Hirn hilft Rechner

Microsoft-Forscher haben eine Technologie entwickelt, bei der Menschen ihrem Computer bei besonders schwierigen Aufgaben zur Seite stehen können, ohne sich dabei besonders konzentrieren zu müssen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Kate Greene

Trotz der Rechenleistung, mit der heutige Computer ausgerüstet sind, können sie den Menschen bei scheinbar einfachen Aufgaben noch immer nicht schlagen. Sei es nun die Erkennung von Gesichtern oder die Unterscheidung zwischen einem Tisch und einer Kuh: Der Rechner verliert nahezu immer. Forscher bei Microsoft wollen die optimierten Hirnfertigkeiten des Menschen deshalb nun dazu nutzen, die Leistung von Rechnern bei bestimmten Aufgaben zu verbessern. Unsere oftmals im Unterbewusstsein schlummernde "Rechenpower" ergänzt dabei die des PC.

Die Forscher Desney Tan (Microsoft Research) und Pradeep Shenoy (University of Washington) haben eine Technik entwickelt, die das EEG-Messverfahren dazu verwenden, Gehirnaktivitäten von Menschen zu messen, während sie für den Rechner wünschenswerte Aufgaben erfüllen.

Dabei kam heraus, dass die Unterscheidung, ob sich im Blickfeld eines Menschen ein Gesicht oder ein anderer Gegenstand befindet, vom Gehirn auch dann getroffen wird, wenn man dies aktiv gar nicht wahrnimmt. Daraus entwickelten Tan und Shenoy eine Software, die Gesichter und Gegenstände mit Hilfe der EEG-Daten aus den menschlichen Reaktionen klassifizieren kann. Beim erstmaligen Betrachten eines Bildes durch eine Versuchsperson lag die Erkennungsgenauigkeit bereits bei 72,5 Prozent. Mit den Daten von acht Personen, die ein bestimmtes Bild zweimal gesehen hatten, wurde der Wert noch eindeutiger: Die Genauigkeit sprang auf satte 98 Prozent.

"Das Gehirn verarbeitet ständig Informationen von außen. Wir können mit unserer Technologie den Denkapparat des Menschen als Prozessor verwenden", glaubt Tan. In einem möglichen Anwendungsszenario würden Bilder einfach im Augenwinkel einer Person platziert, ohne dass sie sich darauf konzentrieren müsste. Dennoch könnte die Software den Unterscheidungswert aus den EEG-Daten auslesen, da das Gehirn parallel solche Erkennungsvorgänge unterbewusst durchführt.

Heute benötigen selbst größere Supercomputer noch viele Stunden, um Gesichter zweifelsfrei zu erkennen – ein Mensch schafft dies in einem einzigen Moment. Will man etwa Überwachungsvideos auf Einzelbilder untersuchen, auf denen Gesichter zu sehen sind, könnten wir dies wesentlich schneller, glaubt Tan. Ein entsprechendes System könne er bereits heute mittels EEG implementieren. (Aktuell ist die Arbeit allerdings nur ein Konzeptbeweis.)

Neben der Erkennung von Gesichtern könnte sich die Strategie auch zur Identifizierung anderer Objekte nutzen lassen – seien es nun Tiere oder bestimmte Worte. Die Leistungsfähigkeit des Unterbewusstseins würde dann beispielsweise Bildsuchmaschinen dabei helfen, Aufnahmen schon einmal vorzusortieren, die der Rechner dann im Alleingang genauer identifizieren könnte.

Die Idee an sich ist nicht neu. Allerdings setzen andere "Human-aided Computing"-Ansätze auf die bewusste Hilfe einer Person. Google betreibt so beispielsweise ein "Image Labeler"-Spiel, bei dem es Punkte zu gewinnen gibt, wenn spezifische Objekte in Bildern identifiziert werden. Diese Information wird dann verwendet, um die Suchmaschine besser zu trainieren. Doch der Einsatz des Unterbewusstseins ist noch ein gänzlich neues Forschungsgebiet. "Es gibt da auch noch einige ethische Fragen, bevor wir damit in den Massenmarkt gehen können", meint Tan. Außerdem könnte die Technologie den Helfer auf Dauer auch stören – was zum Beispiel, wenn ständig neue Bilder im Blickwinkel auftauchen?

Luis von Ahn, Professor für Informatik an der Carnegie Mellon University, hält das Microsoft-Projekt für "ziemlich cool" und glaubt, dass es viel Potenzial habe. Er gibt aber zu, dass es sicher auch viele Leute geben werde, die Probleme damit hätten, ihr Unterbewusstsein aufzeichnen zu lassen. "Das ist schon ziemlich abgefahren", meint er. (bsc)