichtlich 2008 zu Hunderttausenden auf den Markt werfen. Aber auch der Traum fürs ultramobile Fernsehen ist bereits einsatzbereit: Ein HMD mit höher auflösendem Bildschirm könnte das möglich machen. Selbst der sonst so sachliche Ingenieur Yamamoto hebt ab, wenn er von dem Seherlebnis spricht. "Ich habe den Prototypen schon mehrfach auf dem Shinkansen von Osaka nach Tokyo ausprobiert", sagt er, "es ist einfach fantastisch". (bsc)